Drei Modelle für einen Religionsunterricht 4.0

Als die Väter und Mütter des Grundgesetzes Artikel 7 aus der Taufe hoben und damit den Religionsunterricht wieder zum ordentlichen Lehrfach mit Verfassungsrang (vgl. auch Art. 149 WRV) machten, war die Bundesrepublik Deutschland ein weitgehend christliches Land mit lediglich zwei vorherrschenden Konfessionen. Aufgrund der historischen Situation nach dem Untergang des Nationalsozialismus und den Schrecken des Krieges, drängte sich eine enge Bindung zwischen Staat und Kirchen auf.
Heute jedoch muss sich der Religionsunterricht in schwierigerer Lager bewähren. Die Säkularisierung lässt auch in ehemals kirchennahen Milieus Skepsis zu Staatsleistungen und Kirchensteuern wachsen. Dabei gerät der konfessionelle Religionsunterricht aber auch aus soziologischen Gründen unter Druck: Immer weniger Schüler sind getauft und gehören einer der beiden großen Kirchen an, die bislang mehr oder minder flächendecken einen konfessionellen Religionsunterricht anbieten. Gleichzeitig hat sich die religiöse Landschaft pluralisiert: neben Judentum und Islam gibt es eine Reihe anderer Religionsgemeinschaften - zum Teil als Körperschaften öffentlichen Rechts verfasst - die Religionsunterricht anbieten möchten.
Geschichte aus Kompromissen und Konsens
Der evangelische Religionspädagoge Arnulf von Scheliha und der Rechtswissenschaftler Hinnerk Wißmann haben mit dem Essay "Religionsunterricht 4.0: Eine Religionspolitische Erörterung in rechtswissenschaftlicher und ethischer Perspektive" eine kompakte interdisziplinäre Darstellung zum Stand der Debatte über die Zukunft des Religionsunterrichts vorgelegt. Die beiden Wissenschaftler von der Universität Münster legen die kulturellen, rechtlichen und politischen Gründe der Entwicklung ebenso dar wie die diskutierten Modelle für eine Weiterentwicklung des Religionsunterrichts angesichts der zeitgenössischen Entwicklungen.

Der Religionsunterricht ist das einzige Fach, das im Grundgesetz garantiert ist: "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach", heißt es in Artikel 7.
Von Scheliha und Wißmann würdigen, dass die Geschichte des Religionsunterrichts in Deutschland auf Kompromissen und einem Konsens zwischen Staat und Kirchen beruht. Als Beispiele für Veränderungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten stellen sie verschiedene Modelle von Öffnungen und Kooperationen vor, wie den Hamburger "Religionsunterricht für alle" (heute auch "Rufa 2.0) oder das in Niedersachsen und Baden-Württemberg angebotene Modell eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts ("kokoRU").
Der Ist-Zustand in den einzelnen Bundesländern wird von Scheliha und Wißmann kompakt dargestellt, ohne sich in dabei in überflüssigen Nuancen des Verfassungs- oder Staatskirchenrechts zu verlieren. Dennoch wird ein erster hilfreicher Überblick über Aushandlungsprozesse, Ersatz- oder Zusatzunterricht sowie Formen des Angebots wie Trennungsmodell (nach Konfessionen) oder Integrations- oder Trennungsmodellen geboten.
Möglichkeiten offen, aber nicht schrankenlos
In der Kooperation zwischen Staat und Kirchen sehen die Autoren im Bereich des Religionsunterrichts ein offenes Modell "demokratischer Weiterentwicklung unter den Bedingungen zunehmender gesellschaftlicher Pluralität und Heterogenität". Zugleich setze die Bindung des Unterrichts an eine Konfessionen Schranken: "Die verfassungsrechtliche Garantie des Religionsunterrichts hat sozusagen eine natürliche Kehrseite: Sie ist an Voraussetzungen gebunden, die nicht einfach übergangen werden dürfen, wenn das Privileg des Religionsunterrichts nicht verspielt werden soll." Jedoch habe das Bundesverfassungsgericht keine konkrete Form des Religionsunterrichts festgeschrieben.

Religionsunterricht ist grundsätzlich konfessionell – für neue Modelle gibt es daher Vorbedingungen.
Von Scheliha und Wißmann befragen daher die Geschichte des Religionsunterrichts, vor allem in seiner protestantischen Tradition, um eine materielle Substanz zu erfassen und diese adäquat fortschreiben zu können. "Wegen der Vielzahl der Faktoren, die dabei zu berücksichtigen sind, halten wir einen bewussten religionspolitisch-gestaltenden Ansatz für sachangemessen", so die Autoren. Denn "Religionspolitik" setze auf einen "Diskurs der demokratischen Moderne, um die Rechte Einzelner (der Gläubigen, der Nicht-Gläubigen, der religiösen Gemeinschaften) und die Bestimmungsmacht der staatlichen Ordnung in ein geeignetes Verhältnis zu setzen". Dieser Ansatz erscheine umso alternativloser, als es "in der Gegenwart keine Identität zwischen religiöser Gemeinschaft und Staatsvolk geben" könne.
Die Autoren schlagen eine getrennte Erörterung der Frage nach den Zielen - inhaltliche Ausgestaltung - von Änderungen und der Frage nach den dafür eingesetzten Mitteln bzw. Instrumenten vor. Grundlage für die angeschlossene Modellierung möglicher Wege ist die Beibehaltung von konfessionellem Religionsunterricht im Sinne Art. 7 GG. In diesem Sinne argumentieren die Autoren für ein "differenziertes Nebeneinander einer Vielfalt 'konfessioneller' Religionsunterrichte einerseits und der Möglichkeit der kooperativen Integration der Akteure, die sehr unterschiedliche Gestalt annehmen" könne.
Drei Zukunftsmodelle
Angesichts der fortschreitenden religiösen Pluralisierung Deutschlands sehen die Autoren jede Schule vor der Herausforderung, jeweils für ihre Situation ein umfängliches Angebot von Religionsunterrichten bereit zu halten. Als Alternativen schlagen von Scheliha und Wißmann drei Modelle vor:
- Rotation zwischen Religionsunterricht im Sinn des Art. 7 Abs. 3 GG und staatlich verantwortetem religionskundlichem Unterricht. Damit verbunden wäre ein jeweiliger Wechsel der Lerngruppen zwischen der Klasse und religiös bestimmten Teilgruppen.
- Religionskunde und Religionsunterricht in projektbezogener Kooperation. Ein staatlicher Religionskunde- oder Ethik-Unterricht als Ersatzfach tritt neben den konfessionellen Religionsunterricht, ebenfalls mit vollem Umfang. Zwischen den Unterrichten sind Kooperationsprojekte möglich, die die jeweiligen Lerngruppen zusammenführen.
- "Religionsunterricht für alle" verzichtet auf ein Neben- oder Nacheinander von konfessionellen Religionsunterrichten. Grundlage für einen solchen Religionsunterricht ist aber die Annahme eines radikalen religiösen Pluralismus als vertretener Bekenntnisgrundlage, denn der Anspruch von Religionsunterricht im Sinne von Art. 7 GG solle aufrecht erhalten werden.