Rottenburger Oberhirte über Pfarreistrukturen und Synodalität

Bischof Krämer: Es heißt, auch Abschied von Liebgewonnenem zu nehmen

Veröffentlicht am 19.03.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 6 MINUTEN

Kall ‐ Die Gläubigen, Mitarbeiter und Finanzmittel werden auch in Rottenburg-Stuttgart weniger. Deshalb müssen sich Strukturen verändern, sagt Bischof Klaus Krämer. Was die Themen Weltkirche und Synodalität damit zu tun haben, verrät er im katholisch.de-Interview.

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Seit etwas über drei Monaten ist Klaus Krämer nun Bischof von Rottenburg-Stuttgart. An Aufgaben mangelt es nicht: Pfarreistruktur, Missbrauchsaufarbeitung, Synodalität. Im Interview spricht Krämer über diese Herausforderungen, die Ankunft in seinem neuen alten Bistum und den Wert einer besonderen lokalen Tradition.

Frage: Herr Bischof Krämer, wie erleben Sie Ihr Bistum nach etwas mehr als drei Monaten als Bischof?

Krämer: Die Diözese ist mir ja nicht unbekannt. Ich stamme von dort und habe mehr als 30 Jahre als Priester dieser Diözese gearbeitet, war aber in meiner Zeit bei missio und den Sternsingern einige Zeit weg. Ich kenne sie also gleichermaßen gut, lerne sie aber auch neu kennen. Als Bischof habe ich viele neue Begegnungen und werde anders wahrgenommen und gefordert. Das ist sehr spannend und ich lerne auch immer noch Facetten des Bistums kennen, die mir vorher in der Form nicht bewusst waren.

Frage: Zum Beispiel?

Krämer: Wir haben noch viele Aktive in unseren Gemeinden, die das Leben dort mittragen und sich mit hohem Engagement einbringen. Sie halten aber auch eine besondere Kultur der Spiritualität aufrecht: So haben mir sehr viele Menschen versichert, dass sie für mich und meinen Dienst gebetet haben. Das ist eine Erfahrung, die gut tut und mich trägt.

Frage: Besonders das Rottenburger Modell prägt die Diözese, in dem Priester und Laien an der Basis gemeinsam leiten und entscheiden. Ist das das Fundament Ihrer Arbeit?

Krämer: Ich schätze das Rottenburger Modell sehr. Es ist seit über 50 Jahren ein Stück gelebte Synodalität. Da ist viel drin, was beim Synodalen Weg und der Weltsynode Thema war. Auf diesen guten Erfahrungen will ich aufbauen, wenn es um die Zukunft geht.

Frage: In welcher Form?

Krämer: Die Zahl der Katholiken und des pastoralen Personals sinkt, die finanziellen Mittel ebenso. Da müssen wir an die Strukturen ran – und zwar in synodaler Weise mit dem Diözesanrat und danach mit vielen weiteren Gremien der Diözese. Ich hoffe, dass wir am Ende einen Weg finden, der von vielen mitgetragen wird, möglichst von allen.

Rottenburger Dom St. Martin
Bild: ©adobestock/globetrotter1

Das Zentrum der Diözese ist der Rottenburger Dom St. Martin.

Frage: Es gibt noch 1.000 Pfarreien im Bistum – und auch überall dort wird Synodalität gelebt. Wenn Sie jetzt sagen, dass Sie an die Strukturen rangehen wollen, etwa in Form von Zusammenlegungen – besteht dann nicht die Gefahr, dass diese Synodalität darunter leidet?

Krämer: Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Es wird spannend sein, wie uns das gelingen kann. Wir werden Wege finden müssen, wie die Gemeinden künftig noch stärker zusammenarbeiten. Die Einheiten werden größer werden. Wie groß – das ist gerade Gegenstand des Beratungsprozesses. Es wird wichtig sein, dass wir auch in diesen neuen Strukturen nicht an Synodalität verlieren. Deshalb müssen wir das Rottenburger Modell weiterentwickeln, wollen aber hinter das Erreichte nicht zurückfallen, sondern sogar noch einen Schritt nach vorne machen.

Frage: An der Basis ist der Wunsch oft stark, an Etablierten und damit auch an den zum Teil überkommenen volkskirchlichen Strukturen festzuhalten. Wie ist das bei Ihnen im Bistum?

Krämer: In den drei Monaten im Amt habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen wissen, dass wir uns als Kirche verändern müssen. Es muss jetzt darum gehen, einen Weg zu finden, der kirchliches Leben auch in der Zukunft möglich macht – und auch Raum hat für neue Initiativen. Da nehme ich Bereitschaft und Offenheit wahr. Das heißt aber auch, Abschied von Liebgewonnenem zu nehmen. Darüber hinaus müssen wir dann Schritte in die Zukunft finden.

Frage: In anderen Bistümern haben Strukturprozesse – auch synodale – Ergebnisse erzielt, die dann vom Vatikan kassiert wurden. Ist das ein Damoklesschwert?

Krämer: Eigentlich nicht. Denn wir sind in der guten Position, dass unser Rottenburger Modell von Rom immer als ein mit dem Kirchenrecht vereinbarer Weg anerkannt wurde. Wenn wir das weiterentwickeln, werden wir Formen finden, die mit dem Kirchenrecht kompatibel sind und trotzdem wichtige Innovationen darstellen.

Frage: Ebenso prägend wie die Frage nach Gemeindestrukturen ist für die Kirche die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch. In Rottenburg gibt es noch keine Studie.

Krämer: Ich habe meine ersten Wochen genutzt, um auch mit den verschiedenen Gremien, die mit sexuellem Missbrauch befasst sind, ins Gespräch zu kommen. Mein Vorgänger Gebhard Fürst hat in Übereinstimmung mit den Regelungen der Deutschen Bischofskonferenz den Weg gewählt, nicht selbst eine Studie zu beauftragen, sondern die Aufarbeitungskommission dies tun zu lassen. Da gibt es bereits Zwischenberichte. Voraussichtlich Anfang 2027 wird es dann einen Abschlussbericht geben.

„Alle Wege, die wir hier gehen, müssen wir immer auch im Kontakt mit der Weltkirche gehen.“

—  Zitat: Klaus Krämer

Frage: Machen Sie sich schon Gedanken, was Folgen dieser Studie sein könnten?

Krämer: Das tun wir hier in der Diözese schon seit Jahren. Es gibt bereits seit 20 Jahren eine Kommission, in der alle Missbrauchsvorwürfe behandelt werden, sodass ein Vertuschen von Verdachtsfällen nicht mehr möglich ist. Da sind wichtige Schritte schon getan worden, auch etwa in Sachen Präventionsarbeit. Der Prozess geht immer weiter und man muss immer wieder nachjustieren. Dieses Thema wird uns begleiten und es wird nicht zuletzt meine Aufgabe sein, es immer wieder zu den Mitarbeitenden zu tragen.

Frage: Sie waren lange im weltkirchlichen Kontext unterwegs. Haben Sie Ideen, wie Sie die Weite des Katholischen ins Schwabenländle bringen wollen?

Krämer: Ich bin sehr dankbar dafür, dass es im Bistum bereits eine wirkliche Kultur weltkirchlicher Partnerschaften gibt. Das ist ein besonderes Merkmal der Diözese. Wir unterstützen nicht nur auf Diözesanebene mehrere Partnerdiözesen, auch viele Gemeinden pflegen sehr lebendige Partnerschaften in die Weltkirche und blicken über den Tellerrand. Dieses Bewusstsein möchte ich fördern. Vor allem müssen wir uns mit unseren Partnern auch über pastorale und spirituelle Erfahrungen austauschen. Das kann sehr inspirierend sein, wir können von anderen Christen viel lernen für unser kirchliches Leben hier. Alle Wege, die wir hier gehen, müssen wir immer auch im Kontakt mit der Weltkirche gehen.

Frage: Weltkirche kann sehr unterschiedliche Formen haben: Von hierarchisch auf den Bischof zugespitzten Diözesen bis zu von Laien geleiteten Basisgemeinden. An welche der so vielen Traditionen des Katholischen wollen Sie anknüpfen?

Krämer: Die Vielfalt ist ein Reichtum der katholischen Kirche. Sie ist eben nicht so uniform, wie viele denken. Papst Franziskus hat das Prinzip der Synodalität sehr stark gemacht. Das heißt für mich, von guten Erfahrungen von Kirchen in anderen Ländern zu lernen – und uns den Reichtum an Erfahrungen aus aller Welt für unsere kulturellen Zusammenhänge zu eigen zu machen. Ich habe zum Beispiel während meiner Tätigkeit bei missio viele kleine christliche Gemeinschaften besucht. Da habe ich gespürt, wie an der Basis durch das regelmäßige Zusammenkommen von Menschen und das gemeinsame Bibellesen und Beten Impulse für das gemeinschaftliche Leben entstanden sind. Da entsteht also Gemeinde immer wieder neu aus dem Evangelium heraus. Das ist ein wertvolles Beispiel.

Frage: Sie wollen also Basisgemeinden in Schwaben?

Krämer: Mir ist wichtig, dass bei allen strukturellen Veränderungen, die wir angehen müssen, die Kirche nah bei den Menschen bleibt. Religiöses Leben muss am Lebensmittelpunkt der Menschen verortet sein. Daraus dürfen wir uns nicht zurückziehen, sondern müssen unser Engagement dort sogar noch verstärken. Da werden wir uns die Beispiele aus der Weltkirche genau anschauen, aber auch selbst nach neuen Wegen suchen.

Von Christoph Paul Hartmann