Auf diese Steine konnten sie bauen
Am 15. August 1015 legte Bischof Wernher den Grundstein für die neue Kathedrale. Der Vorgängerbau war 1002 im Zuge von Thronstreitigkeiten angezündet worden. Dennoch sind die 1.000-Jahr-Feiern ein etwas gewolltes Datum. Denn erstens ist von dem sogenannten Wernher-Münster außer den Fundamenten heute kaum mehr etwas übrig; und zweitens hatte auch diese Kirche mehrere Vorgängerbauten, spätestens seit dem Jahr 728.
825 oder 1.000 Jahre?
Ein jüngst entdecktes, rund vier mal vier Meter großes Taufbecken beweist: An dieser Stelle wurde bereits seit der Spätantike getauft; ein Straßburger Bischof, Ansualdus, ist für das Jahr 614 belegt. Das heutige Münster hatte seinen Spatenstich 1190, als nach mehreren Großbränden, zuletzt 1176, erneut ganz neu gebaut wurde. Also eigentlich 825 statt 1.000 Jahre - doch auch im Elsass feiert man die Feste, wie sie fallen.
Seit September 2014 und noch bis September 2015 wurde ein Reigen von Veranstaltungen geboten, von geistlichen, musikalischen und ökumenischen über touristische und handwerkliche bis hin zu wissenschaftlichen und kulturellen. Das Festjahr endet am 19./20. September mit einem großen Event-Wochenende.
Das heutige Münster aus rotem Vogesen-Sandstein, begonnen im spätromanischen Stil, wurde erst mit der Errichtung des Langhauses ein Meisterwerk der Gotik. Allerdings wird der himmelstrebende Raumeindruck durch den massiven, dunklen und fast höhlenartigen Chorraum der Vorgängerepoche getrübt.
Ein Gesamtkunstwerk ist die Westfassade, entstanden zwischen 1277 und 1439. Die Darstellung des reichen Figurenschmucks an den Portalen füllt Bände - und doch wird er noch übertroffen von der Westrosette mit ihren mehr als 15 Metern Durchmesser und ihren 16 doppelten "Blütenblättern". Eine "Harfe aus Stein", so hat Karl Friedrich Schinkel die Fassade genannt. Tatsächlich wirken die vorgeblendeten feinen Sandsteinsäulen und -bögen wie die Saiten einer Harfe.
Mit den 142 Metern des Nordturms ist das Straßburger Münster das höchste im Mittelalter vollendete Bauwerk, seinerzeit eine Art Weltwunder - auch wenn der Südturm nie vollendet wurde. Bis heute ist es der sechshöchste Kirchenbau der Welt. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Innern: die Astronomische Uhr aus dem Jahr 1574 und der einzigartige dreigeschossige "Engelspfeiler" im südlichen Querhaus, der das Jüngste Gericht darstellt.
Wechselhafte Geschichte im französisch-deutschen Konflikt
Der junge Goethe verstieg sich nach Erklimmen des Münsters 1770 in seiner Schrift "Von deutscher Baukunst" (1773) zu der kunsthistorisch unhaltbaren These, nur ein deutsches Genie wie der Architekt Erwin von Steinbach habe wahre, harmonische Kunst erschaffen können - während etwa die Franzosen oder Italiener vor allem alte Formen nachahmten. Auch ansonsten erlebte Straßburg - und mit ihm das Münster - wechselvolle Zeitläufe zwischen Deutschland und Frankreich: Die katholische Bischofskirche wurde 1524 protestantisch.
Veranstaltungen zum Jubiläum
Seit September 2014 wird das 1.000-Jahr-Jubiläum des Straßburger Münsters begangen. Auch zum Ende stehen noch einige Highlights an: Noch bis 20. September findet allabendlich eine spektakuläre Reise aus "Ton und Licht" statt, die die Pariser Spezialfirma Skertzo inszeniert. Mit Farben und Spezialeffekten wird die Westfassade des Gotteshauses belebt und immer neu betont. /// Das Ensemble Balthasar Neumann gibt am 23. August ein Konzert mit Werken dreier Barockkomponisten mit dem Namen Prätorius: Michael, Hieronymus und Jakob. /// Die Universität Straßburg veranstaltet am 3./4. September im Palais Universitaire ein wissenschaftliches Kolloquium über die spirituelle und historische Dimension der Kathedrale in ihrer Zeit. /// Das große Finale findet am Wochenende des 19./20. September statt: Am Samstagnachmittag gibt es auf dem Schlossplatz ein Konzert mit 250 Künstlern zwischen Tradition und Moderne. Am Abend wird in der Kathedrale das Te Deum von Hector Berlioz gegeben, komponiert 1848/49 aus Anlass der Thronbesteigung Napoleons III. (KNA)Der aufkommende deutsch-französische Gegensatz sorgte für einen erneuten Wechsel: Der Sonnenkönig Ludwig XIV. annektierte die Freie Reichsstadt - widerrechtlich. Doch dass er das Münster 1681 rekatholisierte, das nötigte auch den düpierten deutschen Reichsfürsten Anerkennung ab, zumindest den katholischen natürlich.
In der heißen Phase der Französischen Revolution gab es gar Pläne, den Nordturm im Namen der "egalite" einzureißen. Das verhinderten die Straßburger Bürger, indem sie dem Turmhelm als Freiheitssymbol eine blecherne Jakobinermütze aufsetzten. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel das Elsass erneut an Frankreich; im Zweiten wollte Hitler aus dem Münster ein deutsches "Nationalheiligtum" machen. Stattdessen erhielt es im August 1944 britische und US-amerikanische Bombentreffer. Am Ende aber ist das Straßburger Münster über die Jahrhunderte vor allem ein deutsch-französisches Bauwerk mitten in Europa.