Medienethiker: Neuer Bonhoeffer-Film ist problematisch
Seit gut einer Woche läuft der Film "Bonhoeffer" in den deutschen Kinos. Bei seinem Start in den USA im Herbst 2024 wurde er von manchen Kreisen sehr kritisch aufgenommen. Die Nachfahren des evangelischen Theologen und NS-Widerständlers zeigten sich besonders entsetzt. Die Sorge: Evangelikale Christen könnten Bonhoeffer für ihre Zwecke vereinnahmen. Im Interview erklärt der Erlanger Medienethiker und Theologe sowie Vorsitzende der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, Florian Höhne, welche Verantwortung Filmemachern, Vermarktung und Kinobesuchern in diesem Fall zukommt – und wie man es hätte besser machen können.
Frage: Herr Höhne, welche Punkte bemängeln Sie am Film?
Höhne: Der Film kam im letzten Herbst in den USA in die Kinos und wurde recht aggressiv vermarktet. Unsere Befürchtung als Bonhoeffer-Gesellschaft war damals, dass er von christlichen Nationalisten, von der "Make America Great Again"-Bewegung vereinnahmt werden kann. Diese Vermarktung setzte sehr auf Gewalt. Man sah Bonhoeffer mit einer Waffe auf dem Filmplakat. Die Vermarktung hier in Deutschland stand im Eindruck dessen und hat versucht, den Film gegen rechtsnationale Vereinnahmungen in Schutz zu nehmen. Das ist in vielen Punkten auch gelungen. Und das ist gut so.
Frage: Und wenn wir die Handlung betrachten?
Höhne: Der Film selbst macht auch manches gut: Er erzählt eindrücklich von Bonhoeffers Einsatz gegen Unrecht. Aber auch da bleiben Probleme. Manche fallen unter die Überschrift "Geschmacksurteil". Man kann den Film zu kitschig oder oberflächlich finden, da kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Es ist auch in Ordnung, wenn ein kitschiger Film den Menschen das Thema eröffnet. Allerdings geht der Film sehr frei mit historischen Fakten um. Ein Historienfilm muss zwar nicht eins zu eins den Stand der Forschung abbilden. Er sollte aber grob an den historischen Fakten entlanggehen. Das tut dieser Film in wichtigen Punkten nicht.

Dietrich Bonhoeffer an der Märtyrer-Wand der Westminster Abtei in London. Schwierig an dem neuen Film über ihn sei unter anderem, dass man zu viel Wert darauf lege, Bonhoeffer als Erlöser darzustellen, sagt Florian Höhne.
Höhne: Zum Beispiel?
Höhne: Grundlegend ist im Film die Frage, ob man im Widerstand Gewalt einsetzen darf. Das hat für Bonhoeffer in der Tat eine wichtige Rolle gespielt. Aber im Film gibt es immer wieder gewalttätige Szenen, die unhistorisch sind. Bonhoeffer war Pazifist. Aber das kommt im Film nur am Rande vor. Das mehr zu beleuchten, hätte ein anderes Licht darauf geworfen, wie er sich am Ende im Widerstand mit der Gewaltfrage auseinandersetzt – und wie spannungsvoll diese Frage ist.
Dann gerät der Film mit der Chronologie völlig durcheinander. Martin Niemöller hält dort etwa ein paar Tage nach der sogenannten Reichspogromnacht 1938 eine Predigt, tritt dabei für die Juden ein und bringt ein bekanntes Zitat, dass er in Wahrheit aber erst nach 1946 gesagt hat. Zu dem Zeitpunkt war er aber bereits im Konzentrationslager. Außerdem war er kein Bischof, wie im Film dargestellt.
Frage: Gibt es Szenen, die besonders negativ hervorstechen?
Höhne: Ganz bedenklich finde ich die Schlussszene. Dietrich Bonhoeffer ist damals im Konzentrationslager Flossenbürg unter Unrechtsbedingungen in einem kurzen Prozess zum Tod verurteilt und grausam hingerichtet worden. Der Film verlagert diese Szene ohne Not ins bayerische Schönberg. Die Hinrichtungsszene selbst hat mich an einen Western oder an die Kreuzigung Jesu erinnert: Da sind drei Galgen. Bonhoeffer schreitet fast feierlich die Treppe zum Galgen hoch und wird erhängt, nachdem er die Seligpreisungen aus der Bibel zitiert hat.
Das hat etwas sehr Sauberes, fast Feierliches und er wird sehr zum Helden und zur Christus-Figur stilisiert. Nach allem, was wir über Hinrichtungen in Konzentrationslagern wissen, war das viel grausamer. Von daher ist diese Hinrichtungsszene auf der einen Seite verharmlosend und auf der anderen Seite legt man zu viel Wert darauf, Bonhoeffer als Erlöser darzustellen. Das ist auch theologisch problematisch.

Florian Höhne hat den Lehrstuhl für Medienkommunikation, Medienethik und Digitale Theologie an der Univeristät Erlangen inne.
Frage: Welche Verantwortung hat man also, wenn man einen Film über eine verstorbene Person macht?
Höhne: Man hat eine Verantwortung gegenüber der Person und ihrem Andenken, sie nicht völlig falsch darzustellen. Man hat auch eine Verantwortung den Angehörigen gegenüber, für die diese Person eine persönliche Bedeutung hat. Und man hat eine Verantwortung gegenüber dem kollektiven Gedächtnis: Wie behält die Gesellschaft Bonhoeffer oder den Widerstand in Erinnerung?
Das darf nicht in die völlig falsche Richtung gehen. Da sind Szenen wie die mit Martin Niemöller in der Kirche, der sich für Juden einsetzt und dafür Applaus bekommt, hochproblematisch. Die zeichnen das Bild ins kollektive Gedächtnis, wir Deutschen, wir Christen seien ein Volk oder eine Kirche von Widerständlern gegen Antisemitismus gewesen. Das waren wir leider nicht.
Frage: Welche Verantwortung haben die Filmschaffenden dafür, wie ihr Werk interpretiert wird?
Höhne: Als Medienethiker sage ich, es gibt eine gestufte Verantwortung: bei den Filmemachern, den Vermarktern und beim Publikum. Letzterem kommt die Verantwortung zu, so einen Film auch kritisch zu hinterfragen. Die Vermarkter müssen ihn in einer Weise bewerben, die der Sache gerecht wird. Und den Filmemachern kommt die Verantwortung zu, den Film so zu gestalten, dass er Vereinnahmungen nicht Tür und Tor öffnet.
Frage: Ist das in diesem Fall passiert?
Höhne: Ich mache dem Drehbuchautor und den Schauspielern keinen Vorwurf, dass eine Geschichte über einen Widerständler gegen den Nationalsozialismus von christlichen Nationalisten vereinnahmt wird. Das konnte man nicht vorhersehen. Was solche Gruppen an Narrativen an den Tag legen, geht so dermaßen gegen alles, was ich vernünftig finde, dass ich mich nicht traue, vorherzusagen, was als Nächstes vereinnahmt wird. Auch wir alle sind nicht davor gefeit, dass wir uns mit guter Absicht für etwas einsetzen, was in dieser verrückten Logik umgedreht wird. Aber sie hätten die Umstände differenzierter darstellen sollen.