"Es tut noch jeden Tag weh" – Haltern erinnert an Germanwings-Absturz
Die Trauer sitzt tief - und schmerzt nach wie vor. Vor zehn Jahren brachte nach offiziellen Ermittlungen der Copilot ein Germanwings-Flugzeug in den französischen Alpen zum Absturz und riss 149 Menschen mit in den Tod. Darunter waren 16 Schülerinnen und Schüler sowie zwei Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums im nordrhein-westfälischen Haltern am See. Am Montag, dem Jahrestag, wollen sich viele Menschen mit den betroffenen Familien an der Gedenkstele der Schule versammeln. Vertreter aus Politik und Kirchen werden das Wort ergreifen. Zur Absturzzeit um 11.41 Uhr gibt es eine Schweigeminute, während die Glocken der Stadt läuten.
Abends folgt eine kirchliche Gedenkfeier. In der Vorbereitung einbezogen ist die katholische Theologin und Psychologin Cäcilia Scholten, die in Haltern wohnt und für das Bistum Münster arbeitet. Am Unglückstag vor zehn Jahren kamen ihre eigenen Kinder vorzeitig aus der Schule, weil etwas ganz Schlimmes passiert sei. Plötzlich war Scholten als Seelsorgerin vor eine neue Herausforderung gestellt – und bis heute ist sie im Kontakt mit betroffenen Angehörigen.
Zwei Traumata prägen die Stadt
Scholten berichtet von gleich zwei Traumata, mit denen die Menschen in Haltern konfrontiert wurden: zuerst die Nachricht vom Absturz selbst am 24. März 2015. Und dann 24 Stunden später die Nachricht, dass der Copilot die Maschine absichtlich gegen den Berg in Le Vernet prallen ließ. "Ab dem Zeitpunkt war klar: Das gehört zum kollektiven Gedächtnis in unserer Stadt", so die Theologin, die heute zum Seelsorgeteam der örtlichen Pfarrei Sankt Sixtus gehört. Denn viele Menschen in der Kleinstadt kennen mindestens eine der betroffenen Familien.
Vor Ort wurde viel getan, um mit dem Unbegreiflichen irgendwie klar zu kommen. So wurde etwa die Gedenkstele an der Schule aufgerichtet, wo immer bemalte Steine, frische Blumen und brennende Kerzen zu finden sind. Vor dem Schulgebäude wurden zur Erinnerung 18 japanische Kirschen gepflanzt – und Tausende von Tulpen, die in der Jahreszeit des Absturzes zu blühen beginnen. Innen erinnert ein Raum mit Porträtfotos an die getöteten Teenager und ihre Lehrerinnen. Auf einem Friedhof der Stadt, wo fünf der Opfer gemeinsam begraben liegen, wurde ebenfalls eine Gedenkstätte in Form einer Schulklasse errichtet. Und in der Sixtuskirche steht eine Steintafel mit den Namen der Opfer – und auch dort brennen neben dem Haltener Wallfahrtskreuz Kerzen.

Am Montag, dem Jahrestag des Absturzes, findet in Haltern am See eine Gedenkfeier statt.
Zehn Jahre sind nun vergangen – aber die Trauer ist nach wie vor groß. Scholten berichtet über einen Vater, der bei einem Gedenkgottesdienst viele Fragezeichen hinter den Spruch "Die Zeit heilt alle Wunden" setzte. Weil Narben bleiben – und immer wieder aufreißen. "Und man weiß nicht, wann und was einen triggert."
Die Theologin berichtet, dass die Trauer sich so unterschiedlich zeige, wie Menschen unterschiedlich seien. Für den ökumenischen Gottesdienst am Montagabend wurden Eltern nach ihrem Befinden befragt. Manche haben sich nach zehn Jahren erstmals öffentlich geäußert. "Es tut noch jeden Tag weh. Es ist wie eine Welle, die manchmal abflaut und dann wieder anschwillt", so ein Elternpaar. Ein anderes sagte: "Leere und Schmerz, Vermissen und Endgültigkeit. Täglich besuchen wir ihr Grab. Warum? Wie können wir lernen, mit dem Verlust zu leben?"
Gefahr einer Retraumatisierung
Große Bedeutung hat es für betroffene Mütter und Väter, nicht allein mit der Trauer dazustehen. "Die Sehnsucht bleibt. Die Erfahrung von Gemeinschaft in der Familie und weit darüber hinaus haben geholfen, mit diesem Verlust weiterzuleben", so das Empfinden. "Das Schicksal hat die Familien in Haltern für immer verbunden. Wenn es mir mal ganz schlecht geht, dann weiß ich, wo ich anrufen kann." Der eine oder die andere zieht Kraft aus religiöser Spiritualität: "Der Glaube hat uns geholfen. Der Tod soll nicht das letzte Wort haben."
Das Gedenken am zehnten Jahrestag lässt den Schmerz nun erneut hochkommen. "Für manche besteht die Gefahr einer Retraumatisierung", so Scholten. Aber zu dem runden Jahrestag sei die Erinnerung an das Ereignis einfach ganz eng da. "Ich halte viel von einer Erinnerungskultur. Denn wenn wir schwierige Dinge verarbeiten wollen, müssen wir miteinander sprechen. Und diejenigen unterstützen, die es brauchen."