Schwester Johanna Domek über das Sonntagsevangelium

Die Erbarmenswerten und das Erbarmen

Veröffentlicht am 05.04.2025 um 11:07 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN
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Köln ‐ Zum Beginn der Passionszeit interpretiert Schwester Johanna Domek das Sonntagsevangelium als ein inneres Rollenspiel: Es gibt drei angebotene Identifikationsmöglichkeiten – wo stehen wir? Und was sagt das über unseren Weg zum Osterfest aus?

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Mit Blick auf die Zeitschiene haben wir die Hälfte der Zeit der österlichen Bußzeit längst hinter uns. Liturgisch gesehen beginnt mit dem heutigen Sonntag die Passionszeit, die letzte große Wegstrecke Jesu Richtung Ostern. Aber Ostern erreicht man menschlich/geistlich nicht auf dieser Zeitschiene. Da geht es um personale Hinwendung und innere Schritte. Wie es da um uns steht, das können wir leicht erkennen, wenn wir diesen Text als Vorlage für ein inneres Rollenspiel nehmen und uns in die drei angebotenen Möglichkeiten hineinversetzen.

Da steht der Mensch, der sich verfehlt hat, schuldig, entdeckt und bloßgestellt wurde. Da sehen wir Menschen, die nicht nur offenlegen, sondern auch richten und aburteilen wollen. Menschen, die auch andere – in diesem Fall Jesus - zur erschlagenden Stellungnahme zwingen wollen. Und da steht Jesus. Ich las einmal; "Jesus erschlägt ihr geknicktes Leben nicht mit einem Stein. Er macht Leben wieder möglich, ohne die Schuld zu banalisieren." Er sagt 'nein' zur Sünde, aber niemals zum Menschen, der sich verfehlt.

Erst ab dem 3. Jahrhundert taucht diese Geschichte in den Handschriften des Evangeliums auf, in einer Zeit, in der die Kirche um die Praxis der Busse rang. Wie damit umgehen, wenn Christen schwer sündigen? Augustinus (354-430) schrieb in einem Kommentar: "Nur zwei bleiben zurück, die Erbarmenswerte und die Barmherzigkeit", im Lateinischen: "misera et misericordia!"

Den Rigoristen aller Zeiten und egal in welcher Religion gefällt das nicht. In der Suche nach Gerechtigkeit rufen sie nach anderen Klarheiten. Jesus entzieht sich dieser Diskussion, er entzieht sich nicht den Menschen, er geht nicht weg, er beugt sich zur Erde, schreibt in den Staub der Erde, aus dem auch wir geschaffen wurden. Er schweigt. In diesem Schweigen ist kein Verschweigen. Dann sagt er zu allen, die dabeistehen: "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" und später zur Frau, die daraufhin von den anderen nicht verurteilt wurde: "Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!"

Karl Rahner deutet in dieser Geschichte, die sündige Frau als Bild der Kirche, als "Ecclesia", die mit gutem Grund vor den Herrn geschleppt wird. Diese Ecclesia ist ein treuloses Wesen, wer wollte da etwas beschönigen. Beschönigen wir nichts, verschweigen wir nichts, beginnen wir in Demut zu lernen, wie sehr wir Erbarmen brauchen und wie Jesus Erbarmen schenkt.

Evangelium nach Johannes (Joh 8,1–11)

In jener Zeit ging Jesus zum Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es.

Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 

Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 

Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.

Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.

Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!

Die Autorin

Sr. Johanna Domek OSB ist seit mehr als 40 Jahren Benediktinerin in Köln-Raderberg, wo sie in der Kurs- und Exerzitienarbeit tätig ist. Darüber hinaus ist sie Beauftragte des Netzwerks alternde Ordensgemeinschaften und hat zahlreiche Publikationen zum Thema Spiritualität veröffentlicht.

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