Fall Meurer: Hilfswerk Teil des Systems von Vertuschen und Wegschauen

Verantwortliche beim Missionswerk Missio Aachen wussten jahrzehntelang von Missbrauchsvorwürfen gegen einen Priester, mit dem das Hilfswerk bis 1988 punktuell zusammengearbeitet hatte und dessen Kunstsammlung es übernommen hat. Das geht aus dem Abschlussbericht zum Fall Leonhard Meurer (1916–1991) hervor, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Missio hatte im vergangenen Mai die Kölner Rechtsanwältin Bettina Janssen mit einer unabhängigen Untersuchung des Falls beauftragt.
Laut dem Bericht hatten Verantwortliche spätestens ab 1978 Kenntnisse von den Meurer vorgeworfenen Missbrauchstaten. "missio Aachen war damals somit Teil eines kirchlichen Systems des absichtlichen Wegschauens und der Vertuschung", heißt es in der Stellungnahme des Hilfswerks. Der aktuellen Führung des Hilfswerks attestiert der Bericht, dass sie "durch Ernsthaftigkeit, sensibles Engagement und letztlich Konsequenz ihrer Verantwortung gegenüber (möglichen) Betroffenen sowie im Umgang mit der Sammlung Africana gerecht geworden" sei.
Durch Zusammenarbeit weitere Taten in Kauf genommen
Das Hilfswerk habe durch die Finanzierung einer Afrika-Reise Meurers und durch seinen Einsatz bei Missionssonntagen die Gefahr möglicher weiterer Missbrauchstaten durch den Priester in Kauf genommen. "Diese damals getroffenen Entscheidungen waren falsch. missio Aachen bedauert dies zutiefst", so das Hilfswerk weiter. Meurer wurde in der 2023 durch das Bistum Aachen veröffentlichen Liste mit Klarnamen von insgesamt 53 Tätern und Beschuldigten aufgeführt. Meurer soll mindestens ab 1948 bis 1987 mehrfach minderjährige Mädchen sexuell missbraucht haben. Verurteilt wurde er aufgrund der ihm vorgeworfenen Taten nie. 1961 wurde Meurer durch das Bistum Aachen in den Ruhestand versetzt, lebte daraufhin in den Bistümern Fulda und Trier sowie im Erzbistum Köln.
Der Abschlussbericht im Volltext
Die Kölner Rechtsanwälting Bettina Janssen hat auf 226 Seiten mit Hilfe von Betroffenenaussagen und Archivmaterial die Vorwürfe gegen Leonhard Meurer und die Rolle des Hilfswerks Missio Aachen aufgearbeitet.
Janssen konnte für den Bericht auf die Aussagen von sieben betroffenen Frauen zurückgreifen, "die auf beklemmende Weise das Ausmaß des erlittenen Leids, die Schwere der Verbrechen Meurers sowie deren lebenslange Auswirkungen für Betroffene deutlich machen". Ob es auch in Afrika Betroffene gibt, konnte nicht ermittelt werden. "Die mehrfachen Tatvorwürfe und die Umstände seiner vielen Reisen nach Afrika bilden eine besorgniserregende Grundlage für die Annahme, dass Meurer auch dort missbraucht haben könnte", so der Bericht. Gegenüber einer bekannten Betroffenen habe Meurer aber zugegeben, dass er auch in Afrika Kontakte zu Frauen gehabt habe.
Eigentumsverhältnisse an Africana-Sammlung klären
Ziel der Untersuchung war neben der Aufarbeitung des Missbrauchs auch, den Umgang mit der durch Meurer angelegten Sammlung afrikanischer Artefakte zu bewerten. Der Priester hatte in den 1970er- und 1980er-Jahren die "Sammlung Africana" zusammengestellt, die rund 2.500 indigene Artefakte aus verschiedenen westafrikanischen Ländern umfasst und sich heute im Besitz von Missio Aachen befindet. Bis zum Bekanntwerden der Vorwürfe im April 2023 wurde die Sammlung von Missio in Teilen ausgestellt. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass der Umgang mit der Sammlung "aufgrund unzureichender personeller und finanzieller Ressourcen, mangelnder Fachkompetenz und Nachlässigkeit" unzureichend war. Die Eigentumsverhältnisse an der Sammlung, die bis 2005 der Erzdiözese Koupéla (Burkina Faso) gehörte, sollen nun neu bewertet werden.
Eine Verbindung Meurers zu anderen bekannten Tätern mit Bezug zu Afrika, insbesondere zu dem Trierer Priester Edmund Dillinger, konnte Janssen nicht feststellen. Hinweise auf ein Täternetzwerk und Kontakte zu anderen Beschuldigten habe Janssen nicht feststellen können.
Missio kündigte an, den Weg der Aufarbeitung weiter zu verfolgen. Mit der Auftragsvergabe an Janssen hatte sich das Hilfswerk verpflichtet, ein Jahr nach Veröffentlichung des Abschlussberichts über die Konsequenzen aus dem Bericht und den Umgang mit Empfehlungen aus dem Bericht öffentlich Rechenschaft abzulegen. (fxn)