Warum eine Ordensfrau bei der Passion mitspielt

Rund 60 Laienschauspieler und 40 Statisten stehen bei den Schönberger Passionsspielen im belgischen Sankt Vith auf der Bühne. Zu ihnen gehören auch Schwester Sheela Kuruvilla. Die Ordensfrau kommt aus Indien und wohnt in einem Konvent in Sankt Vith. Davor lebte sie einige Zeit bei den Augustinerinnen in Köln. Im Interview mit katholisch.de erzählt Schwester Sheela von ihrer Rolle auf der Theaterbühne.
Frage: Schwester Sheela, sind Sie zum ersten Mal als Laienschauspielerin auf der Bühne?
Schwester Sheela: Nein, ich habe schon bei der letzten Aufführung der Passion in Sankt Vith mitgemacht, das war 2019. Damals habe ich eine Samariterin gespielt, die der biblischen Erzählung nach Jesus am Brunnen begegnet. Dieses Mal bin ich eine Frau aus Kanaan, die eine kranke Tochter hat und die Jesus darum bittet, sie zu heilen. Es geht mir jedes Mal unter die Haut, wenn ich auf der Bühne stehe und Jesus begegne.
Frage: Warum?
Schwester Sheela: Meine Bühnenrolle passt mit meinem echten Leben zusammen. Die Frau, die ich auf der Bühne spiele, hat eine Tochter, die schwer krank ist. Vermutlich hat sie Epilepsie, sie hat Anfälle und schreit. Diese Erkrankung kenne ich aus meinem Alltag, denn ich arbeite als Krankenschwester in der Psychiatrischen Abteilung einer Klinik in Sankt Vith. Auf unserer Station gibt es 31 Betten, die immer belegt sind. Die meisten unserer Patienten sind jung, manche sind drogen- oder alkoholabhängig, depressiv oder selbstmordgefährdet. Viele von ihnen schauen trostlos auf ihr Leben, weil sie von anderen Menschen enttäuscht wurden. Das Leben hat sie ein Stück weit auf den Boden gedrückt. Ich nehme so eine Hoffnungslosigkeit bei ihnen wahr. Wenn ich in der Klinik bin, rede ich viel mit den Patienten, weil ich ihnen helfen und für sie da sein möchte. Und wenn ich dann bei dem Passionsspiel auf die Bühne gehe und dort oben vor 500 Leuten stehe, die uns bei jeder Aufführung zuschauen, dann nehme ich dorthin alle unsere Patienten mit und die Menschen, die seelisch oder körperlich leiden und trage sie innerlich zu Jesus und bitte ihn, sie gesund zu machen.
Frage: Was genau sagen Sie dann zu Jesus auf der Bühne?
Schwester Sheela: Zuerst einmal suche ich ihn unter seinen Jüngern, denn ich kenne ihn noch nicht, habe aber viel von ihm gehört. Als kanaanäische Frau bin ich eine Fremde. Jesu Jünger wollen mich wegscheuchen. Ich habe Angst vor ihnen. Einer der Jünger sagt sogar: "Schaut, wer da kommt". Dann schauen mich alle an. Aber ich bin mutig und gehe trotzdem zu Jesus, weil ich viel von seiner Güte und Freundlichkeit gehört habe. Als ich Jesus sehe, frage ich ihn, ob er es ist. Und dann sage ich ihm, dass ich allein komme, weil meine Tochter schwerkrank zu Hause ist. Ich bitte ihn: "Heile sie, mache meine Tochter wieder gesund". Seine Jünger wollen mich wegschicken und verspotten mich mit den Worten: "Sie läuft uns nach". Ich sage aber laut: "Herr, hilf mir. Erbarme dich meiner." Auf einmal dreht sich Jesus um und kommt zu mir. Er fragt mich, ob ich vergessen habe, Gott zu vertrauen. Ich antworte ihm: "Ich habe gehört, dass du Menschen heilen kannst. Ich vertraue auf Gott, egal, wer er ist und wie er heißt. Ich möchte nur, dass meiner Tochter geholfen wird." Dann sagt Jesus zu mir: "Dein Glaube ist groß. Deine Tochter soll leben. Geh nach Hause, deine Tochter ist wieder gesund." Ich renne sofort los. Aber dann fällt mir ein, dass ich vergessen habe, Jesus dafür zu danken. Ich gehe nochmals zurück, bedanke mich bei ihm und kehre nach Hause zu meiner Tochter zurück, die geheilt ist. Das ist meine Rolle bei der Passion

Schwester Sheela Kuruvilla auf der Bühne. Hier probt sie die Szene, in der sie Jesus begegnet.
Frage: Glauben Sie daran, dass Jesus andere Menschen heilen kann?
Schwester Sheela: Ja, zu 100 Prozent. Heilung ist immer ein ganzheitlicher Prozess. Wir Menschen brauchen neben der körperlichen auch die seelische Gesundheit. Das Gebet trägt für mich zur mentalen Gesundheit bei. Ich bringe das, was mir Sorgen bereitet, zu Gott und lege es bei ihm ab. Das tut mir gut. Ich glaube, dass Jesus den Schmerz und das Leiden der Menschen verwandeln kann. Ich sage meinen Patienten oft, dass ich für sie bete und hoffe, dass Jesus ihnen helfen kann.
Frage: Haben Sie schon einmal eine Situation erlebt, in der Ihnen Jesus geholfen hat?
Schwester Sheela: Ja, ich erinnere mich an eine Situation, in der mir das Gebet geholfen hat. Das war vor vielen Jahren in Indien, als ich einmal abends mit dem Bus unterwegs war und dann allein auf der Straße zum Kloster nach Hause gehen wollte. Auf einmal verfolgten mich zwei Männer auf einem Motorrad, die mir Angst machten. Es gab keine Häuser entlang der Straße, wohin ich mich hätte flüchten können. Ich habe erst versucht, mit den Männern ruhig zu reden und habe die ganze Zeit innerlich zu Gott gebetet. Zum Glück kam in diesem Moment ein Lastwagen angefahren. Der Fahrer stoppte und brachte mich nach Hause. Das war meine Rettung. Allein wäre ich aus dieser unangenehmen Situation nicht herausgekommen. Heute bin ich davon überzeugt, dass Gott mir damals diese Hilfe schickte.
Frage: Wenn Sie auf der Bühne stehen und mit den anderen 100 Schauspielern und Statisten zusammen die Passion Jesu aufführen, tragen Sie dann Ihren Habit?
Schwester Sheela: Nein, auf der Bühne trage ich das Kostüm, das unsere Näherinnen für jeden von uns Darstellern angefertigt hat. Es ist ein Umhang, ein Kopftuch und ein Unterkleid. Wir haben vor den Spielproben bei uns im Dorf Stoffe, Gardinenreste und Decken gesammelt. Und daraus wurde dann unsere Bühnenkleidung hergestellt. Unser Passionsstück ist in zwei Handlungen geteilt. Der eine Teil spielt zur Zeit Jesu. Die Darsteller dieser Szenen und des Kreuzwegs Jesu sind wie zu der Zeit damals in lange Gewänder gekleidet. Und dann gibt es noch einen modernen Teil, der die Geschichte Jesu von damals in die heutige Zeit überträgt. Die Mitspieler dieses Teils tragen morderne Kleidung wie zum Beispiel Jeans.

Bei dem Passionsspiel in Sankt Vith beteiligen sich über 100 Darsteller, auch Kinder. Das Stück ist zweigeteilt und zeigt neben dem biblischen Teil auch eine moderne Fassung der Leidensgeschichte Jesu.
Frage: Welche Szene der Passion berührt Sie am meisten?
Schwester Sheela: Wenn Jesus auf der Bühne gegeißelt wird, weine ich mit. Er hat mir so viel geholfen und dann wird er von anderen Menschen so schlimm gequält. Wenn er dann stirbt, vom Kreuz abgenommen und seiner Mutter in die Arme gelegt wird, ist das sehr traurig. Die Passionsgeschichte rührt mich an. Es ist kein Theater, es ist das Leben, das wir hier spielen. Viele Menschen leiden, manche müssen viele Schmerzen ertragen. Doch wir dürfen nicht darin stecken bleiben, sondern versuchen, immer wieder neu aufzustehen und Wege aus dem Leiden zu finden.
Frage: Wie kann man aus dem Leidvollen aussteigen?
Schwester Sheela: Zum Beispiel, indem wir mit anderen Menschen über unsere Verletzungen und Wunden sprechen und uns ihnen anvertrauen. Oder wir holen uns Hilfe, machen eine Therapie. So kann vielleicht manches in uns heilen. Abends, wenn ich ins Bett gehe, rede ich mit Jesus. Ich erzähle ihm, was gut war und was nicht so gut war. Und am nächsten Tag wache ich mit einer neuen Hoffnung in meinem Herzen auf. Ich glaube fest daran, dass Jesus mitgeht. Sein Segen ist immer bei uns. Ich möchte diese Botschaft allen weitersagen. Das ist mein Beweggrund, bei der Passion mitzuspielen. Am Ende des Stückes komme ich noch einmal auf die Bühne. Das ist die Emmausszene, direkt nach der Auferstehung Jesu. Wenn ich allein die Bühne betrete, ist das ein ganz besonderer Moment für mich. Ich sage dann laut: "Jesus, ich musste hartnäckig sein, bis du mich hörtest. Doch meine Hartnäckigkeit hat dich überzeugt. Dann hast du meine Tochter geheilt, obwohl wir Fremde waren." Ich versinke in diesem Moment tief in dieser Rolle der Mutter und ihrer geheilten Tochter. Meistens sind meine Augen dabei voller Tränen, wenn ich diese Worte spreche. Und dann kommen nach und nach alle anderen Mitspieler auf die Bühne. Sie erzählen, was Jesus ihnen Gutes getan hat. Was für ein Freund er für sie war. Und am Schluss des Stückes singen wir alle zusammen das Lied: "Fürchte dich nicht, denn ich will euch meinen Frieden geben, der Wunden heilt und niemanden allein lässt im Leid." Spätestens da weinen die meisten von uns mit. Und dann kommt Jesus noch einmal auf die Bühne. Er berührt diejenigen, die er geheilt hat, an den Schultern. Und gleichzeitig geht auch ein Darsteller als Teufel umher. Das ist spannend.
Frage: Wären Sie gerne Schauspielerin geworden?
Schwester Sheela: Ich spiele gerne bei der Passion mit, aber ich bin in erster Linie Ordensfrau. Ich habe meine Mitschwestern im Konvent gefragt, ob sie auch bei der Passion mitmachen möchten. Doch sie wollten nicht. Sie schauen sich das Stück lieber an. Wenn ich auf der Bühne stehe und spiele, tue ich das für Jesus. Es geht darum, seine Geschichte auf der Bühne zu erzählen. Und vor allem, seine heilende Botschaft anderen weiterzusagen. Immer wieder sprechen mich Leute in der Stadt an, die mich aus der Klinik kennen oder von der Passion her. Manche bedanken sich bei mir und sagen: "Vielen Dank, Sie haben mir geholfen". Ich freue mich darüber und sage dann immer: "Das war Jesus".
Die Passionsspiele in Sankt Vith
Die Schönberger Passionsspiele in Sankt Vith finden diesem Jahr bereits zum siebten Mal statt. Die Idee zu diesem zweigeteilten Passionsspiel hatte der katholische Diakon Siegfried Bongart aus der Pfarrei Schönberg in Sankt Vith im Jahr 1993. Er wollte ein Stück aufführen, dass die Leidensgeschichte Jesu zu einem Thema von heute macht. Dieses Jahr lautet das Motto der Schönberger Passion: "Seht! Ich mache alles neu". Über 65 Darstellerinnen und Darsteller aus Ostbelgien und ungefähr 40 Statistinnen und Statisten beteiligen sich an dem Stück, das von dem Theaterregisseur Jörg Lentzen angeleitet wird.