Schmerzensgeldklagen – Ein mühsamer Weg durch die Justiz
Für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bereich der Kirchen war es ein ermutigendes Urteil: Als das Kölner Landgericht im Sommer 2023 das Erzbistum Köln dazu verurteilte, einem früheren Messdiener im Zuge der Amtshaftung das bis dahin beispiellos hohe Schmerzensgeld von 300.000 Euro zu zahlen, fühlten sich eine Reihe von Opfer dazu ermuntert, ebenfalls sechsstellige Summen von Bistümern zu erstreiten. Viele von ihnen halten die Summen zu gering, die ihnen die katholische Kirche in ihrem freiwilligen Zahlungssystem zur Anerkennung des Leids zukommen lässt. Doch mehrere Schmerzensgeldklagen in den zurückliegenden Monaten zeigen: Missbrauchsbetroffene stoßen an Grenzen, wenn sie ihre Ansprüche vor den Gerichten durchsetzen wollen.
Zum einen ist da die Hürde "Einrede der Verjährung". Im Fall des früheren Messdieners hatte das Erzbistum Köln darauf verzichtet, Verjährung geltend zu machen. In zwei von drei Schmerzensgeldklagen gegen das Bistum Aachen hatte die Diözese dagegen die Einrede erhoben. In der Folge wies das Landgericht Aachen die Forderungen der Kläger ab. In der nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht Köln, bei dem die Betroffenen Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren beantragt hatten, scheiterten die beiden ebenfalls.
Unverständnis bei Missbrauchsbetroffenen
Einer der beiden Fälle betrifft einen Mann, der wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs in den 1970er Jahren durch zwei Pfarrer in seiner Zeit als Messdiener ein Schmerzensgeld von 600.000 Euro verlangt hatte. Das Oberlandesgericht entschied, dass die 30-jährige Verjährungsfrist auch dann abgelaufen sei, wenn beim Kläger zeitweise eine Amnesie bestanden habe. Ähnlich argumentiert das Oberlandesgericht im zweiten Fall. Der Betroffene verlangte 325.000 Euro. Der Mann hatte angegeben, als 17-Jähriger 1990 durch einen als Religionslehrer tätigen Kaplan bei einer Nachhilfestunde vergewaltigt worden zu sein. Laut Oberlandesgericht lief Ende des Jahres 2020 die 30-jährige Verjährungsfrist ab. Dies gelte auch dann, wenn man eine 10-jährige, kenntnisabhängige Verjährungsfrist zugrunde lege. Der Kläger hatte 2010 erstmals Angaben gegenüber dem Bistum und den Strafverfolgungsbehörden gemacht.
Die Einrede der Verjährung, die in einigen Fällen auch andere Bistümer erhoben haben, stößt bei Missbrauchsbetroffenen auf massives Unverständnis. Zuletzt starteten Anfang März beim Frühjahrstreffen der katholischen Bischöfe im Kloster Steinfeld rund 20 Initiativen eine Protestaktion. Entlang der Klostermauer brachten sie eine rund 50 Meter lange Schnur an, an der Listen mit rund 88.000 Unterschriften fingen.

Im Fall des früheren Messdieners hatte das Erzbistum Köln darauf verzichtet, Verjährung geltend zu machen.
Die Unterzeichner unterstützen eine Petition, mit der die katholische Kirche aufgefordert wird, keine Verjährung geltend zu machen. Täter unter den Priestern seien wegen Missbrauchs immer wieder in andere Gemeinden versetzt worden, sagte der Sprecher des Betroffenenrats in Bistum Aachen, Manfred Schmitz. Da sei eine Einrede moralisch nicht vertretbar.
Berücksichtigung von Gremien
Aachens Bischof Helmut Dieser verteidigt dagegen das Vorgehen des Bistums. Bei Schmerzensgeldklagen müsse jeder Fall einzeln betrachtet werden, sagte er im vergangenen November am Rand einer Demonstration gegen die Haltung der Diözese. In den beiden geschilderten Fällen habe er die Entscheidung von zwei Gremien berücksichtigen müssen: des Vermögensrates und des Konsultorenkollegiums, das aus dem Domkapitel besteht. An deren Voten sei er als Bischof bei Rechtsgeschäften einschließlich Schmerzensgeldern von über 100.000 Euro gehalten. Im Kölner Präzedenzfall hatte auch Erzbischof Rainer Maria Woelki vorab die Bistumsgremien angefragt – und von ihnen die Zustimmung bekommen, auf die Einrede zu verzichten.
Doch hängen Erfolgsaussichten für Schmerzensgeldklagen nicht nur an der Einrede der Verjährung, wie zwei Verfahren ebenfalls gegen das Erzbistum Köln zeigen. Involviert ist hier wie im ersten Kölner Fall der Bonner Anwalt Eberhard Luetjohann. Er fordert in Namen seiner Mandanten jeweils mehr als 800.000 Euro. Zum einen geht es um eine heute 57 Jahre alte Betroffene, Pflegetochter des 2022 wegen mehrfachen Missbrauchs zu zwölf Jahren Haft verurteilten Priesters U.
Sie wurde von ihm den Angaben zufolge mehrfach vergewaltigt. Das Gericht machte in dem Fall deutlich, dass es für eine Amtshaftung des Erzbistums keine Grundlage sehe. Denn der Missbrauch fand nach Überzeugung der 5. Zivilkammer nicht im dienstlichen, sondern im privaten Bereich des Geistlichen statt. Auf Argumente der Klägerseite, dass nach katholischem Verständnis ein Priester immer im Dienst sei, ließ sich das Gericht auch am zweiten Verhandlungstag Ende März nicht ein. Vielmehr ging der Vorsitzende Richter Dominik Theisen allein der Frage nach, ob nicht doch die Voraussetzungen für eine Amtshaftung vorliegen könnte. Was dann der Fall wäre, wenn jemand aus dem kirchlichen Umfeld Kenntnis vom damaligen Missbrauch gehabt haben könnte. Um hier Klarheit zu bekommen, wurde eigens der Berliner Erzbischof Heiner Koch, der aus dem Erzbistum Köln stammt und teils gleichzeitig mit U. ausgebildet wurde, als Zeuge geladen.

Im Kölner Präzedenzfall hatte auch Erzbischof Rainer Maria Woelki vorab die Bistumsgremien angefragt - und von ihnen die Zustimmung bekommen, auf die Einrede zu verzichten.
Koch und ein Priester sollten Stellung beziehen zu einer Aussage der Betroffenen und ihres Ziehbruder: Dass sie Ende der 1970er Jahre regelmäßig an Wochenenden im Kölner Priesterseminar übernachtet hätten und das Mädchen dort ein Zimmer mit ihrem Pflegevater geteilt habe. Koch bestätigte wie der weitere Zeuge diese Darstellung nicht; er könne sich nicht an die Kinder erinnern – und dementsprechend auch nicht an Übernachtungen. Wie in diesem Fall das Kölner Landgericht sah auch das Aachener Landgericht in dem einen wegen Verjährung abgewiesenen Fall keine Grundlage für eine Amtshaftung. Den Missbrauch eines 17-Jährigen durch einen als Religionslehrer tätigen Kaplan während einer privaten Nachhilfestunde sah es nicht in einem engen Zusammenhang zu seiner kirchlichen Tätigkeit.
Amtshaftung in einem weiteren Sinne
Demgegenüber machte das Kölner Landgericht in dem weiteren anhängigen Verfahren um Schmerzensgeld klar, dass es Amtshaftung in einem weiteren Sinne versteht als das Erzbistum. Im konkreten Fall klagt eine Frau, die nach eigenen Angaben in den 1990er Jahren als Kind von ihrem Messdiener-Gruppenleiter missbraucht wurde. Dieser habe die Gruppe betreut, obwohl er schon vorher durch übergriffiges Verhalten aufgefallen sei.
Das Erzbistum vertritt die Auffassung, dass der Gruppenleiter kein "Amt" in der Diözese bekleidet habe und diese deshalb nicht für dessen Taten haften müsse. Das sieht das Landgericht ganz anders: In Missbrauchsfällen hafte die Kirche nicht nur für Priester, sondern auch für ehrenamtliche Messdiener. Ein Ministrant habe als Gruppenleiter eine Nähe zur Figur eines Verwaltungshelfers und sei eine Art verlängerter Arm des Bistums.
In dem Fall sind die Aussichten auf ein hohes Schmerzensgeld trotz anerkannter Amtshaftung dennoch gering. Die Klägerseite behauptet, dass die Betroffene über vier bis fünf Jahre insgesamt mehr als 200 Mal missbraucht worden sei. Die Bistumsseite betont dagegen, von dieser Häufigkeit des Missbrauchs keine Kenntnisse zu haben. Das Gericht wies darauf hin, dass in dieser Frage laut Zivilprozessordnung eine strenge Beweispflicht gelte. Zwar sei der mutmaßliche Täter strafrechtlich bereits verurteilt worden, allerdings nur für vier Fälle. Und lediglich zwei davon hätten im kirchlichen Kontext stattgefunden. Wohl auch vor diesem Hintergrund haben die katholischen Bischöfe bei ihrer jüngsten Vollversammlung bekräftigt, an der von ihnen eingerichteten unabhängigen Kommission für Anerkennungszahlungen festhalten zu wollen. Eben weil Betroffene Missbrauchsfälle nur plausibel darstellen und nicht beweisen müssen.