Kardinal Marx: Am Ende geht es immer um die Macht
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx sieht den Kampf um die Verteidigung der Mitte, auch in der Kirche, noch lange nicht als gewonnen an. Am Ende gehe es immer um Macht, sagt Marx in einem vorab online veröffentlichten Interview der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag): "Wer hat das Sagen, darüber wird gestritten, nicht über die Dreifaltigkeit!" Die Streitfrage sei, wer die Wahrheit besitze und wer sie interpretiere. "Es funktioniert nicht, wenn eine Institution von sich behauptet zu wissen, was Gott denkt. Wer sagt, wir haben den alleinigen Schlüssel zu ihm, der missbraucht den Glauben und wohl am Ende auch Gott."
Gerade die katholische Kirche habe in ihrer Geschichte in Bezug auf den Kontrollanspruch über den Menschen und den Deutungsanspruch auf die Wahrheit oft überzogen, räumte der Erzbischof von München und Freising ein. Seinen Worten zufolge gibt es aber aktuell eine rechte Bewegung weltweit, die Religion als ideologischen Baukasten versteht. "Man nimmt einzelne Inhalte, dreht sie auf die eigene Ideologie und versucht, sich dadurch höhere Legitimität zu verschaffen. Und ich bin überzeugt, dass solche Leute sogar überlegen: Wie können wir Einfluss nehmen auf die Richtung der Kirche bis hin zur Papstwahl?"
Auf die Frage, ob die Macht eines Rechtspopulisten wie die des US-Amerikaners Steve Bannon bis ins Konklave reiche, entgegnete Marx: "Das hätte er vielleicht gerne. Trotzdem sage ich: Aufgepasst!" Seiner Ansicht nach ist es völlig offen, welche Dynamik sich in einem Konklave entfaltet. "Ich kann auch nicht wahrnehmen, dass es irgendwelche Gruppen gibt, die sich absprechen. Jedenfalls bin ich nicht beteiligt!"
"Wir müssen alle mitnehmen"
Ebenso äußerte sich der Kardinal zum Thema Migration, die nicht nur als Gefahr für die innere Sicherheit gesehen werden dürfe. "Wir sind ein Einwanderungsland, und das ist gut so – ein solches Signal erwarte ich auch von einem Kanzler Friedrich Merz und der neuen Bundesregierung", sagte er. Es müsse deutlich werden, dass man dankbar sei für die nach Deutschland eingewanderten Menschen. "Aus eigener Erfahrung weiß ich: Reha, Pflege, Krankenhaus – das könnten wir dichtmachen ohne Zuwanderung", betonte Marx. Bei den Koalitionsverhandlungen dürfe es deshalb nicht darum gehen, wo überall bei der Migration die Schrauben angezogen werden könnten. "Wir brauchen Humanität und Ordnung – das auch! –, um Zuwanderung positiv zu gestalten."
Zugleich warnte er davor, intellektuelle Debatten so zu führen, dass sie sich von der Lebenswirklichkeit der Menschen zu lösen scheinen. "Dabei geht es doch gerade darum, dass wir uns in der Gesellschaft nicht gegeneinander ausspielen lassen." Der Gedanke, dass auch Minderheiten beachtet werden müssten und Diskriminierung aufhören müsse, bleibe richtig. "Wenn aber der Eindruck erweckt wird, jede Minderheit verdiene mehr Aufmerksamkeit als die große Mehrheit derer, denen etwa Ehe und Familie wichtig sind, dann öffnen wir den Volksverführern ohne Not Tür und Tor. Wir müssen alle mitnehmen." Die Kirche bemühe sich zwischen verschiedenen Positionen Brücken zu bauen, so Marx. (mtr/KNA)