Gerd Dicke ist 97 Jahre alt und blickt auf sein langes Leben zurück

Früherer Aachener Weihbischof: "Habe mit dem Zölibat gerungen"

Veröffentlicht am 15.04.2025 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 6 MINUTEN

Aachen ‐ Der frühere Aachener Weihbischof Gerd Dicke lebt in einer Wohnung neben dem bischöflichen Ordinariat in Aachen. Im März ist er 97 Jahre alt geworden. Bei einem Besuch erzählt er von seinem langen Leben, das maßgeblich vom Zweiten Weltkrieg geprägt wurde, und von seinem Weg in der Kirche.

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Bei seiner Taufe 1928 in Erfurt hat Gerd Dicke gleich vier Taufnamen bekommen: Ernst Franz Gerd Werner. "Ich war der Älteste und musste alle Namen tragen", scherzt der frühere Aachener Weihbischof. Er bekam die Vornamen seiner beiden Großväter Ernst und Franz übertragen und zusätzlich suchten seine Eltern noch je einen Vornamen für ihn aus. "Ich wurde als Kind "Gerd" gerufen und damit war ich das".

Seine Familie war "normal religiös" und es wurde regelmäßig gebetet, berichtet der 97-Jährige. In der Nachbarschaft seines Heimatortes in Erfurt gab es nur wenige katholische Familien. In seiner Klasse im Gymnasium waren drei Schüler katholisch, blickt Dicke zurück. An die Gespräche mit den Eltern auf dem Weg zur Sonntagsmesse in die Erfurter Lorenzkirche kann er sich noch gut erinnern. Das war immer "so eine himmlische Ruhe", sagt Dicke, weil es "war fast eine halbe Stunde Zeit für Gespräche, auch religiöse". Der betagte Priester weiß noch, dass der Vikar der Lorenzkirche immer wieder zu Besuch kam, um aus der Bibliothek des Vaters, der als Chefredakteur einer Zeitung in Erfurt arbeitete, Bücher auszuleihen. Auch an seine Erstkommunion denkt der frühere Weihbischof gerne: "Das war ein schönes Fest". Damals habe er von Opa Franz, der sein Taufpate war, ein gebrauchtes Fahrrad aus Frankfurt geschenkt bekommen, mit dem er in aller Ruhe seine Runden gedreht habe. Seinen anderen Großvater, der schon vor dem Ersten Weltkrieg starb, hat er nie kennengelernt.

Als Flakhelfer an der Heimatfront

Den Beginn des Zweiten Weltkriegs hat Gerd Dicke bewusst erlebt, damals war er 11 Jahre alt. An die bewaffneten Soldaten auf den Straßen kann er sich noch erinnern. Noch kurz vor Kriegsende wurde er selbst, als 16-jähriger Schüler, einberufen. Als Flakhelfer musste er in der sogenannten Heimatfront bei der Flugabwehr mithelfen. Dicke erinnert sich noch genau an den Tag, als er damals im Juli 1944 von zu Hause wegfahren musste – in den Krieg. Das war einen Tag nach dem gescheiterten Attentat, das Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler verübte. "Die Stimmung war damals gespenstisch, weil alle Offiziere Hausarrest hatten", blickt der Weihbischof zurück. Dicke erlebte den letzten Kriegswinter und den Angriff auf Dresden mit. An die riesigen Feuerflammen durch den Abwurf von Bomben erinnert er sich bis heute. Nach Kriegsende wurde Dicke in den Arbeitsdienst entlassen. Der Weg nach Hause war beschwerlich, wie er erzählt. "Ich musste die letzten Kilometer laufen und als ich endlich daheim ankam, öffnete mein Vater die Tür und ich fiel die Länge nach hin", – so entkräftet war er. Damals war Karsamstag, ein Tag vor Ostern. Deshalb ist ihm das Osterfest bis heute wichtig – ein "wirkliches Fest der Auferstehung".

„Ich hatte einfach Glück, dass ich den Krieg überlebt habe.“

—  Zitat: Gerd Dicke

"Ich hatte einfach Glück, dass ich den Krieg überlebt habe", setzt der frühere Weihbischof fort. Wer diese Zeit nicht selbst miterlebt habe, der wisse nicht, wie schlimm es gewesen sei, ergänzt Dicke. Er könne daher nur schwer nachvollziehen, warum es noch immer Krieg auf der Welt gebe oder Politiker gewählt würden, die Hass und Ausgrenzung zwischen den Menschen schürten, so der Geistliche. Dass sein Vater nach Ende des Krieges in einem russischen Arbeitslager starb, bedrückt ihn bis heute. Nur schwer kann er über diesen Schmerz sprechen.

"Das Einzige, was Menschen damals nach dem Krieg Halt gab, war die Kirche und der Glaube", blickt der frühere Weihbischof zurück. Als Jugendlicher beeindruckte ihn der Vikar seiner Heimatgemeinde in Erfurt. "Immer wieder saßen wir abends bei ihm zusammen und redeten über Gott und die Welt", erinnert er sich. Damals überlegte er selbst ernsthaft, ob der Priesterberuf etwas für ihn sein könnte. Nach dem Abitur studierte er in Fulda, München und Aachen katholische Theologie und Philosophie und wollte dann Priester werden. "So einfach war das", erklärt Dicke. "Ich hatte keine besonderen Berufungserlebnisse und mir ist auch niemand erschienen", scherzt der Seelsorger. Er habe sich für diesen kirchlichen Beruf mit all seinen Konsequenzen, auch dem Zölibat, entschieden. Am 25. Juli 1952 wurde Gerd Dicke von Bischof Johannes Joseph van der Velden in Aachen zum Priester geweiht. Damals war er 24 Jahre alt. Mit dem Zölibat habe er zwar eine Zeit lang gerungen, gibt er zu. Deshalb würde er es heute besser finden, wenn Priester heiraten könnten, betont der frühere Weihbischof.

Als Kaplan arbeitete er erst in Viersen-Rahser, und später als Religionslehrer an Schulen in Düren und Krefeld. An seinen Chef in der Kirchengemeinde in Viersen erinnert er sich noch gut. "Bei dem Pfarrer war ich der Knecht", lacht Dicke. Im Juli 1959 erfolgte die Promotion von Gerd Dicke zum Doktor der Philosophie an der Universität zu Köln und im Februar 1970 ernannte ihn Papst Paul VI. zum Weihbischof in Aachen und zum Titularbischof von dem antiken Ort Iria Flavia. Sein Wahlspruch lautete: "Im Dienst des Herrn, in der Hoffnung froh", nach der Bibel aus dem Römerbrief.

Bild: ©katholisch.de/ msp

Gesammelte Erinnerungen im Hausflur: Plaketten mit Bildern von Heiligen und Gebetstafeln in der Wohnung von Weihbischof Gerd Dicke in Aachen.

Bis 2004 war Dicke zudem Leiter des diözesanen Caritasverbandes in Aachen. Seit 1984 ist seine Haushälterin bei ihm, die ihn versorgt und sich um den gemeinsamen Haushalt kümmert. Dafür ist der frühere Weihbischof dankbar. Eine Karriere in der Kirche habe er nicht geplant, so der 97-Jährige. "Ich war Hilfsbischof", fügt er lachend hinzu. Heute schaue er mit großer Dankbarkeit auf sein Leben zurück. Dass alles so gekommen sei, hätte er sich damals nach dem Krieg nicht träumen lassen, sagt er nachdenklich. Heute würde er wieder Priester werden wollen, bereut hat er seine Entscheidung nicht.

Im Vaterunser "steckt alles drin"

Dickes Bruder ist noch am Leben. Der war Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht in Köln. Seine Schwester starb schon vor vielen Jahren. Eine genaue Vorstellung von einem Leben nach dem Tod hat der betagte Geistliche nicht. Er hoffe nur, dort im Himmel Gott zu begegnen. Für ihn sei Gott ein grenzenlos liebender Vater, der sich den Menschen zuwendet. Auf diese Weise wollte er auch immer als Seelsorger tätig sein und den Glauben anderen weitergeben, so Dicke. Letztlich glaube er an das Gute im Menschen. Nach den bitteren Erlebnissen im Krieg habe er die Erfahrung gemacht, dass Menschen einander in der Not helfen und beistehen.

Gerd Dickes Herzensgebet ist bis heute das Vaterunser: "Da steckt alles drin", meint der emeritierte Weihbischof. Wenn er die Zeile, "dein Wille geschehe" bete, sei er überzeugt, dass Gott dabei helfe, das anzunehmen, was das Leben einem bietet. Das Vertrauen auf Gott sei ihm das Wichtigste, betont der langjährige Vorsteher des Caritasdiözesanverbandes in Aachen. Wenn seine Stunde gekommen sei, und Gott ihn zu sich hole, dann sei er bereit. Es müsse nur noch nicht jetzt sein, lacht der 97-jährige. Im Flur seiner Wohnung zeigt Dicke noch die gesammelten Gebetstafeln an der Wand, die er als Priester bei verschiedenen Anlässen von Menschen aus Kirchengemeinden geschenkt bekommen hat. "Die begleiten mich", sagt er und winkt zum Abschied.

Von Madeleine Spendier