TV-Recherche: Abtei und Politik sollen Missbrauch vertuscht haben
Kirche und Regierung in der Schweiz sollen Missbrauch an einer Klosterschule vertuscht haben. Das berichtet das Schweizer Fernsehen in der aktuellen "Rundschau"-Sendung am Mittwoch. "Recherchen der 'Rundschau' zeigen, wie Rektor, Benediktiner-Abt und Regierung die Taten jahrelang vertuschten", teilte der Sender "SRF" am Mittwoch vorab mit. Die Taten sollen im Kollegium Karl Borromäus im Kanton Uri geschehen sein. Dort führten Benediktinermönche des nordschweizer Klosters Mariastein ein Internat.
In den 1960er- und 1970er-Jahren war der damalige Schulrektor laut "SRF" in engem Kontakt mit der Schulbehörde. Nach Elternbeschwerden habe er die Schulaufsicht über die Vorfälle am kirchlichen Kolleg informiert. Sowohl der Schulleiter als auch die Schulaufsicht waren jedoch laut "SRF" der Meinung, die "Verfehlungen" eines Paters rechtfertigten keinen sofortigen Ausschluss: "Das Verhalten von P. Notker muss zwar als unschicklich bezeichnet werden. Es dürfte aber kaum strafbar sein", zitiert der "SRF" aus Dokumenten. Die Vorwürfe reichten von Aufforderungen zum Ausziehen über Fotoaufnahmen bis hin zu sexuellen Übergriffen. Einer der Patres wurde später suspendiert – und anschließend an eine andere Schule im Kanton Solothurn versetzt.
Ex-Abt entschuldigt sich – Kloster spricht von Unterlassung
In einer Reaktion auf die Recherchen entschuldigte sich der ehemalige Abt des Klosters, Peter von Sury, und sagte: "Die Kirche ist prädestiniert, als Täterorganisation aufzutreten, in der Leute, die solche Verbrechen begehen, einen idealen Rahmen vorfinden oder vorgefunden haben. Sie sind geschützt worden." Er sei froh, dass ihn seine Mutter damals nicht in ein katholisches Internat geschickt habe: Nun hoffe er, dass sich die Opfer von damals melden, um sie bei ihrer persönlichen Aufarbeitung zu unterstützen.
Auch Sury wird vorgeworfen, bis zum Ende seiner Amtszeit im Januar 2025 nicht konsequent gehandelt zu haben. Dazu teilte das Kloster am Mittwoch in einer Stellungnahme mit: Im Rückblick sei dem Abt "die Schwere dieser Unterlassung voll bewusst" – und er bereue sie außerordentlich. In seiner Amtszeit soll Sury 2010 von den Missbrauchsfällen erfahren haben. Derzeit sitzt er in verschiedenen Gremien zur Aufklärung von Missbrauch in der katholischen Kirche und ist Ordensvertreter für eine Schweizer Missbrauchs-Pilotstudie.
Politik kündigt Aufarbeitung an
Die Klostergemeinschaft gab in ihrer Mitteilung zu, dass die sexuellen Übergriffe der damaligen Schul- und Klosterleitung "offenbar" bekannt gewesen seien. In einem Fall sei nicht reagiert worden, im anderen habe sich die Leitung erst unter Druck eines betroffenen Vaters an den Urner Erziehungsdirektor gewandt. Ob und in welchem Umfang einzelne Mönche der Klostergemeinschaft Kenntnis von den Vorfällen gehabt haben, lasse sich heute nicht mehr feststellen, so das Kloster. "Jedenfalls wurde in der Gemeinschaft nie offen darüber gesprochen und eine Aufarbeitung, wie sie heute selbstverständlich wäre, unterblieb."
Vertreter des Schweizer Kantons Uri haben am Mittwoch angekündigt, das Vorgehen von Kloster und Regierung in diesem Fall aufzuarbeiten. Bislang habe man wenige Informationen über die Vorfälle, so ein Politiker. Man wolle daher mit der Universität Zürich zusammenarbeiten und rufe Betroffene auf, sich zu melden, um Fälle und Mechanismen aufzudecken, die sexuellen Missbrauch ermöglichten oder gar begünstigten. (KNA)