Zwischen Messfeier und Mysterienkult
Dazu luden 93 religiöse Gemeinschaften und interreligiöse Initiativen zum vierten Mal zur bundesweit größten Veranstaltung ihrer Art ein. Sie boten Ausstellungen, Konzerte, Meditationen, Hausführungen und Vorträge. Diese sollten zeigen, dass "das Fremde nicht bedrohlich ist", so Koordinator Thomas M. Schimmel.
So geht es in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale um das, was manchem am katholischen Gottesdienst fremd ist. Eingeladen hat die "Franziskanische Initiative 1219", der Schimmel angehört. Zusammen mit Bettina Birkner vom Kathedralforum, einer Begegnungsstätte bei der Bischofskirche, gibt er eine Einführung in die Heilige Messe. "Jesus hat kein Messbuch hinterlassen", betont Schimmel und verweist auf die vielen liturgischen Traditionen in der Kirchengeschichte. "Wer mal nicht kniet, sich falsch bekreuzigt oder sich zu früh hinsetzt, der wird nicht vom Blitz getroffen", versichert Schimmel und bringt damit seine Zuhörer zum Schmunzeln - unter ihnen Muslime, Juden und Christen anderer Konfession.
Im Ausland eher katholische Messe
"Ich war beruflich oft länger im Ausland unterwegs", erzählt Katharina Tippmann am Rande. "Wenn man vom deutschen Protestantismus geprägt ist, fällt es aber manchmal schwer, sich in die Freikirchen anderer Länder einzugliedern", erklärt die 35-jährige evangelische Pfarrerstochter, warum sie dann eher katholische Messen besucht. Dort ist "das ein oder andere aber schwer verständlich, wenn man nicht von Kindesbeinen an hineingewachsen ist", betont sie und lobt die Initiative von Schimmel und Birkner. Wen deren Erklärungen neugierig gemacht haben, kann anschließend an einer Messe teilnehmen. "Wer will, darf sich gerne in der Bank neben mich setzen", lädt Gemeindereferentin Birkner ein.
Währenddessen geht es in der Fürstenwalder Straße von Berlin-Friedrichshain ganz anders zu. Die "Paganen Wege und Gemeinschaften" haben keine Dogmen oder streng geregelte Rituale. Rund um ein Lagerfeuer sitzen "Germanen", "Kelten", "Schamanen", "Hexen" und "Druiden". Mancher Besucher mag sich wie in einem Fantasyfilm fühlen. Blumenbekränzte Frauen in wehenden Gewändern, fremdartige Gesänge und Trommelschläge. Berlins "Lange Nacht der Religionen" hat sich erstmals auch diesen Gruppen geöffnet. "Wer mitmachen möchte, kann mitmachen. Wir führen keine Zensur aus", hat Organisator Schimmel zuvor versichert. Voraussetzung ist, dass die Teilnehmer "auf dem Boden des Grundgesetzes agieren und nicht missionieren".
Als Druide Probleme am Arbeitsplatz
Auf Vorurteile haben sich die modernen Heiden dennoch eingestellt, wie ein Flyer verrät. "Plötzlich öffentlich - Wie du dich als Heide auf ein Presse-Interview zu deiner Religion vorbereiten kannst", heißt es darauf. Der Ratgeber weist darauf hin, dass ein Outing als Druide zu Problemen am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft führen könnte. "Überlegt euch, ob es das Risiko wirklich wert ist", rät das Flugblatt. Bernhard Kühn kennt das aus eigener Erfahrung. "Man wird entweder als Nazi oder als Verrückter abgestempelt", beklagt er und überrascht manchen Besucher, als er seinen Beruf angibt: Kühn ist Polizeikommissar.
Seine Hinwendung zum germanischen Heidentum lebt der Beamte dennoch unbeirrt: "Wir feiern verschiedene Jahreskreisfeste und orientieren uns an der isländischen Edda, die skandinavische Götter- und Heldensagen vereint", erklärt der Ordnungshüter die Glaubenswelt seiner Gruppe. "Es gibt bei uns das Zwiegespräch mit den Göttern, bei dem man sich etwas erbitten kann", ergänzt Kühn. Auch Speiseopfer und Heilzauber gehören dazu. "Es gibt aber keinen Priesterstand wie im Christentum, jeder soll seine eigenen Rituale und Kulte pflegen", betont Kühn bei einer der vielleicht ungewöhnlichsten Veranstaltungen dieses Abends. Insgesamt sind nach Angaben der Organisatoren wie im Vorjahr erneut an die 10.000 Besucher gekommen.