Eine sehr katholische evangelische Kirche wechselt den Besitzer

Den eigenen Traum erfüllt: Warum ein Bestatter eine Kirche gekauft hat

Veröffentlicht am 01.06.2025 um 12:15 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 
Der Bestatter René Kullick mit seiner Frau Denise vor der ehemaligen Petrikirche in Castrop-Rauxel.
Bild: © Privat

Castrop-Rauxel ‐ Über 110 Jahre lang diente die Petrikirche den Gläubigen in Castrop-Rauxel als Gotteshaus – bis sie 2023 geschlossen werden musste. Nun zieht ein Bestattungsunternehmen ein. Was der neue Besitzer René Kullick mit "seiner" Kirche vorhat – und warum es ein Herzensprojekt für ihn ist.

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"Irgendwie war das schon lange mein Traum", sagt René Kullick, wenn er über seine Kirche spricht. Und "seine" ist in diesem Zusammenhang ganz wörtlich zu verstehen: Seit Anfang des Jahres gehört dem Bestatter die ehemalige Petrikirche im nordrhein-westfälischen Castrop-Rauxel. Ein Gotteshaus, zu dem Kullick auch persönliche Beziehungen hat: Seine Tochter wurde dort getauft, seine Frau war in ihrer Kindheit mit der Tochter des evangelischen Pfarrers befreundet und spielte regelmäßig in der und um die Kirche. "Das ist eine Kirche, in der ich mich schon immer heimisch gefühlt habe", sagt der Bestatter.

Dass die Petrikirche überhaupt zum Verkauf stand, liegt daran, dass die evangelische Kirche das Gotteshaus 112 Jahre nach der Errichtung aufgegeben musste. "Eine hohe Sanierungsbedürftigkeit und die kontinuierlich sinkenden Gemeindegliederzahlen haben zu dieser Entscheidung des Presbyteriums geführt", heißt es auf der Internetseite des Evangelischen Kirchenkreises Herne. In der Kirche, in der rund 400 Menschen Platz fänden, kämen in der Regel nur 30 Personen zum Gottesdienst zusammen. Bei Taufgottesdiensten oder anderen besonderen Gelegenheiten seien es 80 bis 150 Personen, nur an Weihnachten und zur Konfirmation sei die Kirche ausgelastet gewesen.

Kirche weder gebraucht noch finanzierbar

Dem Presbyterium sei die Entscheidung "alles andere als leichtgefallen", sagte Pfarrer Sven Teschner in dem im November 2023 veröffentlichten Artikel. Bei der Kirche handele es sich um ein schönes, stadtbildprägendes und religiös bedeutsames Gebäude – gleichzeitig koste eine Sanierung "mindestens eine Million Euro". Letztlich habe sich die Gemeindeleitung dazu entschieden, die Kirche aufzugeben, "weil eine so große Kirche an diesem Standort weder gebraucht wird noch finanzierbar ist". Der letzte Gottesdienst wurde am 12. November 2023 gefeiert.

Kirchenfenster Petrikirche Castrop-Rauxel
Bild: ©Privat

Bestatter René Kullick will die ehemalige Petrikirche in Castrop-Rauxel "aufhübschen" – die Kirchenfenster bleiben aber beispielsweise erhalten.

Als evangelische Kirche weist die Petrikirche dabei einige Besonderheiten auf. So finden sich dort einige Elemente, die man sonst nur aus katholischen Gotteshäusern kennt – etwa ein Tabernakel, ein Reliquienaltar oder ein Wandgemälde mit Heiligenscheinen. Grund dafür ist aber keine katholische Vergangenheit der Kirche, sondern ein eigenwilliger Pfarrer mit guten Fundraising-Kompetenzen.

Zerstört durch einen Bombeneinschlag im Zweiten Weltkrieg, wurde die Kirche ab 1946 wiederaufgebaut. Ein Jahr später bekam die Gemeinde mit Alfred Rohlfing einen neuen Pfarrer. Und dieser hatte ein Faible für den Katholizismus, wie das Internetportal "evangelisch.de" 2015 berichtete. Unter seiner Ägide bekam das vorher nur als "Evangelische Kirche Habighorst" bekannte Gotteshaus einen Namenspatron. Rohlfing gelang es demnach, in Zeiten allgemeiner Not genug Geld für einen schnellen Wiederaufbau der Kirche zu mobilisieren. Dabei setzte der Geistliche sich auch mit seinen eigenen Vorstellungen durch und richtete einen Altar mitsamt Reliquiengrab ein – wenn auch ohne Knochen.

Pfarrer ließ sich in eigener Kirche abbilden

Das westfälische Landeskirchenamt stimmte den Umbauplänen zwar nicht zu, der Pfarrer setzte sie aber trotzdem um, ließ einen Tabernakel, Kniebänke und einen Seitenaltar einbauen und erweiterte den Kirchraum bis zu seiner Pensionierung 1970 immer weiter. "Eines der wenigen Dinge, die gegenüber einer katholischen Kirche noch fehlen, sind Weihwasserbecken", sagte die ehrenamtliche Kirchenführerin Petra Schieferstein-Kosthöfer dem Internetportal. Dass es dem Pfarrer nicht gerade an Selbstbewusstsein mangelte, wird auch an einem anderen Detail deutlich: Rohlfink ließ sich in seiner Kirche abbilden. Auf dem Wandbild hinter dem Altar. Als Lieblingsjünger Jesu. Mit dem hellsten Heiligenschein der Kirche.

Auch Bestatter Kullick möchte seine Handschrift in dem ehemaligen Gotteshaus hinterlassen – allerdings auf andere Weise. "Aufhübschen" wolle er die Petrikirche. Große räumliche Veränderungen hat er bisher aber nicht geplant, so Kullick. "Sonst geht auch der Charme der Kirche flöten."

„Für die Bestatter-Branche in Nordrhein-Westfalen ist das schon einmalig“

—  Zitat: René Kullick

Dabei wäre es beinahe nicht zum Kirchenkauf durch den Bestatter gekommen. Als der Verkauf im Raum stand, versuchte Kullick bereits, das Gotteshaus zu erwerben – aber ohne Erfolg. Ein Investor bekam den Zuschlag. Für den Bestatter sollte sich aber eine zweite Chance auf "seine" Kirche bieten: Rund ein Jahr nach dem Verkauf tauchte wieder eine Anzeige mit der Petrikirche auf. "Dann haben wir sofort gesagt: Jetzt schlagen wir zu. Wir machen das", erzählt Kullick im Rückblick.

Für den Bestatter bedeutet der Umzug in die Kirche vor allem Freiheit und Unabhängigkeit. Bei Abschiedsfeiern oder Aufbahrungen muss er sich nun nicht mehr an die festgelegten Zeiträume der Friedhöfe halten, sondern kann den Angehörigen der Verstorbenen auch längere Abschiedszeiten ermöglichen, sagt der Unternehmer. Auch das Büro und ein Hygieneraum, in dem Verstorbene beispielsweise gewaschen werden können, sollen in die Kirche einziehen.

Anfragen seit dem ersten Tag

Und das Angebot scheint auf Interesse zu stoßen: "Seit dem ersten Tag, an dem die Lokalzeitung darüber berichtet hat, haben wir Anfragen bekommen", erzählt Kullick. Einige ehemalige Gemeindemitglieder hätten sich so beispielsweise bereits erkundigt, ob man sich künftig in der Kirche bestatten lassen könne. Bisher sei allerdings noch kein Kolumbarium geplant, sagt Kullick. Auch ungewöhnliche Anfragen, ob dort künftig beispielsweise Konzerte gespielt werden könnten, erreichten den Bestatter. Bei solchen Anfragen ist Kullick bislang aber zurückhaltend. Er wolle erst einmal abwarten, wie sich das Geschäft entwickele und das Angebot angenommen werde.

Ungewöhnlich sind aber nicht nur die Anfragen. Ungewöhnlich ist auch das ehemalige Kirchengebäude als Ort für ein Bestattungsunternehmen. "Für die Bestatter-Branche in Nordrhein-Westfalen ist das schon einmalig", sagt Kullick. Einige seiner Kollegen haben ihm bereits zu seinem Mut gratuliert und ihren Respekt geäußert. "Das ist natürlich eine Lebensaufgabe hier", sagt der Bestatter mit Blick auf den finanziellen und zeitlichen Aufwand, der schon in das Gotteshaus geflossen ist und weiter fließen wird. Doch für ihn bleibt "seine" Kirche eben ein Traumprojekt.

Von Christoph Brüwer