Franziskus geht Schritt auf Piusbrüder zu
Das Heilige Jahr dürfe sich nicht auf Rom und Rom-Pilger beschränken. Es müsse zu einem Erlebnis auch für Christen in Ausnahmesituationen werden, etwa für Kranke oder für Strafgefangene, so der Papst. Der Ablass, der mit einer Prozession durch die Heilige Pforte verbunden ist, kann folglich nicht nur in den vier römischen Papstkirchen, sondern auch in allen Kathedralen der Welt, in Wallfahrtszentren und besonderen Kirchen empfangen werden. Kranke können ihn über die Medien mitfeiern, und Häftlinge können ihn in den Gefängniskapellen erlangen und in ihrer Zelle im Gebet mitvollziehen.
Für besonderes Aufsehen sorgte das Zugehen des Papstes auf die traditionalistischen Piusbrüder. Im Vertrauen, dass "in naher Zukunft" Lösungen für eine volle Einheit erreicht würden, erlaubte er für die Dauer des Jubiläumsjahres das Beichten bei Priestern der Piusbrüder. Wer während des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit das Sakrament der Versöhnung bei deren Priestern empfange, erlange gültig und erlaubt die Lossprechung von seinen Sünden.
Großes Entgegenkommen gegenüber Piusbrüdern
Das ist ein großes Entgegenkommen für eine Vereinigung, deren Sakramente kirchenrechtlich "nicht erlaubt" und auch nur teilweise gültig waren. Nun erklärt der Papst aus pastoralem Bemühen diese Beichthandlungen für erlaubt. Konkrete Hinweise auf Fortschritte im theologischen Dialog und im Annäherungsprozess zwischen dem Vatikan und den Traditionalisten gibt es derzeit gleichwohl nicht. Doch schon bei Pressekonferenzen hatte Franziskus wiederholt den Wunsch und die Hoffnung geäußert, dass die seit 1988 bestehende Spaltung überwunden werde.
Dabei setzt Franziskus auf eine pastorale Linie - anders als sein Vorgänger Benedikt XVI., der in einem theologischen Disput eine dogmatische Annäherung über die Gültigkeit des Konzils und des kirchlichen Lehramts erreichen wollte. Schon seit Franziskus' Amtsantritt war nicht mehr von einer Frist die Rede, in der die Piusbrüder die vorgelegte "lehrmäßige Präambel" akzeptieren sollten - mit dem Wink, dass eine Weigerung den endgültigen Bruch bedeuten könnte. Nun muss sich zeigen, ob diese zeitlich befristete Geste des Papstes festgefahrene Positionen und Frontlinien aufweicht.
Und noch eine weitere Überraschung enthielt das Papstschreiben an den Heilig-Jahr-Organisator, Kurienerzbischof Rino Fisichella: Er erteilte allen Priestern die Vollmacht, im Jubiläumsjahr auch im Fall von Abtreibungen die Absolution zu erteilen. Die Lossprechung für diese schwere Sünde ist ansonsten dem jeweiligen Ortsbischof vorbehalten, der sie an ausgesuchte Beichtväter, die "Bußkanoniker", in bestimmten Kirchen delegiert. Freilich haben die Bischöfe der meisten Diözesen in Deutschland, aber auch in einigen anderen Ländern, diese Vollmacht generell ihren Priestern anvertraut.
Damit solle in keiner Weise die Schwere der Sünde der Abtreibung relativiert oder verharmlost werden, die den Eltern sowie den an einem Abbruch beteiligten Medizinern und Helfern die Exkommunikation bringt, so der Papst. Vielmehr wolle die Kirche die Möglichkeiten erweitern und möglichst vielen Betroffenen eine Aussöhnung nach einer solchen Tat anbieten. Mit beeindruckenden Worten erklärt Franziskus seine pastorale Nähe und sein Verständnis für jene Frauen, die aus einer Notlage abgetrieben haben. Wie beim Zugehen auf die traditionalistische Opposition setzt er offenbar auch bei diesem schwierigen Thema vor allem auf seelsorgerische Nähe und Menschenfreundlichkeit und weniger auf dogmatische Strenge und Härte.