Fast wäre ein Ex-Nuntius wegen Missbrauchs vor Gericht gekommen. Doch Gott war schneller

Dan Brown lässt grüßen

Veröffentlicht am 02.09.2015 um 12:13 Uhr – Von Andreas Öhler – Lesedauer: 
Kolumne

Bonn ‐ In der Vatikan-Kolumne "Franz & Friends" geht es in dieser Woche um den Tod von Ex-Nuntius Jozef Wesolowski. Eigentlich hatte ihm der Vatikan wegen massiven Missbrauchsvorwürfen den Prozess machen wollen - doch am Ende spielte Gott nicht mit.

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War es Mord? War es Suizid? Angeklagt werden sollte Wesolowski wegen sexuellen Missbrauchs. Als Botschafter des Vatikans in der Dominikanischen Republik hatte sich der Würdenträger erwiesenermaßen an mehreren Jungen zwischen 13 und 16 Jahren vergangen. Außerdem befanden sich auf seinem Computer 100.000 kinderpornografische Bilddateien. Im August 2013 wurde er deshalb von Papst Franziskus seines Amtes enthoben, im Sommer darauf versetzte ihn die Glaubenskongregation in den Laienstand. Von September bis Dezember letzten Jahres wurde er im Vatikan sogar unter Hausarrest gestellt, der aber dann aus gesundheitlichen Gründen gelockert wurde. Wegen Wesolowskis Herzproblemen musste der Prozessauftakt vertagt werden.

Tod Wesolowskis ist tragisch - für Franziskus

Der Vatikan ließ den Leichnam obduzieren, auch dort liest man Dan Brown. Doch es war ein natürlicher Tod durch Herzversagen, stellten gleich drei unabhängige Gerichtsmediziner fest. Dass der Angeklagte sich nun vor keinem irdischen Gericht verantworten muss, ist tragisch – für Franziskus. Da hat man endlich einen Papst, der den alten Korpsgeist bekämpft und in Sachen Kindesmissbrauch Transparenz und Gerechtigkeit gegenüber den Opfern walten lassen will. Und dann spielt Gott nicht mit: Derjenige, an dessen Fall ein Exempel hätte statuiert werden können, entzieht sich der Justiz durch sein Ableben. Jetzt gilt das eingespielte "nihil nisi bene".

Hätte der Prozess stattgefunden und wäre das Strafmaß bis zu zehn Jahren Gefängnis von einem vatikanischen Gericht verhängt worden, hätten die Menschen das heilende Gefühl gehabt, dass weltliche Verbrechen von Geistlichen auch weltliche Konsequenzen nach sich ziehen und nicht mal eben weggebeichtet, gesundgebetet oder durch Versetzungen kaschiert werden.

Erinnerungen an Vatileaks

Geht der Vatikan immer noch lax mit Sexualstraftätern um? Noch konnte das Gegenteil nicht bewiesen werden. Dass der angeklagte Ex-Nuntius seinen Prozess nicht mehr erlebt, ist nicht das eigentliche Drama. Viel schlimmer dürfte sein, dass es im Vatikan Würdenträger gibt, die nun aus vollem Herzen aufatmen, weil es zu diesem Verfahren nicht kommt. Es sind dieselben, die die Vatileaks-Affäre nicht etwa als Ansporn zur Inventur sahen, sondern als Medienerfindung.

Vatileaks – erinnert sich daran noch jemand? Hatte das irgendwelche Konsequenzen? Ach ja, es gab einen Prozess gegen den Diener des Papstes, doch der endete wie eine Goldoni-Posse. Der ominöse Band, in dem die Ermittlungsergebnisse festgehalten sind, ist nach wie vor nicht öffentlich einsehbar. Damit bleibt auch der Generalverdacht gegen alle Mitarbeiter der Kurie. Der Tod Jozef Wesolowskis ist kein Grund, nun mit der Aufklärung nachzulassen. Dan-Brown-Fans schlafen nie.

Christ & Welt

Diesen Text der Kolumne "Franz & Friends" publiziert katholisch.de mit freundlicher Genehmigung von "Christ & Welt", einer Beilage der Wochenzeitung "Die Zeit". "Christ & Welt" - das sind sechs Seiten, die sich auf Glaube, Geist und Gesellschaft konzentrieren, sechs Seiten mit Debatten, Reportagen und Interviews aus der Welt der Religionen. "Christ & Welt" ist im Jahr 2010 aus der traditionsreichen Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" hervorgegangen.
Von Andreas Öhler