Erst Bücher, dann Menschen
Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 in Berlin war dabei nur der Höhepunkt einer monatelangen Kampagne der Einschüchterung und des Terrors: Die ersten Bücher loderten schon im Februar 1933, als Verlage, Buchhandlungen und Bibliotheken von SPD, KPD und Gewerkschaften geplündert wurden. Auch die Hitlerjugend suchte in Schulbüchereien nach verfemten Schriften und verbrannte sie bei Schulfesten, Gelöbnisfeiern und öffentlichen Veranstaltungen.
Dass die Kampagne solche Wucht erlangte, verdankte sie in hohem Maße dem Machtkampf zwischen der Deutschen Studentenschaft (DSt) und dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) an den Hochschulen. "Der Staat ist erobert. Die Hochschulen noch nicht. Die geistige SA rückt ein. Die Fahne hoch."
Unter diesem Schlachtruf gingen die Nazis nach der Machtergreifung daran, ihre Herrschaft an den Universitäten auszubauen. Ideologisch gab es dabei zwischen NS-Studentenbund und der Deutschen Studentenschaft kaum Differenzen.
Aufklärungsfeldzug "Wider den undeutschen Geist"
Aber es ging darum, wer das Recht der weltanschaulichen Schulung der Studenten durchsetzte. So gründete im April 1933 die Studentenschaft ein "Hauptamt für Presse und Propaganda". Und kündigte einen Aufklärungsfeldzug "Wider den undeutschen Geist" an, der in Bücherverbrennungen an allen Unis gipfeln sollte.
Weit mehr als 20.000 Bücher kamen allein in Berlin bei den Sammelaktionen zur Bücherverbrennung zusammen. 5.000 Studenten zogen am Abend des 10. Mai in einem Fackelzug zum Opernplatz, begleitet von geschätzten 80.000 Zuschauern.
„Der Staat ist erobert. Die Hochschulen noch nicht“
Gegen Mitternacht hielt Propagandaminister Joseph Goebbels seine Feuerrede: "Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende", lobte er die "starke, große symbolische Handlung". "Wenn Ihr Studenten Euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat in die Flammen hineinzuwerfen, dann müsst Ihr auch die Pflicht auf Euch nehmen, an die Stelle dieses Unrates einem wirklichen deutschen Gut die Gasse freizumachen."
Bis Ende Mai loderten von Königsberg bis Bonn und von Kiel bis München in fast allen Universitätsstädten die Scheiterhaufen. Unter Beteiligung von Rektoren und Professoren verbrannten die Bücher von Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler, Alfred Kerr, Ernst Ottwalt und vielen anderen.
Traurige Tradition
Mit der Bücherverbrennung konnten die Nationalsozialisten auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurückgreifen. Schon der römische Kaiser Diokletian (284-305) ließ Schriften der Christen verbrennen. Durch das ganze Mittelalter ordneten Kaiser, Bischöfe oder Konzilien die Vernichtung als häretisch angesehener Schriften an: Etwa bei der Pariser Talmudverbrennung, bei der 1242 auf Anordnung der Kirche jüdische Bücher aus ganz Westeuropa zusammengekarrt und auf einem riesigen Haufen verbrannt wurden.
Ebenso der "Scheiterhaufen der Eitelkeiten" des Bußpredigers Girolamo Savonarola, der in Florenz 1497 Künstler wie Sandro Botticelli dazu brachte, ihre "Obszönitäten" dem Feuer zu übergeben. Eine Hoch-Zeit brennenden Schrifttums in Europa waren Reformation und Religionskriege.
Unmittelbar beriefen sich die Nationalsozialisten auf das Wartburgfest von 1817, auf dem radikale Burschenschafter "reaktionäre" und "undeutsche" Schriften verbrannten. Heine befand dazu: "Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren!"
Von Christoph Arens (KNA)