Judaist sieht keine Probleme mit Acutis-Heiligsprechung

Die Vorwürfe des Antijudaismus sprechen aus Sicht des Luzerner Judaisten Christian Rutishauser nicht gegen die Heiligsprechung von Carlo Acutis. In seiner Sammlung von eucharistischen Wundern habe Acutis den Antijudaismus des 13. und 14. Jahrhunderts nicht aufgegriffen, sagte Rutishauser am Mittwoch im "Deutschlandfunk". Die Legenden seien zwar mit Antijudaismus behaftet. Acutis spreche in seiner Sammlung aber stets nur von "Ungläubigen", die die Hostien zu schänden versucht hätten. "Das Jüdische ist herausgenommen worden. Es ist nicht mehr antijudaistisch oder antisemitisch, sondern a-semitisch gemacht worden", so der Jesuit.
Acutis habe eine echte Frömmigkeit gehabt. Daher spricht sich Rutishauser für die Heiligsprechung aus. Acutis könne ein Vorbild für junge Menschen sein. Zugleich fordert er aber, dass die Kirche sich mit den antijudaistischen Gehalten von Hostienwunder-Erzählungen befasst und darauf hinweist. Dieser Charakter der Legenden sei in der Erinnerung der jüdischen Gemeinschaft stark. "Deshalb ist es notwendig, dass die Kirche auf die jüdische Gemeinde im Vorfeld zugeht und es kontextualisiert, damit nicht der christliche Glaube gefeiert wird auf Kosten des jüdischen Glaubens." Diese Sensibilität fordere er als Theologe und Judaist. Daran fehle es noch. Oft höre man, dass man einfach den katholischen Glauben feiern wolle, ohne immer alles zu problematisieren. "Aber das ist unterkomplex", so Rutishauser weiter.
Dem zum Zeitpunkt seines Todes fünfzehnjährigen Acutis könne man seinen Umgang mit den Erzählungen und dem darin vertretenen "magischen und naturalistischen Verständnis" von der Eucharistie nicht vorwerfen. "Wenn wir Acutis verehren, dann sollten wir es nicht auf dem Niveau eines Sechzehnjährigen tun, sondern als erwachsene Menschen und mit einem reflexiven Umgang", betonte Rutishauser. Er äußerte Zweifel darüber, ob es beim Selig- und Heiligsprechungsverfahren eine angemessene Sensibilität für die antijudaistische Dimension von Hostienwunder-Erzählungen gegeben habe. Er hätte sich gewünscht, dass diese Aspekte proaktiv angegangen werden.
Kritik vom Antisemitismusbeauftragten
Mitte Juni hatte sich der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisch zur Heiligsprechung von Acutis geäußert und bemängelt, dass der Antijudaismus in Hostienwunder-Erzählungen und seine Folgen im Vorfeld der Heiligsprechung anscheinend keine Rolle gespielt hatte. Es sei dringend geboten, dass dieser Aspekt von den Verantwortlichen in der katholischen Kirche nicht erst auf Nachfrage besprochen und aufgearbeitet werde: "Jetzt wäre die Chance, dazu Stellung zu nehmen."
Der Trierer Liturgiewissenschaftler Marco Benini nahm Acutis gegen Vorwürfe in Schutz. Nach Beninis Einschätzung hat Acutis um diese Zusammenhänge allerdings vermutlich überhaupt nicht gewusst: Er habe lediglich in einer Liste alle Eucharistischen Wunder zusammengestellt, die er im Internet finden konnte. Benini betonte, bei der für den 7. September geplanten Heiligsprechung gehe es nicht um die Heiligsprechung von mittelalterlichen Wundern, sondern um "die Heiligsprechung eines fünfzehnjährigen Jungen, der das gesammelt hat". (fxn)