Bischöfe planen Papier zu sexueller Vielfalt an katholischen Schulen
Bei den Reformdebatten des Synodalen Wegs nahmen Fragen nach Gender, Geschlecht und Queerness einen wichtigen Raum ein. Die gesamtgesellschaftliche und vielfach die Betroffenen verletzende Debatte um sexuelle Vielfalt hat nun auch die katholischen Schulen erreicht.
Die große Mehrheit von 2.000 befragten Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern an katholischen Schulen haben in einer Online-Umfrage den Umgang mit der "Vielfalt sexueller Identitäten" als wichtige Aufgabe für ihre Schule benannt. In der Befragung des Berliner Instituts für christliche Ethik und Politik gaben etwa 20 Prozent an, Diskriminierungen von homosexuell, trans oder nicht binär empfindenden, also queeren Schülern, zu erleben oder zu beobachten.
Die katholischen Bischöfe, genauer ihre Schulkommission unter Leitung von Bischof Heinrich Timmerevers, wollen nun mit einem rund 20-seitigen Papier den Schulgemeinschaften Denkanstöße, Leitlinien und Grundwissen an die Hand geben, um auf die neuen Realitäten und Konflikte reagieren zu können.
"Irritationen abbauen"
Das Papier spricht sich für eine Schule aus, die allen Schülerinnen und Schülern Raum gibt, also auch nicht-binären und nicht-heterosexuellen Jugendlichen, sie sichtbar macht und achtet. Es gelte, "bestehende Irritationen und Verunsicherungen im Umgang mit der Vielfalt sexueller Identität zu benennen und abzubauen", heißt es im Textentwurf.
Der noch nicht fertig bearbeitete und dementsprechend noch nicht veröffentlichte Text soll für die Situation von queeren Schülern und Lehrern sensibilisieren. Er macht darauf aufmerksam, dass viele von ihnen einen jahrelangen, schmerzhaften Prozess von innerer Unsicherheit und Zweifel durchleben. Queerfeindliche Vorurteile, Diskriminierung und Mobbing dürften keinen Platz in katholischen Schulen haben.
Ausgangspunkt des Textes ist die Annahme, dass die geschlechtliche Identität und die sexuelle Orientierung nicht beliebig formbar oder wählbar sind. Erläutert wird, dass Kinder bis zur Pubertät immer wieder "Inkongruenzen" ihrer Geschlechtsidentität erleben können, sie also unsicher über ihre körperliche und seelische Geschlechtsidentität sind. Wenn sich diese Unsicherheit verfestigt, könne es zu einer anhaltenden, leidvollen Geschlechtsdysphorie kommen, so das Papier. Es bezieht keine Stellung zur innermedizinisch umstrittenen Frage, ob und wann geschlechtsverändernde Hormongaben oder Operationen sinnvoll sind.
Die Schule solle einen Raum eröffnen, "in dem Kinder und Jugendliche Gewissheit über ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität erlangen können".
Ziel einer queerfreundlichen Schule sollen laut dem Textentwurf Bemühungen sein, die "ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung" von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen. Dazu gehöre auch, dass Schule einen Raum eröffne, "in dem Kinder und Jugendliche Gewissheit über ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität erlangen können".
Es gelte, die Würde jeder Person zu achten. Um queeren Jugendlichen gerecht zu werden, spricht sich der Textentwurf auch für eine geschlechtergerechte Sprache aus, "in der sich keine Person unausweichlich einem bestimmten Geschlecht zuordnen muss, beziehungsweise von andern zugeordnet wird". Für Lehrerinnen, Lehrer, Schüler, Religionslehrkräfte und Schulleitungen formuliert das Papier je eigene Handlungsempfehlungen.
Wie bei bischöflichen Papieren üblich hat ein redaktionelles Expertenteam den Textentwurf erarbeitet. Der Entwurf muss jetzt von der Kommission und den Bischöfen gebilligt werden.
Kontroverse Diskussion
Vor wenigen Wochen diskutierte der Ständige Rat sehr kontrovers über das Papier. Es meldeten sich Befürworter wie Kritiker zu Wort. Worin genau die Gegensätze bestehen, ist nicht bekannt. Die Bischöfe haben nun mehrere (in der Regel zwei bis vier) Wochen Zeit, Kritik und Änderungswünsche ("Modi") zu formulieren. Diese gehen an die Schulkommission, die das Papier mit dem Arbeitstitel "Geschaffen, geformt und geliebt – Sichtbarkeit und Anerkennung der Vielfalt sexueller Identitäten in der Schule" dann schließlich freigeben und veröffentlichen wird. Wann dies passiert, ist derzeit unklar. Ein Einstampfen und Verzicht auf den Text, wie von manchen Kritikern gefordert, scheint sehr unwahrscheinlich.
Dem Vernehmen nach wird der Text allerdings nicht zu einem Papier der deutschen Bischöfe hochgestuft werden, sondern als Veröffentlichung der Schulkommission firmieren. Wobei dies eher einen symbolischen Unterschied macht. Offenbar ist der Textentwurf bei den Leitern und Leiterinnen der Schulabteilungen der Bistümer auf Zustimmung gestoßen.
Klar ist, dass die Veröffentlichung des Grundlagenpapiers nicht so geräuschlos verlief wie von den Bischöfen gewünscht. Denn nach der Vorstellung im Ständigen Rat brachte sich vor allem der Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann als laute Stimme der Kritiker in Stellung. Mit pointiert vorgetragenen, scharfen Vorwürfen: Das Papier sei unwissenschaftlich, von Wohlfühl- und Akzeptanz-Rhetorik getragen und verschweige die medizinischen und psychologischen Probleme vieler queerer oder trans-empfindender Jugendliche.
Übt Kritik am unveröffentlichten Text: Franz-Josef Bormann.
Bormann stört sich vor allem daran, dass das Papier keine klare Haltung auf Grundlage der katholischen Morallehre beziehe. So werde insbesondere der Grundsatz der Zweigeschlechtlichkeit relativiert. Statt normativer Bewertung gehe es dem Text um "diffuse Respekt-Rhetorik". Auch werde die innermedizinische Kontroverse um die Begleitung und Behandlung von Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorien völlig ausgeblendet.
"Lehrer müssen zum Beispiel wissen, dass eine große Anzahl von Kindern, die trans empfinden, behandlungsbedürftige psychische Begleiterkrankungen hat. Sie benötigen psychotherapeutische Unterstützung", so Bormann. "Und das Papier unterschlägt zudem, dass die allermeisten Unsicherheiten über die eigene geschlechtliche Identität nur zeitlich befristet sind."
Das geplante Kirchenpapier indes formuliert explizit, keine "sexualmoralischen Beurteilungen" vornehmen, sondern schulpädagogische Akzente setzen zu wollen. Das Kapitel zu Transjugendlichen ist relativ kurz gehalten.
Kein Kommentar
Weder die Bischofskonferenz noch die Autorinnen und Autoren des Papiers wollen sich derzeit inhaltlich zur Kritik äußern. Sie verweisen darauf, dass man gerne über das Papier diskutieren könne, wenn es in seiner gültigen Fassung veröffentlicht ist. Kritiker wiederum wollen aber gerade noch vor der Veröffentlichung auf Inhalte Einfluss nehmen.
Klar ist auch, dass es regional entsprechende Schulleitlinien bereits gibt. Zuletzt hat beispielsweise das Erzbistum Hamburg ein Rahmenkonzept für seine katholischen Schulen veröffentlicht. Die Hamburger Leitlinien sollen die einzelnen Schulen zu einem offenen Umgang mit Vielfalt und sexueller Identität ermutigen. "Wir fördern ein Bewusstsein für die Vielfalt von geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen", heißt es dort beispielsweise. Im Erzbistum Freiburg wurde vor einiger Zeit erstmals eine Transperson als Religionslehrer beauftragt. Und im Bistum Passau hat sich eine AG Queer gegründet, die inzwischen eine erste katholische Schule als queerfreundlich ausgezeichnet hat. Gleichzeitig bedauert AG-Sprecherin Rebecca Sürth, dass der Passauer Bischof Stefan Oster keine Segnungen oder Segensfeiern für gleichgeschlechtliche oder queere Paare erlaube. "Wir organisieren Queer-Gottesdienste, aber dürfen queeren Paaren nicht den Segen Gottes zusprechen."
Der Schulpapier-Entwurf geht auf diese Debatte nicht ein. Aber der Text fordert, die Frage nach Gott besonders an den katholischen Schulen wachzuhalten – und dazu gehöre auch die Frage nach der eigenen Identität: "Das Wachhalten der Gottesfrage zeigt sich als erstes darin, die Vielfalt sexueller Identität nicht vor der Gottesfrage abzuschirmen und sie allein der Sexualpädagogik zu überantworten." Identitätsfragen seien Grundsatzfragen, die auch zu Gottesfragen werden: "Was und wie bin ich? Bin ich so, was und wie ich bin, gewollt?"
