Über das Bistum Osnabrück wurde Semih Hasdemir zum Dialogbegleiter

Interreligiöser Dialog an der Basis – ein Muslim berichtet

Veröffentlicht am 27.12.2025 um 12:00 Uhr – Von Beate Kampen – Lesedauer: 

Bonn ‐ Christen und Muslime zusammenzubringen, das ist die Mission einer Schulung im Bistum Osnabrück. Was der Kursteilnehmer Semih Hasedmir dort gelernt hat und wie er sein Wissen nun anwendet, erzählt er im katholisch.de-Interview.

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Wie gelingt interreligiöser Dialog an der Basis? Das Bistum Osnabrück setzt unter anderem auf Bildung und auf Multiplikatoren. In einem fünftägigen Kurs, der in Zusammenarbeit von Bistum, der Katholischen Erwachsenenbildung und dem Islamkolleg Deutschland angeboten wird, kann man sich zum "Dialogbegleiter*in Christentum – Islam" ausbilden lassen. Das hat auch Semih Hasdemir gemacht. Der Muslim in Imam-Ausbildung und angehender Philosophie- und Mathematiklehrer spricht im Interview über seine Motivation für den interreligiösen Dialog und über Probleme, die den christlich-muslimischen Dialog an der Basis erschweren.

Frage: Herr Hasdemir, warum haben Sie sich für den Kurs angemeldet?

Hasdemir: Seit meiner Kindheit gehe ich in eine kleine islamische Gemeinde in Mönchengladbach, wo ich früh die Werke des islamischen Gelehrten Said Nursî kennengelernt habe. Der lebte im ehemaligen Osmanischen Reich und schrieb schon 1911, dass Muslime und Christen sich gemeinsam den Herausforderungen einer säkularen Welt stellen müssen. Über das Islamkolleg, an dem ich mich neben meinem Studium zum Imam ausbilden lasse, wurde ich auf den Kurs in Osnabrück aufmerksam.

Frage: Gab es denn in Ihrer Kindheit in der muslimischen Gemeinde Kontaktpunkte zu anderen Gemeinden oder Religionen?

Hasdemir: Nein, und das finde ich schade. Selbst zwischen verschiedenen muslimischen Gemeinden bemerke ich ein Konkurrenzgefühl. Vor zehn Jahren wollte ich ein gemeindeübergreifendes Projekt für Jugendliche organisieren. Der Moscheevorstand hatte daran aber kein Interesse. Die Angst war zu groß, die eigenen Jugendlichen an andere Gemeinden zu verlieren. Diese Erfahrung hat mich geprägt: Wenn es noch nicht einmal innerhalb einer Religion zum Austausch kommt, wie soll dann eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Religionen entstehen?

Semih Hasdemir ist angehender Lehrer und nun auch zertifizierter Dialogbegleiter.
Bild: ©privat | Montage: katholisch.de

Semih Hasdemir ist angehender Lehrer und nun auch zertifizierter Dialogbegleiter.

Frage: War der Kurs zum Dialogbegleiter dann der interreligiöse Austausch, den Sie gesucht haben?

Hasdemir: Mein Wissen über das Christentum war vor dem Kurs ziemlich begrenzt, da habe ich schon viel dazugelernt. Es ging um Franz von Assisi und seinen Dialog mit dem ägyptischen Sultan bis zum Konzilschreiben Nostra aetate. Für mich war es neu, dass der Vatikan erst im Jahr 1965 anderen Religionen Heiligkeit zugesprochen hat. Als Muslim kenne ich das gar nicht anders.

Frage: Also ging es in dem Kurs vor allem um historisches Wissen?

Hasdemir: Ja, wir haben gelernt, wo es in der Vergangenheit unterschiedliche Formen des interreligiösen Dialogs gab. Gleichzeitig haben wir uns auch mit theologischen Fragen des Dialogs auseinandergesetzt. Da haben wir dann beispielsweise Nostra aetate mit Koranversen verglichen, in denen es darum geht, das Wort zu Andersgläubigen zu suchen.

Frage: Und wer saß mit Ihnen in diesem Kurs?

Hasdemir: Anfangs war der Kurs wohl hauptsächlich für Christen gedacht. Mittlerweile gibt es aber mehr muslimische Teilnehmer als christliche. Die meisten hatten kaum theologisches Vorwissen. Eine Teilnehmerin ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Das war eine ältere christliche Frau, deren Enkeltochter einen Muslim heiraten wird. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie so eine Ehe funktionieren könne, und wollte im Kurs lernen, wie ein Zusammenspiel von Christen und Muslimen gelingen kann.

Frage: Und was machen Sie nun mit Ihrer Ausbildung?

Hasdemir: Gerade bin ich durch mein Studium sehr beschäftigt. Neue Formate des Dialogs zu schaffen, gelingt mir zurzeit nicht. Aber ich versuche, mein Wissen einzubringen, wo es geht. Als muslimischer Notfallseelsorger habe ich zuletzt Polizisten und Feuerwehrleute fortgebildet. Solche Momente nutze ich gerne, um über das zu sprechen, was Christen und Muslime verbindet. Auch in meiner Gemeinde möchte ich junge Menschen dazu animieren, selbst den Dialog mit Andersgläubigen zu suchen.

„Wenn man hier als Teil einer Minderheit geboren wird, fühlt man sich eher gezwungen, in den Austausch zu gehen.“

—  Zitat: Semih Hasdemir

Frage: Warum ist Ihnen der Austausch so wichtig?

Hasdemir: Ich bin aus Überzeugung religiös und interessiere mich auch für andere Religionen. Als Fußballfan eines bestimmten Vereins will ich ja auch wissen, wie andere Mannschaften aufgestellt sind. Ich merke außerdem, dass gerade von muslimischer Seite die Bereitschaft wächst, den Dialog zu anderen Religionen zu suchen. Das ist für mich auch einleuchtend. Wir leben in einem größtenteils christlichen Land, und da sind Nicht-Christen eher sensibel dafür, den Dialog zu suchen.

Frage: Aber Christen dürfen das doch auch gerne tun, oder?

Hasdemir: Ja, natürlich. Aber ich glaube, wenn man hier als Teil einer Minderheit geboren wird, fühlt man sich eher gezwungen, in den Austausch zu gehen. Wenn man die religiöse Mehrheit bildet, ist man vielleicht eher bequem und fragt sich: Warum sollte ich den Dialog zu Muslimen suchen?

Frage: Also bemerken Sie von Seiten der christlichen Mehrheit eine geringere Bereitschaft zum Dialog?

Hasdemir: Ich möchte niemanden verurteilen. Wenn man sich anschaut, wer in der Dialogschulung saß, dann waren das auf muslimischer Seite ausschließlich Menschen mit türkischem Hintergrund. Da saßen keine Syrer oder andere. Menschen mit türkischem Migrationshintergrund leben seit 60 Jahren in diesem Land. Wir haben uns hier eingelebt, sind hier sozialisiert. Menschen, die gerade neu ins Land gekommen sind, haben ganz andere Sorgen. Sie haben meist keine Kapazitäten, sich über Themen wie interreligiösen Dialog Gedanken zu machen. Das könnte eine Entschuldigung für die christlichen Kirchen sein, die Schwierigkeiten damit haben, muslimische Dialogpartner zu finden.

Das Dach der Yavuz Sultan Selim Moschee in Mannheim. Die Moschee liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zur katholische Liebfrauenkirche. Minarett und Kirchturm ragen in den blauen Himmel.
Bild: ©KNA (Symbolbild)

Auch wenn Christen und Muslime nah zusammenleben, hakt es manchmal beim interreligiösen Dialog.

Frage: Müssen sich denn wirklich muslimische Minderheiten, die zusätzlich antimuslimischen Rassismus erfahren, um den Dialog bemühen?

Hasdemir: Die Privilegien, die die Mehrheitsgesellschaft – und oft auch viele Christen – genießen, werden von den meisten gar nicht anerkannt. Muslimisch gelesene Personen, vielleicht auch mit Kopftuch oder Schwarzer Hautfarbe, erleben Herausforderungen, die weiße Menschen nie erfahren. Nicht-Muslime werden von allein nicht verstehen, wie es ist, als Muslim in Deutschland zu leben. Darum müssen wir als Minderheit aktiv dafür sorgen, dass unsere Perspektive gehört wird. Das gilt nicht nur für den Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, sondern für jede Begegnung zwischen Mehrheiten und Minderheiten. Ich bin aber zuversichtlich, dass der christlich-muslimische Dialog ausgebaut wird – auch wenn das Zeit braucht.

Frage: Und was braucht man für mehr interreligiösen Dialog?

Hasdemir: Ganz einfach: Austausch. Wir müssen aufeinander zugehen, das Gespräch suchen und miteinander statt übereinander reden. Mein Nachbar ist zum Beispiel Priester. Den habe ich letztes angesprochen, ob wir uns bald mal treffen können. Ich will wissen, woran er glaubt und von seiner Religion lernen. Solche Gespräche können wir alle führen.  

Von Beate Kampen