Gegenseitige Fortschritte auch ohne gemeinsames Haus

"House Of One": Verständigung wird durch Anschläge wichtiger

Veröffentlicht am 29.03.2025 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 7 MINUTEN

Berlin ‐ Ein gemeinsames Haus der abrahamitischen Religionen – dieses ambitionierte Projekt verfolgt das "House Of One" in Berlin. Bislang steht aber noch nichts. Was nicht heißt, dass in dem Projekt nichts passieren würde.

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Wer in Berlin eines der vielversprechendsten Projekte des Interreligiösen Dialogs besuchen will, steht vor einem Bauzaun. Das "House Of One" steht noch lange nicht, noch nicht einmal die Fundamente sind gegossen. Nur ein kleiner Pavillon wirbt mit großen Visionen. Der ehrgeizige Plan eines Drei-Religionen-Hauses, er ist noch lange nicht Realität. Doch der Noch-nicht-Bau hat eine ganz andere Bedeutung.

Die Ursprungsidee stammt aus dem Jahr 2011: Auf das Gelände der von den DDR-Behörden 1964 gesprengten Petrikirche wollte die evangelische Gemeinde nicht einfach eine Ersatz-Kirche setzen, sondern etwas Neues versuchen. In der multikulturellen Hauptstadt sollte ein Haus für die drei abrahamitischen Religionen entstehen: Ein gemeinsamer Raum in der Mitte, von dem aus drei Türen in eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee führen. Bald fanden sich aus neben der evangelischen noch eine muslimische und eine jüdische Gemeinde, die das Projekt begründeten. Geld wurde gesammelt, an der Architektur gefeilt, ein Bildungsprogramm aufgesetzt, mittlerweile gibt es sogar einen Podcast – alles immer im Dreiergespann der Weltreligionen. 2021 wurde der Grundstein gesetzt. Seitdem ist es still geworden.

Bild: ©katholisch.de/cph

Viel steht noch nicht: Die Baustelle des "House of One".

Der Grund: Der damalige Regierungswechsel. Mit Amtsantritt der Ampel-Koalition mussten mit öffentlichen Geldern finanzierte Bauprojekte deutlich nachhaltiger sein als bisher, sagt der Leiter der Stiftung des Projekts, Roland Stolte. "Da geht es um Geothermie, Bauteilaktivierung und darum, graue Energie zu sparen, also mit den Baustoffen verantwortungsvoll umzugehen." Das "House Of One" bekommt in großem Umfang Förderung von der öffentlichen Hand, musste also neu- und umplanen. Zusätzlich sind in den vergangenen Jahren die Preise für Baumaterialien gestiegen. Es muss also auch noch neues Geld her. All das hemmt den Baufortschritt. "Das Ganze ist eine schwierige Gemengelade", gibt Stolte zu. Die Eröffnungstermine wurden in den vergangenen Jahren immer wieder verschoben. Einen neuen mag er heute nicht nennen.

Bildungsarbeit wird wichtiger

Gleichzeitig ist ein anderer Strang des Projekts immer wichtiger geworden: Die gemeinsame Bildungsarbeit. Denn durch die Anschläge in Aschaffenburg, Mannheim oder München ist die Nachfrage nach Formaten zum interreligiösen und interkulturellen Dialog gestiegen, sagt etwa Bildungsreferent Osman Örs: "Schon seit dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz haben wir hier steigende Zahlen von Anfragen. Durch solche Anschläge wird etwa die Brücke zwischen Juden und Muslimen immer wieder auf die Probe gestellt." Schulen, Polizei, Pflege: Überall wollten Institutionen und Gruppen nun von zwei Vertretern verschiedener Religionen besucht werden, die zeigten, wie man auch über theologische Differenzen hinweg zu einer Verständigung komme. "Es gibt an vielen Stellen eine große Hilflosigkeit der gesellschaftlichen Vielfalt gegenüber." Wie in den meisten Bereichen des "House Of One" wird auch die Bildungsarbeit durch ein Dreierteam bewerkstelligt. Für die christliche Seite macht das Patricia Böckmann: "So schlimm diese Taten auch sind. Sie sind auch eine Motivation für uns, nicht nachzulassen: Denn unsere Arbeit wird wirklich gebraucht."

Bild: ©katholisch.de/cph

Der Leiter der Stiftung des "House of One", Roland Stolte.

Dabei ist die weltpolitische Lage für den Interreligiösen Dialog keineswegs hilfreich: Im Nahen Osten stehen sich etwa Menschen aus der jüdischen wie aus der muslimischen Tradition so feindlich gegenüber wie seit Langem nicht mehr. Wie kann da eine Verständigung allein schon innerhalb des Teams funktionieren? "Es geht am Ende immer um Vertrauen", sagt Böckmann. "Wir teilen uns ein Büro und sehen uns regelmäßig. Das macht natürlich auch etwas mit dem Austausch untereinander." Und wenn doch mal ein falsches Wort fällt, ist das auch kein Weltuntergang, bekräftigen die beiden. "Konflikte bringen uns keine Probleme, wir haben eine gemeinsame Grundlage", so Örs.

Die Vermittlungsarbeit des Teams wird auch deshalb immer relevanter, weil religionsübergreifend die Glaubensbindung in Großstädten wie Berlin enorm nachlässt. "Die Gesellschaft war noch nie so vielfältig wie jetzt", sagt Stolte. Daher werde die interkulturelle Kompetenz wichtiger. Auch, weil das religiöse Wissen über Religionsgrenzen abnehme. "Da unterscheiden die Leute oft gar nicht mehr. Es sind die 'normalen Menschen' auf der einen und die religiösen auf der anderen Seite." Die Menschen an Religion an sich heranzuführen, ist also schon ein Thema an sich. Das führe allerdings auch zu Abgrenzungserscheinungen. "Manchmal schotten sich Minderheiten auch ab, der Argwohn nimmt zu.

Bild: ©katholisch.de/cph, Montage: katholisch.de

Osman Örs und Patricia Böckmann sind für die Bildungsarbeit des "House of One" zuständig.

Das ist auch innerhalb der Religionsgemeinschaften Thema. Denn es gibt gegenüber den Beteiligten durchaus den Vorwurf, sie würden durch ihr Engagement den eigenen Glauben verwässern. Böckmann bleibt dabei aber entspannt – und ist manchmal auch für religiös Unbedarfte dankbar: "Die sind manchmal offener als jene, die denken, sie wüssten schon alles." Klar wird: Frühere Selbstverständlichkeiten gibt es schon lange nicht mehr. Das betont auch Stolte: "Machen wir uns nichts vor, das sind dicke Bretter, die wir hier bohren: Für Empathie, Vertrauen und ein gutes Miteinander."

Das Bauprojekt als Fixpunkt

Was dabei hilft: Das gemeinsame Bauprojekt. "Der Prozess des gemeinsamen Planens schafft eine Gesprächsatmosphäre", sagt Stolte. Interreligiöser Dialog bedeutet hier nicht nur, sich gegenseitig Wertschätzung zu zeigen, sondern tatsächlich an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten – mit all den Widrigkeiten, die damit einhergehen. "Das ist natürlich Methode: Wir gehen durch alle Fortschritte und Hemmnisse gemeinsam, dieser Prozess gibt alles vor. Das ist ein Fixpunkt."

Durch diesen Planungsprozess ist es dem "House Of One" auch bereits gelungen, den Kreis der mit dem Projekt verbundenen zu erweitern. "Das ist ein Fixpunkt, durch den die Strahlkraft des Projekts steigt", sagt Örs. Denn anfangs gab es von jeder Religion lediglich eine Gemeinde – und damit natürlich Vertreter, die dem Austausch mit anderen Religionen per se offen gegenüberstehen. Doch es war den Initiatoren wichtig, diesen Kreis weiterzuziehen. "Bei der Planung der Moschee haben wir etwa auch schiitische Theologen um Rat gefragt. Die haben das Ganze eigentlich kritisch gesehen. Dadurch, dass wir sie um ihren Rat gefragt haben, waren sie aber dann auf einmal Teil davon", erklärt Örs. "Manche konservative muslimische Gemeinde hat über die Jahre festgestellt, dass es sich in einer vielfältigen Gesellschaft lohnt, aufeinander zuzugehen." Das Verständnis sei gewachsen. "Wir können miteinander sprechen, ohne die eigene Identität aufzugeben oder sie jemand anderem überzustülpen."

Bild: ©katholisch.de/cph

Der Grundstein des "House of One".

Dafür braucht es aber auch die passenden äußeren Rahmenbedingungen. Im "House Of One" bestehen die vor allem aus einer Charta. Darin heißt es zum Beispiel: "Ein Dialog der monotheistischen Religionen wäre darum gescheitert, würde er in monologisierende Rechthaberei auf der einen Seite oder die eigene Identität beschneidende Gleichmacherei andererseits münden." Aber auch: "Es ist nicht die Absicht einer Religionsgemeinschaft, die Errichtung und Nutzung des House of One mit dem Ziel eines missionarischen Handelns in Hinsicht auf die anderen Religionsgemeinschaften zu verbinden." Weiterhin ausgeschlossen werden gegenseitiges Verunglimpfen, das Verbreiten von Falschbehauptungen und Politik zu betreiben betreiben.

Ganz ohne Regeln geht es also nicht – und die müssen in jeder Kultur wieder neu gefunden werden. In manchen Ländern Afrikas hilft etwa der gemeinsame fest verankerte Glaube den Menschen, sich auch über Religionsgrenzen zu verständigen. In Europa ist das schon lange nicht mehr so. In eine religionslosere Öffentlichkeit müssen Gläubige gleich welcher Religion neu Sprechen lernen.

Von Christoph Paul Hartmann