Trockenheit und Hitze greifen Gotteshäuser an

Denkmalpfleger: So kann man historische Kirchen schützen

Veröffentlicht am 16.11.2025 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Dresden ‐ Viele Kirchengebäude leiden unter dem Klimawandel. Dagegen hilft aber nicht noch mehr Technik, warnen zwei Denkmalpfleger im katholisch.de-Interview. Sie setzen auf eine Verbindung von Klimaschutz und lokaler Wirtschaft.

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Das Klima verändert sich mit wachsender Geschwindigkeit und greift auch historischen Baubestand an. In Sachsen beobachten Denkmalpfleger die historischen Kirchen des Bundeslandes und suchen nach Mitteln zum Erhalt. Thomas Löther ist Geschäftsführer des Instituts für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt, Stefan Reuther leitet das Referat Restaurierung im Landesamt für Denkmalpflege Sachsen. Beide sprechen über die Herausforderungen des Klimawandels und haben traditionelle Lösungen parat.

Frage: Herr Löther, inwiefern bedroht der Klimawandel historische Kirchengebäude?

Löther: Einige Kirchen können mit den sich wandelnden Klimaverhältnissen nicht gut umgehen, weil sie dafür nicht gebaut worden sind. Jedes Gebäude wird in einem gewissen Klimaumfeld errichtet und das hat zum Teil über Jahrhunderte gut funktioniert. Doch was bei unserem Klima in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren passiert ist, überfordert manche Bauwerke. Während romanische Bauwerke mit dicken Mauern und kleinen Fenstern gut gegen das Außenklima abgeschottet sind und die Veränderungen weniger spüren, können die Kirchen mit großen Fenstern und leichten Holzbalkendecken, wie es sie etwa aus der Barockzeit gibt, das Klima weniger gut puffern.

Frage: Was sind die Hauptprobleme?

Löther: Vor wenigen Jahren war in alten Gebäuden vor allem die Schimmelbelastung ein Problem, die man oft auch mit einer gezielten leichten Temperierung reduzieren konnte. Heute sind die Probleme vielfältiger, denn die Klimaschwankungen im Raum sind viel größer geworden. Wir haben im Jahresverlauf häufiger sehr warme und sehr kalte bzw. sehr feuchte und sehr trockene Perioden – und die werden schwerwiegender. Früher reichte die relative Luftfeuchtigkeit in einem Gebäude von 60 Prozent bis 80 Prozent – heute fällt sie oft unter 40 Prozent oder steigt sogar bis auf 100 Prozent. Solche Zustände wurden früher nicht oder sehr selten beobachtet. Das heißt, eine lange Trockenperiode – mehrere Tage bis Wochen – kann sich in einer Kirche festsetzen. Und gegen Trockenheit kann man nicht gegensteuern, eine Befeuchtung ist viel zu teuer.

Frage: Herr Reuther, welche Teile von Kirchen sind denn besonders betroffen?

Reuther: Wir haben in Sachsen sehr viele barocke oder barockisierte Dorfkirchen mit dicken Mauern, aber auch mit großen Fensterflächen. Dadurch nimmt etwa auch der Lichteinfall zu, sommers wie winters, zusätzlich ist in den vergangenen Jahren die UV-Belastung gestiegen: Sonnenspots können sich auf einzelnen Wandflächen konzentrieren und wenn dort ein Gemälde hängt oder ein Altar steht, dann gibt es an diesen Stellen punktuell klar messbare Schäden. Es entstehen etwa innerhalb weniger Minuten mehrere Grad an Temperaturunterschied und wir beobachten Materialschäden. Dazu fehlen Entspannungsphasen. Früher etwa hat es im Winter immer eine Zeit gegeben, in der es zuverlässig gefroren hat. Das war für Gebäude eine Ruhe- und Trockenzeit: Denn bei so niedrigen Temperaturen können weder Schimmelpilze noch Insekten wie etwa Holzwürmer gut überleben. Doch heute folgt auf eine Nacht mit Frost eine mit Plusgeraden. Also haben Mauerwerk, Holzdecken, Altäre und Gemälde das ganze Jahr lang Stress und werden angegriffen. Wir stellen vermehrt etwa Probleme durch Hausschwamm oder Schädlingsbefall fest. Bei all dem spielt der Klimawandel mit hinein.

Bild: ©Landesamt für Denkmalpflege Sachsen/Sabine Webersinke

Stefan Reuther (l.) zeigt Schäden an der bemalten Holzbalkendecke in der Kirche Leubnitz-Neuostra, neben ihm Thomas Löther (r.)

Frage: Aber würde es da nicht einfach reichen, Anlagen einzubauen, die Luftfeuchtigkeit und Temperatur regeln – wie etwa in einem Museum?

Löther: Technische Anlagen sind keine ideale Lösung. Erstens sind sie sehr oft mit erheblichen Eingriffen in die Gebäudesubstanz verbunden. Zweitens sind sie sehr teuer, in der Anschaffung wie im Unterhalt. Das ist für eine Kirche mit zurückgehender Mitgliederzahl kaum zu schaffen. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen etwa fördert kaum noch Heizungsanlagen. So eine Anlage funktioniert zehn Jahre gut, wenn man Glück hat, sind es 15 Jahre. Dann gibt es keine Ersatzteile und Softwareupdates mehr – und eine neue Anlage muss her. Das ist jeweils wieder mit einem baulichen Eingriff verbunden. Das funktioniert alles nicht wirklich. Den hohen Temperaturschwankungen ist mit Technik kaum beizukommen. Wir haben jetzt schon oft mit der Technik von späteren "Modernisierungen" zu kämpfen.

Frage: Inwiefern?

Löther: Alte Balken- oder Stuckdecken wurden in der Erbauungszeit oft mit Lehm ausgebildet. Der ist sehr schwer. Kirchenböden wurden oft mit selbstgebrannten Ziegeln ausgelegt, die sich ausgetreten haben. Vor allem in den vergangenen Jahrzehnten hat man Lehmschichten entfernt und einfach zu reinigende Böden verlegt. Beides fällt uns heute auf die Füße: Die jetzt so leichten Decken haben keinen thermischen Puffer mehr. Wenn der Kirchenraum kühl ist, das Dach aber in der Sonne liegt und sich aufheizt, steht die Decke unter Spannung. Moderne Böden sind nahezu dicht und lassen weder Wärme noch Feuchtigkeit durch, auch dadurch entstehen Stresssituationen.

Reuther: Auch die Nutzung spielt eine Rolle: Die Gemeinden werden kleiner, die Gottesdienste seltener. Dadurch sind viele Gebäude zum Teil über einen längeren Zeitraum in einer Art Standby-Betrieb, für den sie nicht gemacht sind. Auf der anderen Seite gibt es dann Konzerte oder Ausstellungen, zu denen in kürzester Zeit sehr viele Menschen in den Raum kommen. Gerade bei Konzerten im Winter ist zudem relevant, dass ein Gebäude für diesen Anlass aufgeheizt wird – und es danach wieder kalt und menschenleer wird. Das verursacht enorme Schäden.

Frage: Was können Kirchgemeinden denn tun, wenn eines ihrer Gebäude renovierungsbedürftig ist?

Löther: Sich erstmal für ihre Gebäude interessieren und Daten sammeln. Ich würde keinem Planer irgendetwas empfehlen, ohne für ein Gebäude nicht individuelle Daten zu haben. Etwa die Raumklimasituation zu erfassen, damit wir wissen: Hat diese Kirche eigentlich ein Problem mit dem Klima? Das kann je nach Standort sehr unterschiedlich sein. Zudem geht es um die Einrichtung der Kirche: Manche Wandmalereien sind sehr widerstandsfähig, manche fein geschnitzten Altäre dagegen sehr empfindlich. Diese Bestandserfassung ist wichtig, denn dann kann man Schäden auch Phänomenen zuordnen. Das ist wie bei Brandmeldern: Regelmäßige Wartung ist essenziell. Ebenso muss man im Blick behalten, welche Materialien in welcher Weise auf Klimaveränderungen reagieren.

Reuther: Jedes Denkmal ist einzigartig. Es gibt keine Standardlösungen. Wichtig ist, mit den Kirchgemeinden in den Dialog zu treten und mit den Bauverantwortlichen der Landeskirchen gemeinsam Lösungen zu finden.

Frage: Haben Sie da generell schon Erkenntnisse oder Empfehlungen?

Reuther: Unser Mantra ist mittlerweile Low Tech. Keine große Technik einbauen, sondern darauf schauen, wie dieses Gebäude ursprünglich funktioniert hat. Denn wir brauchen Gebäude, die für sich wirken. Es reicht oft schon, einen Sensor zu haben, der Temperatur und Luftfeuchtigkeit misst. Je nachdem kann dann ein Mensch ein Fenster aufmachen oder eine Maschine schiebt ein Fenster auf. Das verbraucht wenig Energie und wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Ebenso mit dem direkt einfallenden Sonnenlicht: Da reicht es manchmal schon, eine Stoffbahn aufzuhängen.

Bild: ©Landesamt für Denkmalpflege Sachsen/Sabine Webersinke

Wichtig für die Erhaltung historischer Kirchen: Daten sammeln.

Frage: Also eine Rückkehr zu Altbewährtem?

Reuther: Auf jeden Fall. Auch bei der Wahl der Materialien: Lehm zum Beispiel ist ein wunderbares Material, denn er nimmt Feuchtigkeit auf und gibt sie auch wieder ab. Zudem ist er ein thermischer Puffer. Oder Kalkputze: Auch die wirken feuchteregulierend. Dagegen funktionieren einige moderne Wandfarben wie eine Gummihaut und können sogar schimmelanfällig sein. Ebenso bei den Fenstern: Ein Ölanstrich transportiert die Feuchtigkeit, moderne Lackfarben dagegen sind oft vollständig dicht – wenn da ein Riss entsteht und Feuchtigkeit eintritt, kommt sie da nicht mehr hinaus. In unserer Erfahrung sind es klassische, regional verfügbare Materialien wie Holz, Leinöl, Kalk oder Ziegel, die in unserer Klimasituation gut funktionieren.

Frage: Es geht also auch um die Handhabe der Materialien?

Reuther: Klassische Handwerkstechniken, lokale und regenerative Materialien – das hilft uns weiter. Industriell hergestellte Produkte, selbst wenn sie auf Denkmale ausgelegt sind, funktionieren wegen ihrer zahlreichen Zusätze langfristig oft nicht so gut. Bei der Denkmalpflege geht es also viel um traditionelle Handarbeit, lokale Baustoffe – das ist alles auch ökologisch nachhaltig. Doch da lauern auch Probleme: Kleine Baubetriebe können das oft nicht mehr, haben Angst wegen einzuhaltender Normen und die Baupreise sind sowieso schon hoch. Aber im Denkmal brauchen wir den Mut, uns von gängigen Korsetten zu lösen und individuelle Lösungen zu finden. Wir haben hier Gebäude, die stehen seit 600 Jahren – da ist jede Norm absurd. Aber sie funktionieren.

Löther: Ein schönes Beispiel ist die Kirche in Lausa in der Nähe von Torgau. Die wurde denkmalpflegerisch vorbildlich saniert – weil nur repariert wurde. Der alte Ziegelfußboden ist noch drin, es gibt kaum Elektrik in dem Haus. Die steht wie eine Eins.

Frage: Was ist generell wichtig, wenn sich Menschen Gedanken über die Zukunft ihrer Kirchen machen?

Reuther: Nur ein adäquat genutztes Denkmal ist in seiner Substanz gesichert. Für Denkmale, die ihre Nutzung verloren haben, wird es schwierig. Das gilt für Bahnhöfe, Dorfgasthöfe oder Schlösser und Landhäuser, Pfarrhäuser und Kirchen. Deshalb brauchen wir einen Dialog etwa mit einer Kirchgemeinde und Kirchengremien, wie denn die eigene Kirche in Zukunft genutzt werden soll. Wenn man dann auch im Kopf umdenkt, weg von industriellen hin zu individuellen Lösungen, ist man schon auf dem richtigen Weg.

Seit Februar 2023 läuft am Landesamt für Denkmalpflege Sachsen ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördertes Forschungsprojekt, das sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf wertvolle alte Holzbalkendecken und der Entwicklung sowie Bewertung unterschiedlicher Dämmsysteme innerhalb der Deckenaufbauten beschäftigt.

Von Christoph Paul Hartmann