Kanonist Loretan: Menschenrechte müssen auch in der Kirche gelten

Der Schweizer Kirchenrechtler Adrian Loretan sieht im Kirchenrecht nach dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869–1870) eine Mitursache der Missbrauchskrise. Sexualisierte Gewalt als Folge von Machtmissbrauch sei eine Folge fehlender Menschenrechte in der Kirche, sagte er im Interview mit "kath.ch" (Montag). Nach dem Ersten Vatikanum sei die Macht der Hierarchie in ihrem Recht einseitig betont worden. Dagegen stellt Loretan den Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965), das mit seiner Erklärung über die Religionsfreiheit die abwertende Haltung gegenüber dem modernen Verfassungsstaat aufgegeben habe: "Man nimmt dieses säkulare rechtliche Argumentieren mit individuellen Menschenrechten im Rechtsstaat auf."
Immer noch gebe es aber einige Bischöfe, die dächten, Menschenrechte seien nur im Staat relevant und hätten nichts mit der Kirche zu tun. "Sie kennen die eigene demokratische Rechtstradition, die die Menschenrechte schon im 16. Jahrhundert postulierte, nicht", betont Loretan dagegen unter Verweis auf den Dominikanertheologen Bartolomé de Las Casas, der im 16. Jahrhundert Menschenrechte für Indigene in Südamerika einforderte. Auch heute gebe es noch viel zu tun: "Ohne strukturelle Veränderungen werden wir die Rechte der Betroffenen nicht wirklich schützen können."
Loretan spricht sich dafür aus, in Anlehnung an die Rechtstradition der Alten Kirche im ersten Jahrtausend Demokratie und Hierarchie zusammenzudenken: "Die hierarchische Tradition der Bischöfe und die synodaldemokratische Rechtstradition gehören in der Alten Kirche zusammen." In seiner Arbeit sei es dem Kirchenrechtler darum gegangen, eine theologisch begründete Rechtstradition der Kirche aufzuzeigen, "die Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Demokratie entwickelte, um auch die heutigen Probleme aufarbeiten zu können". (fxn)