Pfarrer Rainer Maria Schießler kellnert 16 Tage auf der Wiesn

A Hendl, a Maß und a Gespräch

Veröffentlicht am 01.10.2015 um 13:31 Uhr – Von Gudrun Lux – Lesedauer: 
Oktoberfest

München ‐ Rainer Maria Schießler ist Pfarrer. Doch während des Oktoberfests tauscht er 16 Tage lang die Kirche mit dem Bierzelt. Für den guten Zweck schuftet Schießler 12 Stunden am Tag auf der Wiesn Und zwischendurch bleibt sogar noch Zeit für Seelsorge.

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Der "Schottenhamel", das ist nicht irgendein Wiesnzelt, sondern das traditionsreichste. Hier sticht der Oberbürgermeister das erste Fass an und ruft "Ozapft is". Jahrelang investierte Pfarrer Rainer Maria Schießler zwei Drittel seines Jahresurlaubs, um im Schottenhamel-Biergarten zu kellnern. Seinen Verdienst spendete er für ein Hilfsprojekt an der Elfenbeinküste. 2012 erklärte er dann: Jetzt ist Schluss.

Den Pfarrer von St. Maximilian, den kennt man in München. Seit mehr als 20 Jahren ist Schießler schon im Glockenbachviertel, in dem die Schwulenszene der Stadt zu Hause ist. Den Wandel seines Gemeindegebiets hin zum teuren, hippen In-Viertel, hat er mitgemacht und begleitet ihn kritisch. Die sozialen Veränderungen treiben ihn um. Er ist Vollblut-Münchner, wuchs ganz in der Nähe der Wiesn auf. Er spricht mit weichem, bayerischem Akzent und man merkt, wie sehr er Bayern, Trachten und Traditionen liebt.

"Jesus fragt: Für wen?"

Aber das genügt ihm nicht. Seine Heimat ist die Welt, manche mögen auch sagen: und die Bühne. Denn Schießler weiß sich zu inszenieren, er erreicht Menschen und Medien - seine Gemeindegottesdienste sind gut gefüllt und es kommt schon vor, dass nach seinen Predigten applaudiert wird. Jahrelang schrieb er eine Kolumne in der Abendzeitung, er hat eine eigene Talkshow im Bayerischen Fernsehen. Wenn Schießler sagt: "Ich geh wieder auf die Wiesn", dann ist ihm Aufmerksamkeit gewiss. Die Zeitungen berichten. Das Fernsehen war schon da. Ein Interview hier, ein O-Ton dort.

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Video: © Katholische Fernseharbeit

Der Münchener Kirchenstar Pfarrer Rainer Maria Schießler über seine großen Leidenschaft fürs Kellnern und warum Flüchtlinge und Wiesn zusammengehören.

Aber warum macht er das? 16 Tage durchschuften, zwölf Stunden am Tag Bierkrüge schleppen, Tische abräumen, hinter Leuten herputzen. Alles nur eine Medienoffensive? "Nein", sagt er und wird ganz ernst. "Kinder fragen uns: Warum? Erwachsene fragen: Wozu? Jesus fragt: Für wen? - Ich kann das ganze hier nur machen, weil ich es für jemand andern mache. Geld ist kein Grund. Bierzelt, Oktoberfest: kein Grund. Es gibt Leute, die sind damit zufrieden. Mir reicht es nicht." Schießlers Ziel: Er will auf Christian Springers "Orienthilfe e.V." aufmerksam machen. Dahin fließt sein Lohn dieses Jahr, dafür steht er hier, auf der Galerie, mit seinem herzlichen Lachen und seiner ordentlichen Erkältung - "jedes Mal, die Wiesn macht einen echt fertig".

Den Christian Springer, den kennt man auch in München, in Bayern. Lang ist der Kabarettist zum Beispiel als "Fonsi" aufgetreten, die Rolle ging als Spitzname auf ihn über. Seit 2013 ist er einer der beiden Moderatoren des "schlachthof" im Bayerischen Rundfunk. Er ist scharfzüngig und menschenfreundlich. Und er ist Schießlers Freund. 2012 gründete er den Orienthilfe-Verein, regelmäßig fährt er in den Libanon, nach Jordanien und Syrien. Er ist im Bilde über das, was dort geschieht. Er organisiert humanitäre Hilfe. Er arbeitet dafür, dass Menschen vor Ort eine Perspektive haben.

"Da geht einer zu den Menschen hin", sagt Pfarrer Schießler. "Der bringt ihnen nicht nur materielle Hilfe, der bringt ihnen vor allem Würde. Um das zu unterstützen bin ich hier. Wenn ich nicht wüsste, dass ich hier jeden Tag mit ein paar hundert Euro Lohn rausgehe und dass der diesem Zwecke dient, dann würde ich das nicht machen. Da bleib ich lieber daheim auf dem Kanapee hocken, kurier mich aus und schau 'Sturm der Liebe'."

Bild: ©picture alliance / BREUEL-BILD

Der "Schottenhamel" ist das traditionsreichste Bierzeit auf dem Oktoberfest in München.

Aber das Geschäft läuft nicht so gut für die Wiesnbedienungen dieses Jahr, es gibt zu viele Kellner und zu wenig Gäste. Den Tageslohn könnte einer wie Schießler mit ein, zwei Vorträgen reinholen. Es geht ihm um die Aufmerksamkeit, die hat er hier. Diese Rechnung ist aufgegangen, sein Fingerzeig funktioniert. Manche Gäste kommen extra seinetwegen und drücken ihm direkt etwas für die "Orienthelfer" in die Hand, erzählt Schießler: "Heut waren fünf alte Frauen da von einem Frauenbund, die sagen dann: Wir wollen Sie mal sehen, eine Maß Bier vom Pfarrer bekommen und das Geld wollen wir Ihnen persönlich geben."

Der Pfarrer als Dreckwegmacher

Auf dem Oktoberfest ist der Gemeindepfarrer ein richtiger Arbeiterpriester. Er macht einfach mit, er ist mittendrin. "Ich bin hier der Abräumer, der Dreckwegmacher". Es sei eine Chance auch mal abzutauchen in eine ganz andere Existenz, erzählt er. "Einfach mal runterkommen", sagt der Mittfünfziger und spricht davon, dass es gut tue, dieses Konträre - nicht nur Theologie betreiben, sondern etwas ganz anderes tun. Arbeiten. Bier schleppen. "Man müsste vielleicht noch den ein oder andern Pfarrer rausschicken." Gastronomie ist "die härteste Herausforderung", findet Schießler. Die Wiesn allemal - schon akustisch: "Von 12 mittags bis in die Nacht diese Musik hier zu hören! Das geht mittags immer mit dem selben Marsch los - und täglich grüßt das Murmeltier - also wirklich, da flippst du aus."

Aber Schießler versteckt sich hier nicht, er ist "der Pfarrer" und das weiß auch ein jeder. An seiner Weste ist eine Wäscheklammer, die es verrät - gleich neben den beiden Herzerl, auf denen "Rainer" und "Single" steht. Denn er ist doch Seelsorger, auch im Schottenhamel. "A Hendl, a Maß und a Gespräch", bestellt manchmal wer. Dann nimmt der Pfarrer sich zehn Minuten Zeit und hört zu. Er ist wieder da.

Von Gudrun Lux