Eine Primas für Englands anglikanische Kirche
First we take London – then we take Canterbury! So könnte die anglikanisch-weibliche Variante von Leonard Cohens Welterfolg "First we take Manhattan" lauten: Erst übernehmen wir London, jetzt Canterbury! Die bisherige Bischöfin von London, Sarah Mullally, ist am Freitag von König Charles III. zum 106. Erzbischof von Canterbury ernannt worden. Die verheiratete Mutter zweier Kinder ist damit erste Erzbischöfin der anglikanischen Kirche von England – und damit auch die erste Primas, also zweithöchste Repräsentantin der Church of England nach dem Monarchen. Vorausgegangen war ein Auswahlprozess der zuständigen Crown Nominations Commission.
Durchmarsch in einem Dritteljahrhundert
Ziemlich genau ein Dritteljahrhundert dauerte es, bis eine Frau nun die oberste Stufe der Karriereleiter in der Kirche von England erklommen hat. Im November 1992, vor 33 Jahren, beschloss die Generalsynode die Zulassung von Frauen zum Priesteramt – mit einer hauchdünnen Mehrheit. Die Freigabe des Frauenpriestertums führte die Kirche an den Rand der Spaltung; der Beschluss löste eine regelrechte Abwanderungswelle zum Katholizismus aus. Damals konvertierte sogar der Londoner Bischof Graham Leonard (1921–2010), die Nummer drei der Kirchenhierarchie; er wurde einfacher katholischer Pfarrer.
Der Beschluss ist heute längst unumkehrbar. Inzwischen ist bereits jeder dritte anglikanische Geistliche in England weiblich. 2014 wurden Frauen auch zum Bischofsamt zugelassen. Nach der Ernennung zweier Weihbischöfinnen wurde im März 2015 Rachel Treweek Bischöfin von Gloucester und damit die erste Diözesanbischöfin der Kirche von England.
Erzbischof John Sentamu von York hatte im Januar 2015 bei der Weihe der ersten Weihbischöfin Libby Lane gesagt, es sei "höchste Zeit für Frauen im Bischofsamt". Schon seit dem frühen Christentum seien Frauen "das Rückgrat der Kirche", "unentdeckt, unbesungen und unschätzbar". Bereits in wenigen Jahren werde man sich fragen, wie man je ohne Bischöfinnen habe auskommen können.
Eintrübung in der Ökumene
Für diese späte Frauenförderung nahm die liberalere Mehrheit der Anglikaner eine deutliche Eintrübung in der Ökumene in Kauf. Viele katholische Bischöfe, vor allem aber Kirchenleitungen der orthodoxen Welt waren "not amused", es nun auch in der anglikanischen Mutterkirche von England mit Bischöfinnen zu tun zu bekommen. Sie sehen darin einen Bruch der Tradition.
Die Freigabe des Frauenpriestertums führte die Kirche an den Rand der Spaltung; der Beschluss löste eine regelrechte Abwanderungswelle zum Katholizismus aus.
Und auch die anglikanische Kirche selbst ist innerlich zerstritten über Fragen der Kirchendisziplin, nicht zuletzt die Frauenfrage, aber auch den pastoralen Umgang mit Homosexuellen, Homosexualität und kirchlichem Amt etc. Fast traditionell fliegen in der anglikanischen Weltgemeinschaft die Fetzen zwischen Liberalen und Konservativen, zwischen "dem Westen" und dem globalen Süden ("Global South").
Emotionale Klugheit und Gewandtheit, die man ja eher Frauen als Männern nachsagt, dürfte der Sache da einerseits gut tun. Andererseits gibt es auch in der Welt der Anglikaner durchaus männliche Vertreter, die sich schwer tun werden mit einer Frau an der Spitze.
Frauen und Missbrauch
Über eine gewollte Frauenförderung hinaus – die in den vergangenen Jahren bei Personalentscheidungen nicht zu übersehen ist – dürfte noch ein Argument für die Ernennung einer Frau gesprochen haben: Beim Thema sexuellem Missbrauch haben es die Männer buchstäblich versaut. Nicht nur, dass auf der Täterseite weitaus mehr Männer als Frauen zu finden sind. Auch bei der Aufarbeitung und beim Aufräumen konnten die Bischöfe nicht überzeugen. Mullallys Vorgänger in Canterbury, Justin Welby, erklärte wegen Fehlern im Umgang mit Missbrauchstätern sogar Ende 2024 vorzeitig seinen Rücktritt. Zeit, dass sich was dreht...
Als "Geistlicher Lord" ist Sarah Mullally auch geborenes Mitglied des britischen Oberhauses. Für die Geschichtsbücher: Ab 2025 war eine Frau anglikanischer Primas und ein Mann bereits Queen. Die Zeiten haben sich wirklich gründlich geändert.
