Kardinal Marx: Als Politiker hätte man mich wohl aussortiert
Kardinal Reinhard Marx (72), Erzbischof von München und Freising, ist rückblickend sehr froh darüber, Priester geworden zu sein. Allerdings hätte er sich auch vorstellen können, an eine Schule zu gehen, sagte der Kardinal in einem Interview des Bayerischen Rundfunks (BR). So glaube er, gut dozieren und erklären zu können. Gereizt hätte ihn auch die Politik. Im Nachhinein wäre das aber weniger in Frage gekommen. Schon allein, wenn er daran denke, was Politiker heute aushalten müssten. "Ich glaube, da wäre ich dann bald aussortiert worden als einer, der zu lange redet und zu viel differenziert und nicht klar auf den Punkt kommt."
Marx: Kulturelle Vielfalt muss in Städten sichtbar sein
Weiter hält Marx es eigenen Worten zufolge für wichtig, "dass unsere Städte und unsere Stadtentwicklung vielfältig bleiben". Das Stadtbild müsse sich positiv verändern, immer in dem Sinne, "dass alle sich wohlfühlen und dass alle miteinander im Gespräch sind", sagte der Kardinal. Kulturelle Vielfalt müsse sichtbar sein, zudem müsse das alles in Frieden und Toleranz geschehen. Eine Stadt müsse sich überlegen, wie sie ihre Entwicklung plane, wo Wohnungen entstehen sollten und ob sie auch erschwinglich für Menschen mit geringerem Einkommen seien, so Marx. Es stelle sich die Frage, ob es eine Chance gebe, dass sich bürgerliche Kreise und andere zusammentäten. Die Menschen sollten gemeinsam leben. Dies gelte unabhängig davon, ob es Deutsche oder Ausländer seien. Stadtviertel dürften sich nicht abschotten. Aber dafür müsse man eben auch etwas tun.
Marx sagte, ihn ärgere, dass das Migrationsthema derzeit wie ein Bedrohungsszenario entfaltet werde. Es gelte, die positive Botschaft zu senden, dass Deutschland froh sei, dass viele Menschen gekommen seien und arbeiteten. "Die Migration ist notwendig für uns." Es sei nur ein kleiner Teil an Migranten, die kriminell geworden seien und abgeschoben werden sollten. Angesichts der demografischen und wirtschaftlichen Situation gelte es, Migration als Chance zu betrachten. Allerdings müsse noch mehr, auch finanziell, für Integration getan werden. Auch die Kirche leiste dazu ihren Beitrag.
Nach Angaben des Senders wurde das Interview am 13. Oktober aufgezeichnet, also noch bevor Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Zusammenhang mit Migration von einem "Problem" im Stadtbild sprach. Ende September hatte bereits CSU-Chef Markus Söder im "Münchner Merkur" gesagt, das Stadtbild müsse sich wieder verändern, es brauche mehr Rückführungen. Ausschnitte aus dem Interview mit dem Kardinal sind in der Sendung "Stationen" des BR-Fernsehens am Mittwoch um 19 Uhr zu sehen.
Marx: Gott darf nicht politisch vereinnahmt werden
Marx bezeichnete es zudem als Blasphemie, wenn Gott politisch vereinnahmt wird. Laut den Zehn Geboten dürfe der Name Gottes nicht missbraucht werden, nicht für die eigenen Zwecke, nicht für eine politische Partei, nicht für eine Ideologie oder kulturelle Identität, sagte der Kardinal. In allen Religionen gebe es die Tendenz, Gott zu missbrauchen für die eigenen Belange, erklärte Marx: "Manche Religion oder manche Religionsführer befördern das. Sie werden nicht nur instrumentalisiert, sie machen mit. Das halte ich für eine ganz schlimme Sache."
Er hätte nie erwartet, dass Religion heutzutage wieder eine solche Instrumentalisierung durch die Politik erfahre, erklärte der Kardinal. Dies gelte gerade für die USA, wo die Trennung von Religion und Politik eigentlich verfassungsmäßig vorgegeben sei. Auf einmal sei da nun wieder die Vermischung. Das treffe aber auch für Russland zu, wenn der Patriarch dort einen "heiligen Krieg" gegen den dekadenten Westen ausrufe. Für die Zukunft, auch der Religion, sei eine solche Vereinnahmung gefährlich, warnte Marx. Denn in einigen Jahren würden manche Leute Religion vielleicht in einen Topf werfen und sagen, "die Religionen sind eben die, die einfach nur mitschwimmen, wenn da gerade mal einer mächtig wird und wenn einer seine Ideologie noch mal antreiben will". (tmg/KNA)
22.10., 13:10 Uhr: Ergänzt um politische Vereinnahmung Gottes.
