Schwester Johanna Domek über das Sonntagsevangelium

Der heilige Raum in meiner Lebensmitte

Veröffentlicht am 08.11.2025 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 
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Köln ‐ Gott ist überall gegenwärtig – und doch kennen Religionen heilige Räume, die es zu achten und zu schützen gilt. Im Sonntagsevangelium begegnet Schwester Johanna Domek einem ungewohnt empörten Jesus, der energisch eingreift, um den Raum dieser Gottesbegegnung trügerischem Treiben zu entreißen.

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Es gibt wohl nur wenige unter uns, die sich noch nie vom Zorn haben hinreißen lassen. Im Evangelium heute sehen wir einen empörten Jesus, der von Wut gepackt die Fassung verliert, wie nirgends sonst in den Evangelien, und dreinschlägt, um im Vorhof des Tempels unter denen, die dort ihre Geschäfte machen, aufzuräumen.

In einem der Tagesgebete der Kirche heißt es: "Gott, deine Gegenwart umhüllt und durchdringt uns, wie die Luft, die wir atmen, ohne die wir nicht leben können…" Da weiß der Glaubende, Gott ist überall gegenwärtig, auch auf den Marktplätzen, Shoppingmeilen, in Banken und sogar in Räuberhöhlen der Welt, nirgendwo bleibt er fern.

Und doch gibt es in allen Religionen den besonderen, aus dem Profanen ausgegrenzten, heiligen Raum, wie Kirchen es sind oder der Tempel es war, die wir nicht entheiligen dürfen, ohne Schaden zu nehmen an unserm Leben. Diese Orte sind wichtig im Gefüge der vielen Räume in der Welt, sie sind kostbar. Auch wenn sie gebaut wurden, um Gott die Ehre zu geben, sind sie kostbar nicht primär für Gott, sondern für uns selbst.

Theresa von Avila (1515–1582), Karmelitin und Mystikerin, Reformatorin ihres Ordens und Kirchenlehrerin der katholischen Kirche, beschreibt in ihrem Hauptwerk "Die Seelenburg" das Innere eines Menschen als Burg mit vielen Wohnungen und Räumen. Unter all den verschiedenen Räumen gibt es das, was sie eine "innere Kammer" nennt. Das ist das Zentrum der Burg, der besondere Raum, in dem allein Gott und die Seele ganz zueinander finden.

Der Alltag hat seinen Raum, wo Betrieb herrscht, und die Dinge geschehen oder erledigt werden, die alle zum Leben gehören. Aber wo das alles füllt, wenn das sich überall breit macht, alles beherrscht, den wichtigsten Ton angibt, da verliert das Leben seinen tiefsten Grund, seinen wichtigsten Klang. Das mag als Fülle daherkommen, es erfüllt den Menschen doch nicht.

Der Grundklang des Lebens kommt aus einer Mitte, wie sie in den Tempeln und Kirchen der Welt gehütet wird. Da hat die Stille ihren lebendigen Ort, davon zeugen die Gebete und das gotterfüllte Schweigen. Viele, die auf ihren Wegen durch die Stadt in eine Kirche eintreten, wissen darum, haben eine Ahnung davon und eigene Erfahrung damit.

Ohne immer wieder damit in Berührung zu bleiben, gewinnt das Böse in all seinen Gestalten und Schattierungen. In irgendeiner konkreten Form brauchen wir es selbst, dass wir das Heilige heilighalten und den Betrieb des Alltags nicht auf unseren ganzen Lebensraum zugreifen lassen. Versuchen wir aber, uns nicht bloß zu empören, schon gar nicht zuzuschlagen, sondern eher still und geduldig anders zu leben.

Evangelium nach Johannes (Joh 2,13–22)

Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf. Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen.

Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern; das Geld der Wechsler schüttete er aus, ihre Tische stieß er um und zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!

Seine Jünger erinnerten sich, dass geschrieben steht: Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren.

Da ergriffen die Juden das Wort und sagten zu ihm: Welches Zeichen lässt du uns sehen, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? Er aber meinte den Tempel seines Leibes.

Als er von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte.

Die Autorin

Sr. Johanna Domek OSB ist seit mehr als 40 Jahren Benediktinerin in Köln-Raderberg, wo sie in der Kurs- und Exerzitienarbeit tätig ist. Darüber hinaus ist sie Beauftragte des Netzwerks alternde Ordensgemeinschaften und hat zahlreiche Publikationen zum Thema Spiritualität veröffentlicht.

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