Johannes Oeldemann nahm an Weltkonferenz in Ägypten teil

Ökumeniker: "Wir müssen die Einheit jetzt schon ausleben"

Veröffentlicht am 09.11.2025 um 12:10 Uhr – Von Roland Juchem (KNA) – Lesedauer: 

Paderborn ‐ Die Einheit der Kirchen beginnt schon jetzt – Schritt für Schritt. Diese Erkenntnis nimmt Ökumeniker Johannes Oeldemann von einer Weltkirchenkonferenz mit. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen und die Reise von Papst Leo in die Türkei.

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Erstmals seit über 30 Jahren fand Ende Oktober in Nordägypten eine Weltkonferenz zu Glaube und Kirchenverfassung statt. Der Paderborner Ökumeniker Johannes Oeldemann war als Delegierter dabei. Im Interview schildert er seine Erfahrungen und zeichnet Perspektiven für den weiteren ökumenischen Dialog der Kirchen.

Frage: Herr Oeldemann, Sie waren als Delegierter der katholischen Kirche und Mitglied der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung bei deren sechster Weltkonferenz in Wadi El Natrun. Wie formulieren Sie kurz und knapp deren wichtigste Erkenntnis?

Oeldemann: Einheit ist nicht etwas, das irgendwann in der Zukunft einmal über uns kommen wird, sondern was jetzt schon beginnt – Schritt für Schritt. Einheit wird nicht als strukturelles oder institutionelles Ziel definiert, sondern als etwas, was dynamisch entsteht. Eines der meistzitierten Verben im theologischen Abschlusstext ist das Verb "live out", also die Einheit leben, ausleben, mit Leben erfüllen. Ich glaube, das ist die Botschaft, die von dieser Konferenz ausgeht.

Frage: Wie haben Sie die Stimmung erlebt? Wer waren besonders engagierte Teilnehmer, wer war eher zurückhaltend?

Oeldemann: Die Stimmung war grundsätzlich gut, ich würde sie als freudig, erwartungsvoll bezeichnen. Viele Teilnehmer waren sich bewusst, dass sie solch eine Konferenz wohl nur einmal in ihrem Leben erleben. Immerhin fand die bisher letzte Tagung dieser Art vor mehr als 30 Jahren statt. Unter den 360 Teilnehmern in Ägypten waren gerade einmal vier, die schon 1993 in Santiago de Compostela dabei waren. Zu dieser hoffnungsvollen Stimmung haben aus meiner Sicht wesentlich die vielen jungen Leute beigetragen: einerseits die 80 Studierenden am Global Ecumenical Theological Institute, das der ÖRK im Vorfeld der Konferenz organisiert hat.

Andererseits gab es unter den Delegierten der Kirchen einige wirklich junge Leute. Die EKD hatte zwei junge Leute entsandt, aus Finnland war eine Jugendpfarrerin dabei, die Evangelische Kirche in Österreich schickte eine 21-jährige Studentin. Es war definitiv nicht nur ein Treffen von Kirchenoberen, Bischöfen und Professoren. Bemerkenswert auch, dass erstmals Vertreter der pentekostalen Kirchen dabei waren, die erst seit kurzem in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung mitarbeiten.

Frage: Welche Bedeutung hat dieses Atmosphärische jetzt, da die Leute in ihre Kirchen und Gremien zurückkehren? Bleibt es ein persönliches Erlebnis oder fließt das in Synoden und andere Gremien ein?

Oeldemann: Das hoffe ich natürlich. Es liegt wesentlich in der Verantwortung der Beteiligten. Ganz viel hängt davon ab, dass dieses Erlebnis in die eigene Kirche hinein transportiert wird. Die Botschaft, die von der Konferenz verabschiedet wurde, und der etwas längere theologische Text können sicherlich eine Hilfestellung sein. Der Verständigungsprozess darauf war nicht ganz einfach, aber es ist gelungen. Ohne die vertrauensvolle Atmosphäre, die in Wadi El Natrun herrschte, wäre das wahrscheinlich kaum möglich gewesen.

Frage: Was waren die Knackpunkte?

Oeldemann: Vor allem die Frage, wie die Situation in der Welt zu charakterisieren ist: Fragen des globalen Südens nach Gerechtigkeit, nach Schöpfungsverantwortung, auch nach dem Erbe des Kolonialismus. Das sind Themen, die in den Mittelpunkt rückten zusätzlich zu den Themen, die das Grundgerüst der Tagung bildeten: Glaube, Mission und Einheit der Kirche. Diese Grundthemen waren nicht umstritten – wohl aber, in welchem Kontext sie zu diskutieren sind.

Frage: Anlass für den Tagungsort in Ägypten war 1700-Jahr-Gedenken an das erste ökumenische Konzil von Nizäa. Von diesem Jubiläum erhoffen viele einen Impuls für die ökumenische Bewegung. Konnten Sie so etwas bereits beobachten?

Oeldemann: Man kann durchaus beobachten, dass Nizäa als gemeinsame Grundlage wahrgenommen wird. Spätere Streitfragen zu Christologie und Trinität spielen eigentlich keine kirchentrennende Rolle mehr. Der Dialog ist so weit fortgeschritten, dass man sagen kann: Was in Chalzedon umstritten war, beruhte auf sprachlichen Missverständnissen und anderen Dingen. Selbst das "filioque" im Credo, so würde ich behaupten, ist kein ernsthafter Stolperstein mehr, zumindest nicht für diejenigen, die sich mit der Theologiegeschichte befasst haben.

Man kann wirklich sagen: Nizäa bildet die gemeinsame Grundlage, auf der wir alle stehen. Selbst die sogenannten "non-creedal churches" – Pfingstler, Freikirchen, in deren Tradition das Glaubensbekenntnis keine große Rolle spielt – stimmen dem inhaltlich zu. Die Aussagen der alten Konzile sind insofern eine wichtige gemeinsame Ausgangsbasis, vor deren Hintergrund gegenwärtige Herausforderungen des Glaubens wie Säkularismus, Relativismus oder auch religiöser Fundamentalismus diskutiert wurden.

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Frage: Dann bleiben vor allem die Fragen nach den Sakramenten und den kirchlichen Ämtern: Tut sich da irgendwo etwas zwischen einzelnen Kirchen oder Konfessionen?

Oeldemann: Wenn man den Zeitraum seit der letzten Weltkonferenz in Santiago de Compostela 1993 in den Blick nimmt, hat sich einiges getan. Es gab Bewegung im Blick auf die Anerkennung von Kinder- und Gläubigentaufe im Dialog mit den täuferischen Kirchen. Auch im Verständnis von Eucharistie und Abendmahl hat sich etwas getan: gewisse einseitige Akzentsetzungen konnten überwunden werden. Immer mehr Kirchen gewähren einander eucharistische Gastfreundschaft. Auch die katholische Kirche kennt verschiedene Abstufungen.

Frage: Welcher Art?

Oeldemann: Es gibt eine offiziell unterzeichnete begrenzte Sakramentsgemeinschaft mit der Syrisch-orthodoxen Kirche. Es gibt dann Vereinbarungen zwischen Assyrern und Chaldäern. Und auch die Möglichkeit, dass orthodoxe Christen unter bestimmten Voraussetzungen die Kommunion in der katholischen Kirche empfangen. Hier in Deutschland haben die Bischöfe eine Orientierung für konfessionsverbindende Familien formuliert. Das ist weltweit noch nicht rezipiert, aber für mich ist zumindest im Blick auf die letzten 30 Jahre durchaus Bewegung in der Sache..

Frage: Aber generell sind protestantische Kirchen da etwas beweglicher als die katholische und die Ostkirchen?

Oeldemann: Die sind da offener, weil für die reformatorischen Kirchen die Frage des kirchlichen Amtes keine so große Rolle spielt im Blick auf Eucharistie oder Abendmahl. Bei der Ämterfrage sind aus katholischer Sicht noch Punkte zu klären.

Frage: Was kann da helfen?

Oeldemann: Die Frage ist, ob man diese Themen letztlich durch theologische Texte und eine gemeinsame Erklärung lösen kann oder ob sich nicht doch eher durch das gemeinsame Ringen um zeitgemäße Formen der Episkopé, der kirchlichen Aufsicht, etwas entwickeln wird. Mir fällt die gemeinsame Reise von Vertretern des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz nach Israel im Vorfeld des Reformationsjubiläums ein. Oder der Gottesdienst von Papst Franziskus zum Reformationsgedenken in Lund, wo er in derselben liturgischen Kleidung auftrat wie die Vertreter des Lutherischen Weltbundes. Solche Bilder sagen manchmal mehr im Blick auf gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung aus als tausend Worte in einem theologischen Text.

Frage: Ist es so, dass in anderen Ländern und Kulturen diese Gesten und Bilder eine größere Bedeutung haben als theoretische theologische Texte?

Oeldemann: Ich würde sagen, dass dies grundsätzlich für die Gläubigen wichtig ist, auch bei uns. Es gibt solche Gesten, wo man eine wachsende Verbundenheit wahrnimmt. Nehmen Sie die ökumenische Gebetsvigil zur Eröffnung der Bischofssynode in Rom, bei der Vertreter aller christlichen Kirchen gemeinsam um ein gutes Gelingen der römischen Bischofssynode gebetet haben. Das sind wichtige Bilder und Zeichen, die zeigen, dass wir vorankommen.

Frage: Dennoch bleibt das kirchliche Amt sozusagen ein großer Knackpunkt, der zuletzt zusätzlich belastet wird, durch die Frage nach einer Frauenordination und der Frage, ob homosexuell lebende Vertreterinnen und Vertreter kirchliche Ämter bekleiden können. Sind Gender und Sexualität die neuen theologischen Streitfragen zwischen Konfessionen?

Oeldemann: Ja, das sind kontrovers diskutierte Fragen, aber ich würde sagen, dass sie nicht zwischen den Konfessionen kontrovers sind, sondern quer durch die Konfessionen. Von daher stellen sie die Frage nach Einheit neu als eine auch innerkirchlich relevante Frage.

Die Antworten auf diese Herausforderung sind aus meiner Sicht oft mehr vom kulturellen Kontext bestimmt als von theologischen Argumenten. Trotzdem müssen wir versuchen, theologisch zu argumentieren. Daher hat die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung entschieden, in ihrer aktuellen Amtszeit dem Thema Anthropologie eine eigene Studiengruppe zu widmen.

Da soll es um ethische Fragen gehen, aber auch um Chancen und Gefahren künstlicher Intelligenz für das Verständnis des Menschen. Ein Punkt, den auch Papst Leo XIV. als eine der großen Herausforderung der Gegenwart charakterisiert hat. Ich gehe davon aus, dass im kommenden Jahrzehnt die Anthropologie eine größere Rolle im ökumenischen Dialog spielen wird als die Ekklesiologie, die in den letzten Jahren vielfach im Vordergrund stand.

Ökumeniker Johannes Oeldemann spricht bei einem Kirchentreffen
Bild: ©WCC/Albin Hillert

"Ich gehe davon aus, dass im kommenden Jahrzehnt die Anthropologie eine größere Rolle im ökumenischen Dialog spielen wird als die Ekklesiologie, die in den letzten Jahren vielfach im Vordergrund stand", sagt Johannes Oeldemann. Der Paderborner Ökumeniker nahm an der Konferenz in Ägypten teil.

Frage: Die Stichwörter Kultur und Kolonialismus fielen schon. Sind die Fragen nach der Rolle von Frauen in Kirche und Gesellschaft sowie nach sexueller Identität ein Aspekt, der in diese Kolonialismusdebatte einfließt?

Oeldemann: Aus meiner Sicht sind das zwei verschiedene Diskurse. Zwar haben, etwas verkürzt gesprochen, beide Fragen mit Differenzen zwischen dem Norden und dem globalen Süden zu tun. Aber im Blick auf das Erbe des Kolonialismus geht es um Vergangenheitsbewältigung, die geleistet werden muss. Die Kirchen des Südens machen zu Recht auf den unerquicklichen Zusammenhang von Kolonialisierung und Konfessionalisierung aufmerksam.

Daher war es wichtig, dass sie bei dieser ersten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung, die nicht in Europa oder Nordamerika stattfand, sehr aktiv waren. Das hat die Tagung geprägt. Es verdeutlicht, dass Ökumene nicht ein europäisches Exportprodukt ist, was wir der Welt "verkaufen" wollen, sondern etwas, was die Kirchen in allen Erdteilen bewegt, weil es in der Ökumene ja nicht nur um die Einheit der Kirche, sondern um die Einheit der ganzen Menschheit geht.

Frage: Aber die westlichen Vorstellungen der Geschlechter und sexueller Identität werden von etlichen im Süden doch als eine neue Form von Kolonialismus empfunden.

Oeldemann: Ich bin etwas zögerlich, von einer neuen Form von Kolonialismus zu sprechen. Ich würde Kolonialismus und Genderfragen als zwei verschiedene Diskurse betrachten, die vielleicht indirekt zusammenhängen und den Dialog auf jeden Fall nicht einfach machen. Wir müssen versuchen, damit entsprechend umzugehen und auch auf die Stimmen des globalen Südens zu hören und nicht unseren kulturellen Kontext als den über alle Zweifel erhabenen darzustellen.

Frage: Vorläufiger Höhepunkt des Jubiläumsjahres zu 1.700 Jahre Konzil von Nizäa wird wohl der Besuch von Papst Leo XIV. Ende November in der Türkei sein. Was erwarten Sie von dem Besuch?

Oeldemann: Ich erwarte und hoffe, dass es ein Besuch wird, der nicht nur das historische Ereignis von damals würdigt, sondern der auch Impulse für die Zukunft setzt. Ein wichtiger Impuls könnte sein, dass man neue Bemühungen unternimmt, sich auf einen gemeinsamen Ostertermin zu verständigen. Das wird aber nicht nur zwischen Orthodoxen und Katholiken ausgehandelt werden können. Deswegen wäre es wichtig, dass auch andere Kirchenführer mit zu diesem Treffen eingeladen werden.

Frage: Welche Informationen haben Sie, wer außer Papst Leo und Patriarch Bartholomäus noch teilnimmt?

Oeldemann: Ich habe gehört, dass inzwischen auch Einladungen ausgesprochen worden sein sollen an andere Kirchenführer. Vom Ökumenischen Rat der Kirchen wird wohl Generalsekretär Jerry Pillay dort hinreisen. Wer sonst noch kommt, weiß ich nicht, da stehen Antworten noch aus.

Es wäre wichtig, dass das Treffen breiter aufgestellt ist. Das vatikanische Dikasterium für die Einheit der Christen hat ja in seinem Studiendokument über den Bischof von Rom konziliare Treffen von Kirchenführern auf weltweiter Ebene vorgeschlagen, als eine Option, den päpstlichen Primat in synodalere Strukturen einzubetten. Solche Treffen sind wichtig, weil so persönliche Beziehungen entstehen können. Das Konzilsjubiläum ist die erste und beste Gelegenheit, diesen Vorschlag in die Tat umzusetzen.

In Wadi El Natrun hatte ich eines der Podien zum Thema Einheit zu moderieren. Meine Abschlussfrage war: Was wäre aus Ihrer Sicht der erste Schritt auf dem Weg zu sichtbarer Einheit? Fast alle haben die Bedeutung von Freundschaft und persönlichen Begegnungen betont, damit sichtbare Einheit wachsen kann. Einer der Teilnehmer des GETI-Programms, also der jungen Studierenden, brachte es im Abschlussgottesdienst auf die Formel: "We are connected and committed" – wir sind verbunden und fühlen uns verpflichtet. Das ist die Botschaft der Weltkonferenz in Wadi El Natrun – und genau das sollte auch das Signal sein, das von den Treffen in Iznik und Istanbul ausgeht: im Glauben verbunden und der Ökumene verpflichtet!

Von Roland Juchem (KNA)