Text der Bischöfe sorgte auch für Kritik

Schule als Schutzraum: Leitlinien zum Umgang mit sexueller Vielfalt

Veröffentlicht am 10.11.2025 um 00:01 Uhr – Von Karin Wollschläger (KNA) – Lesedauer: 

Bonn ‐ Das traditionelle katholische Menschen- und Familienbild tut sich schwer mit sexueller Vielfalt und neuen anthropologischen Erkenntnissen. Dennoch müssen auch Schulen und Religionslehrkräfte damit umgehen. Leitlinien der Bischöfe sollen dabei helfen.

  • Teilen:

An den Schulen ist in den vergangenen Jahren das Bewusstsein für die Vielfalt sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten stark gewachsen. Dass die gesellschaftlichen Debatten und Diskurse über das Thema zugenommen haben und offener geführt werden, hat sicherlich dazu beitragen. Zudem zeigen Studien, dass die meisten lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen bereits als Kinder oder Jugendliche – also im Schulalter – merken, dass sie nicht heterosexuell sind.

Nahezu alle Bundesländer haben das Thema inzwischen in ihre Lehrpläne integriert und entwickeln es stetig weiter. Auch auf dem Synodalen Weg zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren der Umgang mit der Vielfalt sexueller Identitäten intensiv und kontrovers diskutiert. Tut sich doch die katholische Kirche seit langem etwas schwer im Umgang mit queeren Menschen, sprich nicht-heterosexuellen oder non-binären Menschen, da sie gleichgeschlechtliche Beziehungen traditionell nicht als mit ihrer Lehre vereinbar beurteilt.

Verantwortung für ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung

Nun hat die Schulkommission der Deutschen Bischofskonferenz, unter Leitung von Bischof Heinrich Timmerevers (Dresden-Meißen), neue Leitlinien und Handlungsempfehlungen herausgegeben. Die 48-seitige Broschüre trägt den Titel: "Geschaffen, erlöst und geliebt. Sichtbarkeit und Anerkennung der Vielfalt sexueller Identitäten in der Schule".

Die Bischöfe rufen darin auf, die Vielfalt sexueller Orientierungen auch in Schulen anzuerkennen und sprechen von der Wichtigkeit eines offenen und wertschätzenden Umgangs damit. Das Papier liefert eine Bestandsaufnahme der Situation queerer Jugendlicher, Lehrkräfte und Eltern, führt in den humanwissenschaftlichen Sachstand ein und zeigt schulpädagogische sowie schulpastorale Leitlinien für einen achtsamen Umgang mit sexueller Vielfalt auf. Es gelte Verantwortung zu übernehmen für eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung und die Achtung der Würde jedes Menschen. Dies sei die Aufgabe aller Beteiligten im schulischen Kontext. Es gehe darum, "bestehende Irritationen und Verunsicherungen im Umgang mit der Vielfalt sexueller Identität zu benennen und abzubauen".

Moraltheologe Franz-Josef Bormann steht vor einem Fenster
Bild: ©KNA/Daniel Pilar (Archivbild)

Das Papier sei unwissenschaftlich, von Wohlfühl- und Akzeptanz-Rhetorik getragen und verschweige die medizinischen und psychologischen Probleme vieler queerer oder trans-empfindender Jugendliche, kritisierte der Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann.

Was der Text auch benennt: Manche Schüler durchleben "einen mehrjährigen, mitunter schmerzhaften Prozess, der von innerer Unsicherheit und Zweifel bestimmt ist". Hinzu komme: "Offene und latente Ablehnung von queeren Personen ist auch unter Schülerinnen und Schülern verbreitet und beeinflusst mitunter das Verhalten auf dem Schulhof, in den Pausen oder in den sozialen Medien. Sie kann bis zu Mobbing und tätlichen Angriffen auf Mitschülerinnen und Mitschüler, aber auch auf Lehrkräfte reichen."

Als Vorsitzender der Schulkommission der Bischofskonferenz schreibt Bischof Timmerevers im Geleitwort: Schule müsse ein Ort sein, "an dem Kinder und Jugendliche Schutz vor Diskriminierung und persönlicher Herabwürdigung finden, ein Ort, an dem sie Akzeptanz erfahren in ihrer individuellen Entwicklung und zugleich lernen, andere zu akzeptieren".

Borman kritisiert "diffuse Respekt-Rhetorik"

Dem Vernehmen nach diskutierte der Ständige Rat der Bischofskonferenz im Sommer sehr kontrovers über den Textentwurf. Im Nachgang brachte sich vor allem der Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann als laute Stimme der Kritiker in Stellung: Das Papier sei unwissenschaftlich, von Wohlfühl- und Akzeptanz-Rhetorik getragen und verschweige die medizinischen und psychologischen Probleme vieler queerer oder trans-empfindender Jugendliche.

Bormann stört sich vor allem daran, dass der Text keine klare Haltung auf Grundlage der katholischen Morallehre beziehe. So werde insbesondere der Grundsatz der Zweigeschlechtlichkeit relativiert. Statt normativer Bewertung gehe es dem Text um "diffuse Respekt-Rhetorik". Demgegenüber schreibt Timmerevers im Geleitwort, das neue Papier könne "keine umfassende moraltheologische Analyse und Beurteilung der Vielfalt sexueller Identitäten und der damit verbundenen Lebenspraxis von queeren Menschen an Schulen leisten".

Bischof Heinrich Timmerevers bei einer Pressekonferenz
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht (Archivbild)

Schule müsse ein Ort sein, "an dem Kinder und Jugendliche Schutz vor Diskriminierung und persönlicher Herabwürdigung finden, ein Ort, an dem sie Akzeptanz erfahren in ihrer individuellen Entwicklung und zugleich lernen, andere zu akzeptieren", schreibt Schulbischof Heinrich Timmerevers in seinem Vorwort.

Die Leitlinien rufen Religionslehrer auf, die Sexualmoral der katholischen Kirche differenziert darzustellen und umstrittene Punkte in Kirche und Theologie auch im Unterricht entsprechend darzustellen. So könnten Schülerinnen und Schüler sich ein eigenes begründetes Urteil bilden.

Zudem heißt es im Text, Identitätsbildung habe auch eine spirituelle oder religiöse Dimension: "Die Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu des menschlichen Lebens und die Antworten des christlichen Glaubens beschäftigen vor allem queere Jugendliche, die am Religionsunterricht teilnehmen oder eine katholische Schule besuchen." Dazu gehöre auch die Auseinandersetzung mit lehramtlichen und moraltheologischen Positionen zu Homosexualität und Transidentität.

Leitlinien auf regionaler Ebene schon länger veröffentlicht

Vor diesem Hintergrund steht nicht zu erwarten, dass das neue Papier eine ähnlich große innerkirchliche und bis nach Rom reichende Kontroverse nach sich ziehen wird wie unlängst die im April veröffentlichte, rechtlich unverbindliche Handreichung mit dem Titel "Segen gibt der Liebe Kraft – Segnungen für Paare, die sich lieben", verabschiedet von der Gemeinsamen Konferenz der Deutschen Bischofskonferenz und dem Laien-Dachverband ZdK.

Auf regionaler Ebene gibt es übrigens schon jetzt in einigen Bistümern Leitlinien für katholische Schulen, wie mit der Vielfalt sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten umzugehen sei. Zuletzt hat etwa das Erzbistum Hamburg ein entsprechendes Rahmenkonzept veröffentlicht. Im Erzbistum Freiburg wurde vor einiger Zeit erstmals eine Transperson als Religionslehrer beauftragt. Und im Bistum Passau hat sich eine AG Queer gegründet, die inzwischen eine erste katholische Schule als queerfreundlich ausgezeichnet hat.

Von Karin Wollschläger (KNA)