Papstreise führt Leo XIV. an Ursprungsort des Glaubensbekenntnisses
Um 15.10 Uhr schwebt Leo XIV. ein. Eskortiert von Militärhubschraubern dreht der Helikopter des Papstes mehrere Runden über jenem See, an dessen Ufer vor 1.700 Jahren beim Konzil von Nizäa wichtige Grundlagen der christlichen Theologie gelegt wurden. Just als er landet, hebt von mehreren Moscheen der Ruf des Muezzins an. Denn Iznik, wie das antike Nizäa heute heißt, liegt in einem inzwischen stark vom Islam geprägten Land.
Am zweiten Tag seiner Türkei-Reise steht für Leo XIV. der Hauptanlass für die Visite an, die schon sein Vorgänger Franziskus unternehmen wollte. Wiederholt hatte ihn das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, Bartholomaios I., zum Jubiläum in Erinnerung an das bahnbrechende Ereignis im Jahr 325 eingeladen. Damals wurde im Glaubensbekenntnis von Nizäa festgeschrieben, dass Christus nicht ein Geschöpf Gottes ist, sondern "eines Wesens mit dem Vater" – wie es die Christen bis heute im "Credo" bekennen.
Am Freitag ist Leo XIV. an den malerischen Iznik-See gereist, rund zwei Autostunden von Istanbul. Aus dem See tauchte 2014 eine spätantike Basilika auf; der durch den Klimawandel gesunkene Wasserspiegel machte es möglich. Seitdem finden Ausgrabungen an der Sankt-Neophyt-Basilika statt. Dort wurde ein Steg mit Plattform am Ufer errichtet, auf der nun ein rund 40-minütiges Gedenken vor der Kulisse des von Bergen umgebenen Sees stattfindet.
"Eine heilige Erinnerungsfeier"
Gastgeber Bartholomaios I. ergreift das Wort, spricht von einer "heiligen Erinnerungsfeier", die man trotz Schwierigkeiten und Spaltungen vergangener Jahrhunderte mit "gemeinsamer Verehrung und gemeinsamem Hoffen" abhalte. Patriarchen verschiedener orthodoxer Kirchen tragen Gebete vor, unter anderem in Griechisch und Arabisch.
Dann hält Papst Leo XIV., um die Schultern die rote Mozzetta, eine kurze Ansprache. Umgeben von Repräsentanten verschiedener Kirchen und Konfessionen beschwört er die Einheit der Christen. Die wird an diesem Tag durch viele Anwesende östlicher und westlicher Tradition veranschaulicht.
Darunter ist der Generalsekretär der Anglikanischen Weltgemeinschaft, Anthony Poggo, Dirk Jan Schoon von der Alt-Katholischen Bischofskonferenz von Utrecht, der Generalsekretär des Weltkirchenrates, Jerry Pillay, ferner Dirk Lange vom Lutherischen Weltbund sowie – als wohl einzige Frau – Valerie Duval Pujolund von der Welt-Allianz der Baptisten.
In der Nähe der archäologischen Ausgrabungen der antiken Basilika Sankt Neophyt in Iznik traf sich der Papst mit Vertretern aus anderen Konfessionen.
Sie alle ruft der Papst auf, "in gegenseitiger Liebe und im Dialog, das Ärgernis der leider noch bestehenden Spaltungen zu überwinden", denn: "Je mehr wir untereinander versöhnt sind, desto mehr können wir Christen ein glaubwürdiges Zeugnis für das Evangelium Jesu Christi geben, das eine Botschaft der Hoffnung für alle ist, eine Botschaft von Frieden und universaler Geschwisterlichkeit."
Wieder erinnert Leo daran, dass diese Geschwisterlichkeit unabhängig von Ethnie, Nationalität, Religion oder Meinung gelte. Und: "Das Heranziehen von Religion, um Krieg und Gewalt zu rechtfertigen, muss, wie jede Form von Fundamentalismus und Fanatismus, entschieden abgelehnt werden."
Bei dem von vielen besonderen Gesten, Gebeten und Gesängen geprägten Feier entzünden die Anwesenden gemeinsam Kerzen vor einer Ikone, wird in vielen Sprachen das Vaterunser gebetet. Und es wird eben jenes Glaubensbekenntnis gesungen, das im Kern hier entstanden sein soll.
Ein Zeichen vor traumhafter Kulisse
Kurz vor dem Ersten Adventssonntag, der für die orthodoxen Christen diesmal auf das Fest ihres Patrons Andreas fällt, ist vor traumhafter Kulisse ein Zeichen der Einheit der Christen gesetzt worden, das ihnen nach dem Wunsch von Patriarch Bartholomaios I. Kraft geben soll für die vor ihnen liegenden Aufgaben. Er sagt: "Die Kraft dieses Ortes liegt nicht in dem, was vergänglich ist, sondern in dem, was für immer bleibt."
Ihm, dem Papst und den anderen Betenden gelingt das Unwahrscheinliche: Aus einer Besucher-Plattform neben einer Kirchenruine wird für einen langen, dichten Moment so etwas wie ein heiliger Ort, ein sakraler Raum ohne Kirchendach.
Der Präfekt des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, der ebenfalls auf der Plattform stand, sprach nachher von einem wunderschönen Ereignis. "Das Konzil von Nizäa hat zu einer Zeit stattgefunden, in der die Christenheit noch nicht so verwundet war durch Spaltungen. Deshalb betrifft dieses Konzil alle", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Dass wir es in großer ökumenischer Gemeinschaft feiern können, ist umso wichtiger."
Am Samstag will sich Papst Leo mit anderen Kirchen und Gemeinschaften treffen, um diese Impulse zu vertiefen und zu überlegen, wie die Botschaft fortgesetzt werden könnte. "Und dann", sagt Koch, "folgt die gemeinsame Erklärung des Papstes mit Bartholomaios, die in die Zukunft weisen wird."
