Unterwegs auf vorreformatorischen Spuren in Ostdeutschland

So katholisch war der Osten

Veröffentlicht am 30.10.2015 um 12:31 Uhr – Von Markus Kremser – Lesedauer: 
Geschichte

Wittenberg ‐ Mit Blick auf das im Jahr 2017 anstehende Reformationsgedenken richten sich die Augen nach Ostdeutschland - das Kernland der Reformation. Doch wie katholisch war die Mitte Deutschlands vor Luther?

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Das Bistum Meißen ist eines der untergegangenen Bistümer in Mittel- und Ostdeutschland. Wie auch bei den ehemaligen Diözesen Brandenburg, Halberstadt, Havelberg, Merseburg, Naumburg-Zeitz, Lebus und dem Erzbistum Magdeburg reicht die Geschichte des Bistums weit vor das Jahr 1000 zurück. Die Diözese Halberstadt war dabei das älteste der mitteldeutschen Bistümer. Karl der Große gründete das Bistum im Jahre 804, zunächst in Seligenstadt. Heute heißt der kleine Ort Osterwieck und hat rund 11.000 Einwohner. In einer Urkunde vom 2. September 814 bestätigte sein Nachfolger, Ludwig der Fromme, Bischof Hildegrim von Chalons die bischöflichen Rechte für Halberstadt.

Hildegrims Diözese im neu unterworfenen Germanenland reichte im Norden bis an die Aller und Ohre, im Osten bis an die Elbe und Saale, im Westen bis an die Oker, im Südwesten bis an das Gebiet von Unstrut, Helme und Wipper und im Süden bis nach Merseburg und Zeitz. Pläne Ottos I., das Bistum nach Magdeburg zu verlegen, scheiterten zunächst; später wurde aus Teilen der Diözesen Halberstadt und Merseburg das Erzbistum Magdeburg.

Orden führend bei der Erschließung der Region

Die Orden, vor allem die Zisterzienser mit ihren weitreichenden internationalen Verbindungen, spielten bei der Erschließung des Landes eine wichtige Rolle in den ersten Jahrhunderten der Besiedlung Ost- und Mitteldeutschlands. Wenn man es mit Begriffen aus der heutigen Zeit ausdrücken wollte, so beauftragten die Markgrafen insbesondere die Zisterzienser mit der "Wirtschaftsstrukturförderung", einschließlich des Klosters Lehnin als "Landesaufbaubank". Sie nutzten die Orden einschließlich der Templer auf den Gebieten der Außenpolitik, der Verteidigungspolitik, der Finanzpolitik und in der Staatskanzlei.

Bild: ©Markus Kremser

Der Dom zu Brandenburg liegt auf einer Insel zwischen dem Beetzsee und der Havel. Das Ensemble aus Dom, Klausur, Kurien und Nebengebäuden prägt noch heute die Dominsel, den ältesten Teil der aufwendig sanierten Altstadt von Brandenburg an der Havel. Hier gründete König Otto I. im Jahr 948 das Bistum Brandenburg. Mit dem Bau des heutigen Doms ist um die Mitte des 12. Jahrhunderts begonnen worden.

Noch heute sind die Klöster, die teilweise nur noch als Ruine existieren, im Bewusstsein allgegenwärtig. Das ehemalige Cölestiner-Kloster auf dem Berg Oybin bei Zittau ist bis heute eines der meistbesuchten Ausflugsziele im Dreiländereck zwischen Polen, Tschechien und Deutschland. Auch dieses Kloster existierte wie viele andere bis zur Reformation. Kloster Altzella war Grablege der Wettiner, Kloster Pforta wurde anschließend in eine Schule umgewandelt.

Zwischen 1527 und 1529 zählte das Bistum Brandenburg 18 Archidiakonate mit über 285 Pfarrkirchen. Die Dome von Brandenburg, Merseburg, Zeitz und Naumburg sowie tausende Dorfkirchen zeugen von der vorreformatorischen Geschichte. Doch wie sah das kirchliche Leben vor der Reformation in Ost- und Mitteldeutschland aus?

Bedeutende Wallfahrtsorte in Mitteldeutschland

Von Krise konnte keine Rede sein. Darin sind sich Theologen und Historiker heute einig. Um 1500 gab es in Mitteldeutschland eine rege Frömmigkeit, die anderen Regionen Europas in nichts nachstand. Wilsnack, Grimmenthal und Elende waren berühmte Wallfahrtsorte, die tausende Pilger anzogen. Martin Luther wetterte 1520 in seiner Schrift "An den christlichen Adel Deutscher Nation" gegen das Wallfahrtswesen und forderte, Wilsnack solle "bis auf den Grund zerstöret" werden. Elende war ein Marienwallfahrtsort. In einem Mirakelbuch aus der Zeit von 1419 bis 1517 sind 470 Wunderberichte zusammengetragen.

Die Historikerin Carina Brumme hat das Wallfahrtswesen in der Gegend und auch dieses Mirakelbuch erforscht. Demnach stammten die Pilger, die zu dem Gnadenbild kamen, aus ganz Deutschland und anderen europäischen Ländern. Auch weit entfernte Herkunftsorte wie Göteborg, Danzig und Wien seien dem Buch zu entnehmen, schreibt Brumme in ihrer Forschungsarbeit. Dies bescheinige der Wallfahrtsstätte "Unserer Lieben Frau im Elend" einen ungewöhnlichen großen Wirkungskreis für eine marianische Gnadenstätte.

Bild: ©KNA

Nach dem Reformator Martin Luther ist in Mitteldeutschland inzwischen sogar ein Wallfahrtsweg benannt.

Wilsnack im Nordwesten Brandenburgs war einst ebenso berühmt. Die Kurstadt ist heute als Moorbad bekannt, im ausgehenden Mittelalter war sie neben Rom, Einsiedeln, Aachen und Santiago de Compostela einer der wichtigsten Wallfahrtsorte Europas. Auch Wilsnack ging in der Reformation unter, als 1552 der erste evangelische Pfarrer von Wilsnack, Joachim Ellefeld, die Überreste der Wilsnacker Wunderhostien verbrannte.

Wenn das Luther wüsste...

Doch nicht alles ist untergegangen. Die Zisterzienserinnen-Klöster in Panschwitz-Kuckau und Marienthal haben die Reformation überstanden und bis heute überdauert. Die historischen katholischen Diözesen sind dagegen ausnahmslos alle untergegangen. Das Domkapitel in Meißen blieb als lutherische Korporation bis heute erhalten, auch das Hochstift Meißen existiert bis heute als Institution zur Unterhaltung des Meißner Doms und der übrigen zugehörigen Gebäude.

Zugleich entdecken auch immer mehr evangelische Christen in Mitteldeutschland katholische Traditionen. Der Jakobsweg, der auch durch Ost- und Mitteldeutschland bis nach Santiago de Compostela führt, ist nach 1990 neu entdeckt und wieder ausgebaut worden. Wallfahrten zum Christus-Pavillon im Kloster Volkenroda in Thüringen finden ökumenisch statt. Eine Besonderheit unter den neuen Pilger-Angeboten ist der Lutherweg. Er verbindet auf einer Strecke von 410 Kilometern Eisleben und Wittenberg. Wenn Luther wüsste, dass es heute eine Wallfahrt zu ihm gibt...

Von Markus Kremser