Schüsse hallen bis heute nach
Der jüdische Fanatiker Jigal Amir hatte den Regierungschef am 4. November 1995 unmittelbar nach einer riesigen Friedenskundgebung in Tel Aviv erschossen.
Auch 20 Jahre später bleibe der Mord "eine offene Wunde der israelischen Gesellschaft", sagt Regisseur Gitai. "Wir erleben immer noch seine Folgen." Denn die von Rabin angestrebte Friedensregelung mit den Palästinensern gibt es bis heute nicht. Stattdessen wird die Region von immer neuen Wellen der Gewalt heimgesucht. Damit habe der Mörder sein Ziel letztlich erreicht, meint Gitai. Jigal Amir sitzt eine lebenslange Haftstrafe ab, hat aber inzwischen geheiratet und sogar einen Sohn.
Clinton: Rabin hat sein Leben für den Frieden geopfert
Rund 100.000 Israelis versammelten sich am Samstagabend in Tel Aviv auf dem Platz eben jener Kundgebung vor 20 Jahren, der inzwischen nach dem ermordeten Regierungschef benannt ist. Rabin habe damals "sein Leben geopfert, damit ihr in Frieden leben könnt", sagte der ehemalige US-Präsident Bill Clinton den Teilnehmern. Clintons emotionale Worte bei Rabins Begräbnis lauteten damals: "Schalom Chaver - Lebe wohl, mein Freund."
Eine Frage wird während der Gedenkwoche vor dem 20. Jahrestag in Israel immer wieder gestellt: Was wäre gewesen, wenn Rabin überlebt hätte? Wenn er damals nicht ermordet worden wäre. Würde jetzt Frieden herrschen? Rabins einstiger Weggefährte und Israels späterer Präsident Schimon Peres meint zumindest, "dass wir heute eine stabilere Lage hätten".
Regisseur Gitai lässt in dem Film Peres und Rabins Witwe Lea zu Wort kommen, die selbst fünf Jahre nach der Ermordung ihres Mannes starb. Außerdem zeigt er die mühsame Arbeit einer Kommission, die das Attentat untersuchte.
Mit einer Mischung aus Spielfilm und dokumentarischen Filmausschnitten zeichnet Gitai auf eindringliche Weise das damalige Stimmungsbild in Israel nach. Er zeigt die wüste Hetze rechtsnationaler Israelis, vor allem aus dem Siedlermilieu, gegen Rabin den "Verräter" und "Mörder" - und er zeigt auch fanatisierte Rabbiner, die den Ministerpräsidenten mit dem magischen Ritual "Pulsa de nura" verwünschten.
Netanjahu als Wortführer bei wütenden Demonstrationen
Auch die Rolle des damaligen Oppositionsführers und heutigen Regierungschefs Benjamin Netanjahu von der rechtsorientierten Likud-Partei wird in dem Film beleuchtet. Er war damals Wortführer bei wütenden Demonstrationen, auf denen Gegner von Rabins Versöhnungspolitik einen Sarg mit dessen Namen trugen und Schilder hochhielten, auf denen Rabin in einer SS-Uniform dargestellt wurde.
Eine schwierige Beziehung
Vor einem halben Jahrhundert haben Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen. Nach einem schweren Anfang verbindet beide Länder heute ein dichtes Netz offizieller und privater Kontakte. Doch "normal" wird das Verhältnis wohl nie.In lauten Sprechchören wünschten sie Rabin den Tod. Seitdem wurde Netanjahu häufig vorworfen, er habe mit seinem Verhalten auch dazu beigetragen, die Stimmung zu schüren, die letztlich den Mord an Rabin ermöglichte. Neuer Regierungschef wurde damals: Netanjahu.
Der behauptet bis heute, "er hätte diese Auswüchse bei den Demonstrationen nicht gehört und gesehen - vielleicht braucht er einen Ohrenarzt und leidet unter selektiver Wahrnehmung", meint Regisseur Gitai, der selbst im Jom-Kippur-Krieg 1973 gekämpft hat.
Regisseur Gitai: Israel wird immer religiöser
"Die Politiker, die das Land heute führen, versuchen nicht, das Volk zu einen, einen gemeinsamen Nenner zu finden", sagt Gitai, der neben seiner Tätigkeit als Regisseur auch Architekt ist. Stattdessen würden sie eine Gruppe gegen die andere aufhetzen - Juden gegen Araber, Religiöse gegen Nichtreligiöse. "Dieses Aufhetzen kann letztlich zur Zerstörung des israelischen Projekts führen, fürchte ich." Israel werde immer religiöser, "und das ist gefährlich".
Rabin sei kein "verblendeter Linker" gewesen, der sich Illusionen gemacht habe, betont Gitai. "Er war ein israelischer Patriot, der verstanden hat, dass Israel Wege finden muss, im Nahen Osten zu überleben. Er war entschlossen und mutig, ein echter Staatsmann, eben kein typischer Politiker." Damit stehe er in großem Kontrast "zu den Figuren, die heute das Land führen".
Mitschuld an Rabins Tod hätten aber auch die radikalen Palästinenserorganisationen, meint Gitai. Mit ihren blutigen Selbstmordanschlägen auf dem Höhepunkt des Friedensprozesses hätten sie die Politik des israelischen Ministerpräsidenten stark delegitimiert. Heute bestimmten die Verhinderer auf beiden Seiten den Ton: "Eine stabile Koalition derer, die keinen Frieden wollen, führt weiter den Nahen Osten. Das ist eine Tragödie."
"Ich liebe dieses Land"
Gitais Film ist auch als Weckruf an die israelische Linke gedacht, die "in einen Tiefschlaf gefallen" sei. Der Regisseur sieht keine ernstzunehmende Figur, die eine Alternative zu Netanjahu und seiner Politik darstellen könnte. "Dieser Mann wurde vor 20 Jahren ermordet." Oppositionsführer Izchak Herzog etwa sei lediglich "ein höflicher Rechtsanwalt, der zum obersten Tausendstel gehört". Das schwierige Amt des Ministerpräsidenten in Israel verlange mehr.
Gitai will mit dem Film, der auch das tragische Versagen von Polizei und Geheimdienst beim Schutz Rabins nachzeichnet, eine breitere Debatte über die Ursachen der gegenwärtigen Misere ins Rollen bringen. Israel befinde sich heute in einem Zustand der politischen Lähmung. "Ich bin nicht wütend, eher traurig", sagt Gitai dazu. "Ich liebe dieses Land."