Gegen die Spaltung
Der auch als "Ökumenismusdekret" bekannte Text mit dem Titel "Unitatis redintegratio" (Die Wiedererlangung der Einheit) gehört zu den wirkmächtigsten Dokumenten des Konzils. Darin würdigte die katholische Kirche erstmals die ökumenische Bewegung, die von ihr zuvor eher misstrauisch bis ablehnend beobachtet wurde, und ermahnte "alle katholischen Gläubigen, dass sie, die Zeichen der Zeit erkennend, mit Eifer an dem ökumenischen Werk teilnehmen".
Schon die Sprache ließ aufhorchen: Wo früher von "Schismatikern und Häretikern" die Rede war, ging es nun um die "getrennten Brüder" - die "Schwestern" waren damals noch nicht ausdrücklich im Blick. Diese Wende hatte sich allerdings schon vor Beginn des Konzils abgezeichnet, als Papst Johannes XXIII. 1960 ein "Sekretariat für die Einheit der Christen" gründete. Das Konzil berief der Papst ausdrücklich mit ökumenischen Absichten ein, und er lud zahlreiche Beobachter aus anderen Kirchen zu den Beratungen ein, die ihrerseits mit ihren Rückmeldungen auf die Ergebnisse Einfluss nehmen konnten.
Nur 11 Nein-Stimmen bei der Abstimmung
Das Dekret, das nach einer spektakulären Intervention von Papst Paul VI. in der dritten Sitzungsperiode des Konzils am 21. November 1964 mit 2.137 Ja- gegen nur 11 Nein-Stimmen verabschiedet wurde, behandelt in drei Kapiteln die katholischen Prinzipien des Ökumenismus, dessen praktische Verwirklichung und die von Rom getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften.
Im Einklang vor allem mit der Dogmatischen Konstitution über die Kirche ("Lumen gentium") wird in dem Text "eine Neuorientierung der römisch-katholischen Kirche bezüglich ihres Selbstverständnisses deutlich, die eine positivere Würdigung anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften beinhaltet und deren Heilsvermittlung (differenziert) anerkennt", wie es das Johann-Adam Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn formuliert.
Das Konzilsdekret ist deshalb oft als "kopernikanische Wende" im Verhältnis der katholischen Kirche zur ökumenischen Bewegung und zu den nichtkatholischen Kirchen und Gemeinschaften eingeschätzt worden. Statt der bis dahin betriebenen "Rückkehrökumene", die Bewegung nur von den anderen Kirchen gefordert hatte, bezeichnet das Konzil nun schon im Titel des Dokuments als eine seiner Hauptaufgaben, "die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen".
Damit setzte das Konzil eine Entwicklung in Gang, die kaum absehbar war. 1966 bestätigte Paul VI. das Einheitssekretariat als permanente Einrichtung des Heiligen Stuhles. 1988 wandelte Papst Johannes Paul II. den Namen des Einheitssekretariates um in " Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen " (Einheitsrat). Zu seinen Aufgaben gehören der Dialog und die Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und christlichen Weltgemeinschaften. Die dabei erreichten Dokumente füllen dicke Bände. Zugleich wurde eine umfangreiche Zusammenarbeit auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens inspiriert. Ökumenische Kontakte zwischen Bischöfen, Theologen und den Gläubigen in den Gemeinden sind selbstverständlich geworden.
Dennoch: Auch 50 Jahre nach dem Dekret steht die Verwirklichung der "sichtbaren Einheit" der Kirche noch aus. "Die Frage, wie viel Verschiedenheit möglich ist, ohne die Einheit zu gefährden, und wie viel Einheit nötig ist, damit Vielfalt nicht zur Beliebigkeit wird, ist eine bleibende Herausforderung für die Ökumene", heißt es in dem im September in Fulda verabschiedeten "Wort der deutschen Bischöfe zur Ökumene" . Denn nach wie vor gilt die Aussage des Ökumenismusdekrets, dass die Spaltung der Christenheit "ganz offenbar dem Willen Christi (widerspricht), sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen".
Von Norbert Zonker (KNA)