Einladung zum Dialog
Auch in Deutschland nimmt das Tragen von Burkas zu, diesen Eindruck hat jedenfalls Stuttgarts evangelischer Stadtdekan Sören Schwesig auf den Straßen und Plätzen der baden-württembergischen Landeshauptstadt gewonnen. Ihm bereitet diese Entwicklung Unbehagen, denn, wie er in einem Interview des Südwestrundfunks sagte, "in unserer Demokratie ist es wichtig, dass ich das Gesicht zeige und das Gesicht meines Gegenübers erkennen kann."
Sollte als Reaktion auf eine Missachtung dieser demokratischen Grundvoraussetzungen in der deutschen Gesellschaft nun ebenfalls die Forderung nach einem Vermummungsverbot aufkommen, wäre das seiner Meinung nach ein Fall für den "Rat der Religionen", den Schwesig gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Christian Hermes ins Leben gerufen hat. In diesem Rat, den seine Gründer als einen "wesentlichen Beitrag zu einem guten und friedlichen Zusammenleben" in Stuttgart bezeichnen, könnte dann auf Augenhöhe und gewissermaßen von Angesicht zu Angesicht darüber diskutiert werden, wie einer solchen Forderung zu begegnen wäre.
Partnerschaftlicher Dialog zwischen den Religionen als Gebot der Stunde
Ein solcher partnerschaftlicher Dialog zwischen den Religionen ist ein Gebot der Stunde, das beweisen nicht zuletzt die sich wiederholenden islamistischen Terrorangriffe, deren unterschiedsloses Töten das Außenbild des Islam nachhaltig zu beschädigen droht. Sie haben eine ganze Glaubensgemeinschaft unter den Generalverdacht gebracht, Gewaltfreiheit allenfalls noch mit den Lippen zu verkünden, sie aber nicht mehr im Herzen zu tragen. "Die Bedeutung der Religion wird zunehmen", skizziert Stadtdekan Hermes angesichts dieser Situation den Hintergrund, vor dem sich die christlichen Kirchen Stuttgarts, deren jüdische Gemeinde sowie vier islamische Gemeinschaften künftig mindestens zweimal im Jahr an einen runden Tisch setzen wollen, an dem als weiterer Partner auch die Stadtverwaltung Platz nehmen wird.
Erste Früchte hat dieser enge Kontakt bereits getragen, denn das Attentat vom 13. November wurde in einer Erklärung verurteilt, in der Juden, Christen und Muslime gemeinsam betonen: "Wir setzen dem Hass unser Miteinander entgegen. Ein Miteinander, in dem wir um unsere Unterschiede wissen und mit unseren Unterschieden gute Nachbarschaft leben."
Wichtig für den Rat der Religionen, den es in ähnlicher Form auch in Hannover, Marburg, Köln, Bonn, Frankfurt und Ulm gibt, sind Vertrauen und gegenseitige Achtung, oder, wie Christian Hermes es formuliert, "das Grundgesetz des Rats ist der Respekt voreinander". Zudem ist für ihn ein klares Bekenntnis zur unbedingten Religions- und Gewaltfreiheit sowie zu den Werten unserer Verfassung notwendig, denn die Gläubigen der in ihm vertretenen Religionen treffen nicht unvorbelastet aufeinander. "Wir haben in Stuttgart viele katholische Christen", benennt beispielsweise deren Stadtdekan ein mögliches Dialoghindernis, "die unter islamischer Verfolgung gelitten haben."
Auch auf jüdischer Seite startet man nicht an einem fiktiven Nullpunkt. Für Barbara Traub, die Vorstandsprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, war die Zusicherung daher unabdingbar, "dass keine extremistische Gruppe Mitglied werden kann" und dass die Ratsmitglieder sich "von jeder Form des Antisemitismus distanzieren". Seitens der Muslime, die sich inzwischen nicht nur in Dresden vielfach mit offener Islamfeindlichkeit konfrontiert sehen, werden unter anderem die Chancen betont, in der Partnerschaft mit Christen und Juden einer um sich greifenden Religionslosigkeit oder gar Ablehnung alles Religiösen entgegenzutreten. Yavuz Kazanc, Vertreter des Verbandes Islamischer Kulturzentren, findet dafür deutliche Worte: "Wir leben in einer Zeit, in der Religiosität generell in Frage gestellt wird. Umso wichtiger ist es, dass wir Vertreter der Religionen uns zusammensetzen und gemeinsam an die Öffentlichkeit treten."
Eine gemeinsame Stimme der Religionen hörbar machen
Eine gemeinsame Stimme der Religionen in einer Stadt hörbar zu machen, in der sich immerhin und immer noch drei Viertel der Bürger zu einer Religion bekennen, ist denn auch eines der Hauptziele des neuen Rates. Ein solches Gremium kann gegen interne Konflikte nicht gefeit sein, das zeigt das Beispiel Frankfurts, wo die jüdische Gemeinde wegen unterschiedlicher Einschätzungen zur Lage im Nahen Osten ihre Mitgliedschaft derzeit ruhen lässt. Andererseits gibt es aber "kein besseres Heilmittel gegen Pauschalierungen als den Dialog", wie Christian Hermes betont.
Zu diesem offenen Gespräch sind in Stuttgart selbstverständlich auch die anderen Religionsgemeinschaften der Stadt eingeladen. Hauptvoraussetzung für eine Aufnahme ist dabei das uneingeschränkte Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands - und eine Mindestzahl von 150 Mitgliedern in Stuttgart. Zersplitterung macht schließlich nicht nur in politischen Parlamenten die Arbeit schwer.
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