Niederländische Lobby-Gruppe will Selbsttötung vereinfachen

Grünes Licht für die "Letzter-Wille-Pille"?

Veröffentlicht am 09.01.2016 um 12:20 Uhr – Von Christoph Arens (KNA) – Lesedauer: 
Sterbehilfe

Den Haag ‐ In den Niederlanden könnte es demnächst eine neue Debatte zur Sterbehilfe geben: Eine Lobby-Gruppe möchte eine Gesetzesänderung erreichen, wonach Sterbewillige sich die tödlichen Medikamente selbst beschaffen und anwenden dürften.

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Todkranke Patienten sollten künftig mit Hilfe der bislang nur auf illegalem Weg zu beschaffenden Pille ihr Leben selbst beenden können, schlägt NVVE-Direktor Robert Schurink vor, der seit 1. September die Vereinigung leitet. Damit könnten Konflikte zwischen Ärzten und Patienten verhindert und die Selbstbestimmung gestärkt werden. Außerdem soll aktive Sterbehilfe aus dem Strafrecht herausgenommen und zu einer normalen ärztlichen Handlung deklariert werden - gleiches soll für die Beihilfe zum Suizid gelten.

Mitte März will die NVVE, die nach eigenen Angaben 164.000 Mitglieder hat, einen entsprechenden Beschluss fassen und dann im Mai in verschiedenen Städten für ihr Ziel werben. Als erstes Land weltweit hatten die Niederlande die aktive Sterbehilfe seit April 2002 legalisiert - allerdings unter bestimmten Voraussetzungen. So dürfen nur Ärzte Euthanasie leisten - ein zweiter unabhängiger Mediziner muss dabei zustimmen. Außerdem darf Euthanasie nur bei Patienten durchgeführt werden, die aussichtslos und unerträglich leiden. Eine Kommission überprüft die Fälle in Nachhinein - nach Ansicht der NVVE zu strenge Vorgaben, zumal manche Ärzte dem Wunsch nach Euthanasie bisweilen nicht nachgeben wollen.

Mechanismen sollen vor Missbrauch schützen

Schurink verweist auf die alternde Gesellschaft. Viele Menschen sähen im hohen Alter keine Lebensqualität mehr und wollten selbstständig über ihren Tod bestimmen. Zugleich räumt der Direktor ein, dass eine Legalisierung der Todespille zu Missbrauch führen könnte. So müsste sichergestellt werden, dass die Mittel nicht in die Hände von psychisch Kranken, Trauernden oder Menschen mit Liebeskummer kommen könnten. Ein wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt soll deshalb Kriterien für die Vergabe erarbeiten und die Einführung der "Letzter-Wille-Pille" erproben.

Themenseite: Debatte um Suizidbeihilfe

Am 6. November 2015 hat der Bundestag organisierte Beihilfe zum Suizid in Deutschland verboten. Aus Anlass des neuen Gesetzes erläutert katholisch.de die wichtigsten Begriffe und Positionen rund um das Thema Sterbehilfe und stellt Alternativen wie Hospizarbeit und Palliativmedizin vor.

Kritiker sehen diese Pläne als Beweis, dass die Zulassung der aktiven Sterbehilfe zu einem Dammbruch führt. "Die aktive Sterbehilfe ist nicht länger eine Ausnahme; sie hat sich zu einer normalen Sterbensweise entwickelt", sagte etwa der niederländische Medizinethiker Theo Boer der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". 2005 habe es 1.800 Fälle von aktiver Sterbehilfe gegeben, 2014 waren es 5.300.

Auch die Begründungen für aktive Sterbehilfe haben sich erweitert: Handelte es sich anfangs zu 95 Prozent um Krebskranke und Aids-Patienten im Endstadium, sei dieser Anteil auf 75 Prozent gesunken, so Boer. "Insbesondere das Kriterium des unerträglichen Leidens hat sich als problematisch erwiesen." Hinzugekommen sind etwa Demenzkranke, Psychiatrie-Patienten, aber auch Personen, die unter allgemeiner Lebensmüdigkeit leiden.

Auch in Belgien steigt die Euthanasie-Rate

Auch in Belgien, das ebenfalls 2002 die aktive Sterbehilfe legalisierte, sind die Euthanasie-Zahlen in die Höhe geschnellt. Und zunehmend werden außermedizinische Gründe Auslöser von Sterbehilfe und Euthanasie, wie eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie zeigt. Die Forscher erfassten die Euthanasieraten in 6.871 Todesfällen in Flandern in der Zeit von Januar bis Juni 2013 und verglichen sie mit Zahlen aus dem Jahr 2007. Das Resultat: Nicht nur die Zahl der Euthanasiewünsche stieg von 3,4 auf 5,9 Prozent der untersuchten Fälle, sondern auch die Genehmigungsquote von 55 auf 77 Prozent. Der Euthanasie-Anteil an der Gesamtzahl der Todesfälle erhöhte sich von 1,9 Prozent auf 4,6 Prozent.

Auch hier entdeckten die Forscher bedenkliche Trends. "Obwohl die höchste Euthanasierate nach wie vor bei Krebspatienten, solchen mit höherer Schulbildung oder Universitätsabschluss und solchen, die vor dem 80. Lebensjahr sterben, liegt", heißt es im Fazit der Autoren, "gibt es eine wachsende Zahl von Sterbewünschen von Patienten mit anderen Krankheiten, solchen über 80 Jahre und Patienten, die in Altenwohnheimen leben."

Von Christoph Arens (KNA)