Auf den Pfad der Tugend
Zum Maßnahmenkatalog gehört auch Heilpädagogisches Reiten. Das hilft einem 14-jährigen Jugendlichen, der nach einer schlimmen Schlägerei im Freundeskreis ins Projekt kam und dort von Diplom-Sozialarbeiter Adrian Petric betreut wird. Dieser Ansatz war für die Polizei erst einmal befremdlich und die Pferdetrainerin hatte auch etwas Sorge um ihr Reittier, zeigt aber heute durchaus Erfolg. Ein gutes Beispiel für Vera Berger, Fachbereichsleiterin bei der Caritas Dinslaken-Wesel, dass ungewöhnliche und individuell gestrickte Lösungen gefunden werden müssen. Und wenn es die passende Hilfe noch nicht gibt? "Dann müssen wir sie erfinden", sagt Berger.
Nicht nur Vera Berger ist froh, dass die Vorbeugung mit "Kurve kriegen", initiiert vom Landesinnenministerium, einen neuen Stellenwert bekommt. Auch für Frank Hedderich, dem direkten Ansprechpartner bei der Polizei, eröffnen sich neue Möglichkeiten. Manche der Jugendlichen haben schon zehn oder zwanzig Anzeigen angesammelt und doch gab es kein rechtes Mittel, sie von weiteren Taten abzuhalten. Ratlos waren auch die Caritas-Mitarbeiter trotz zwanzig Jahren Erfahrung in Erziehungsbeistandsschaften: "Wir haben uns immer wieder gefragt, wie können wir gegensteuern?" Deshalb habe sich die Caritas auch so bemüht, "dieses Projekt zu ergattern", sagt Berger.
Engere Zusammenarbeit mit der Polizei
Der neue Ansatz ist zunächst einmal ein Ortswechsel. Adrian Petric hat ein Büro in der Polizeidirektion Wesel bezogen. Die Zusammenarbeit gelingt gut, beide Seiten haben viel voneinander gelernt im ersten Projektjahr. Im konkreten Fall ist erst einmal Frank Hedderich von der Polizei am Zug. Aus den täglichen Anzeigen filtert er jugendliche Delinquenten, die am Beginn einer sich verfestigenden kriminellen Karriere stehen. Er nimmt Kontakt mit der Familie auf und fragt an, ob Adrian Petric aktiv werden darf.
Überwiegend gelingt das auch. Wie bei dem 14-Jährigen, der sich mit seinem Cousin zu einer Schlägerei verabredet hatte. Im Gespräch mit ihm entdeckte er "sehr viel Positives". Mit PCs kennt er sich hervorragend aus, schreibt eigene Programme und arbeitet nebenbei für ein Reiseunternehmen. Nur, so Petric, hat er ein Sprachproblem, ist schwer zu verstehen. Nebenbei habe er erzählt, dass er Pferde sehr möge. Womit die Idee des Heilpädagogischen Reitens geboren war. Das hat sich so gut bewährt, dass es schon verlängert worden ist.
„Kurve kriegen“ bietet auch die Möglichkeit, langfristig mit den Kindern, Jugendlichen und Familien zu arbeiten. Bis zu zwei Jahre Zeit bleiben Petric. Ganz wichtig ist es für ihn, die Eltern einzubeziehen: "Sie benötigen häufig auch Hilfe". Über das ganze Spektrum an Unterstützungsmöglichkeiten hat er sich im Kreis Wesel erst einmal einen Überblick verschafft. Ziel ist es, 40 Familien im Jahr zu betreuen. Viel Zeit kostet die Koordination im Einzelfall mit Polizei, Jugendamt, Schulen und allen möglichen Hilfeanbietern.
Erfolgserlebnisse für die Jugendlichen
Eigentlich ist es auch kein Knick, der einen Jugendlichen plötzlich zurück auf den Pfad der Tugend führt, sondern ein längerer Prozess. Unter anderem versuchen Petric und sein Kollege Lukas Klimek, den Jugendlichen Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Denn ihre Aggressionen rühren häufig daher, dass sie immer und immer wieder nur Misserfolge erleben. Gepaart mit einer geringen Frustrationstoleranz kann das eine gefährliche Mischung ergeben. "Durch eine enge Betreuung erleben sie auch mal Erfolg", sagt Vera Berger.
Im Durchschnitt sind die Jugendlichen, mit denen Petric und Klimek zu tun haben, 13 Jahre alt und haben schon einiges auf dem Kerbholz. Manches stellt sich erst im Lauf ihrer Gespräche in der Familie heraus, denn längst nicht immer kommt es zur Anzeige. Wobei es da wohl ein Stadt-Land-Gefälle gibt. Von den Kölner Kollegen, die ebenfalls bei „Kurve kriegen“ mitmachen, hat Petric gehört, dass dort auch Achtjährige schon eine starke Tendenz zur kriminellen Karriere zeigen.
Geld ist kein Thema im Projekt, aber eindeutig bleibt, dass diese Arbeit im Vorfeld später hohe Kosten vermeiden wird. Optimistisch ist Petric bei seinem 14-jährigen Schützling. Dass er ein bis zweimal in der Woche mit dem Fahrrad eine halbe Stunde Fahrt für den Weg zum Reiten auf sich nimmt, wertet er als gutes Zeichen. Eines seiner Probleme ist die Fremdwahrnehmung. Da erscheint die Arbeit mit dem Pferd ideal, denn da gibt es auf jede Reaktion unmittelbar eine Gegenreaktion.
Von Harald Westbeld