Pfarrer von Ars: Vom Bauern zum Beichtvater
So einer wäre heutzutage nicht zur Priesterweihe zugelassen worden. Einfältig, lernbehindert, nervös, voller Selbstzweifel und depressiv: Die vom Kirchenrecht geforderten "intellektuellen Anlagen" und die physische und psychische Gesundheit brachte Jean-Marie Vianney bei seiner Weihe 1815 nicht mit. Und dennoch ist der als "Pfarrer von Ars" bekannte Mann seit rund 90 Jahren Patron der Pfarrer.
"Bitte entschuldige, dass ich so dumm bin", soll der 20-jährige Vianney gestottert haben, als ihn sein erst Zwölfjähriger Nachhilfelehrer geohrfeigt hatte. Der Geduldsfaden des Jungen ist gerissen, als er dem ungebildeten "Bauernlümmel" Latein beibringen sollte. Der Bauernjunge verzweifelt fast an sich selbst, denn ohne Latein kann er seinen größten Wunsch nicht erreichen: Priester zu werden.
Jean-Marie Vianney wurde am 8. Mai 1786 in Dardilly bei Lyon geboren, drei Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution. Diese prägte die katholische Sozialisation der Bauernfamilie: Die Kirche war geschlossen, Gottesdienste gab es nur heimlich in einer Scheune. Seine Erstkommunion hat Jean-Marie erst als 13-Jähriger in einem Haus des Nachbardorfs Ecully empfangen, während Männer zur Tarnung vor dem Haus einen Heuwagen abgeladen haben.
Examen erst im vierten Anlauf
Als er 17 Jahre alt wurde, war die Kirche von Dardilly wieder geöffnet, aber leer. Und der fromme Junge vertraut seiner Mutter an, dass er Priester werden möchte. Der Vater war skeptisch: Er brauchte die Arbeitskraft auf dem Hof und wusste, dass sein Sohn kaum lesen und schreiben konnte. Erst zwei Jahre später stimmten der Vater und Abbe Balley, der Pfarrer im Nachbarort, zu. Bei ihm paukte Jean-Marie jahrelang Latein und wurde durch seine Fürsprache im Priesterseminar angenommen.
Nach langen Jahren und vier Anläufen schaffte er die Examensprüfungen und wurde zum Priester geweiht, zunächst ohne die Erlaubnis, Beichte zu hören. 1818, nach drei Jahren als Vikar bei Balley in Ecully, wurde er ins 30 Kilometer entfernte Ars geschickt. Das Dorf galt als im Zuge der Revolution dem kirchlichen Leben entfremdet, für die nur 230 Einwohner gab es vier häufig genutzte Kneipen. "Dort kann er nichts mehr zerstören", soll der Bischof gesagt haben.
Ein Vorbild für Priester kann Jean-Marie Vianney deswegen sein, weil er keine Wunder über Nacht vollbracht hat. Es ist bekannt, dass er aus Ars eine Vorzeigegemeinde gemacht hat: Er hat die Sonntagsarbeit und die Trink- und Tanzgelage bekämpft, eine Mädchenschule gebaut und ein Waisenhaus, da es viele verlassene Kinder in der Gegend gab.
Aber er hat neun Jahre gebraucht, bis es die ersten Erfolge gab und die Kirche sich füllte und zwölf Jahre, bis die Pilgerströme kamen, um bei ihm zu beichten. Ab 1830 standen Bauern, Intellektuelle, Arbeiter, Eifrige und Neugierige aus ganz Frankreich stunden- und tagelang vor dem Beichtstuhl an, jährlich waren es 20.000 Menschen. Von der nächsten Bahnstation in Villefranche wurden Fahrgelegenheiten geschaffen, in Lyon wurden erstmals Rückfahrkarten mit der Gültigkeitsdauer von acht Tagen ausgegeben.
Pfarrer von Ars: Gebetet, gefastet, gebüßt
Dabei waren die Menschen bei Vianneys Ankunft in Ars genauso kirchenkritisch und am Glaubensleben uninteressiert, wie man es den Menschen heute vorwirft. Wie hat dieser einfache Pfarrer die Massen so anziehen können? Zuerst stellte er erschreckt fest, dass die Bewohner sich wirklich so gottlos benahmen, wie er gehört hatte. "Und doch Gottes Kinder, für die ich verantwortlich bin", sagte er sich. Statt nun von Höllenstrafen zu reden, fing er an zu beten, zu fasten und zu büßen. Er gab die meisten Möbel aus dem Pfarrhaus weg, schlief auf dem Boden oder auf rohen Holzbrettern. Und wenn er die 60 Familien in Ars besuchte, gab er den Ärmsten von seinem Geld.
Die ausgezehrte Gestalt schlurfte in klobigen Bauernschuhen und seiner einzigen, zerschlissenen Soutane zu ihnen und lud sie ein, die Sakramente zu empfangen: "Sagt nicht, dass ihr Sünder seid und deshalb nicht zu kommen wagt. Ebenso gut könntet ihr sagen, dass ihr zu krank seid und deswegen keine Kur machen wollt, dass ihr deswegen keinen Arzt rufen wollt."
Vianney überzeugte letztlich durch die Echtheit seiner Persönlichkeit: Wenn er von Gott sprach, hatte er wache, feuersprühende Augen, und er lebte die mitreißende Liebe Jesu Christi vor. Intellektuelle Eitelkeit, moralische Überlegenheit oder "klerikaler Neid" waren ihm fremd: Er freute sich über jeden, der zu Gott fand. Seine Mitbrüder sahen das oft anders. Von ihnen gab es Verleumdungen gegen den übertrieben strengen Pfarrer - genau wie von Kneipenwirten. Er solle die Leute, die nicht zu seiner Gemeinde gehörten, aus der Kirche wegschicken, meinten andere Geistliche. Oder: "Wenn man so wenig Theologie versteht wie Sie, dann sollte man sich nicht in einen Beichtstuhl setzen."
Diese Anfeindungen hielt der Pfarrer von Ars selbst für gerechtfertigt. Er hielt sich für überfordert und unfähig und zweifelte deswegen an seiner Berufung. Immer wieder wollte er sich für ein Leben des Gebets ins Kloster zurückziehen. Als ihm eine Petition gegen den Pfarrer von Ars zwischen die Hände kam, unterschrieb er sie. Aber das half nichts, genauso wie seine mehrmaligen Fluchtversuche: Er wurde immer wieder von den Gläubigen zurückgehalten. Denn er schaffte es, mit einfachen Worten im Beichtstuhl, dass sich die Schwäche der Menschen in einen neuen Anfang verwandelte. Der Pfarrer weinte mit seinen Gesprächspartnern über verpasste Chancen und Symptome der Lieblosigkeit - und freute sich über jeden kleinen Sieg.
Täglich bis zu 17 Stunden im Beichtstuhl
In den letzten 33 Jahre seines Lebens verbrachte er täglich 10 bis 17 Stunden im Beichtstuhl. Manchmal hörte er so lange, bis er ohnmächtig wurde. Im heißen Sommer 1859 war er am Ende seiner Kräfte und empfing noch krank im Bett Menschen, die die Absolution wollten. Am Morgen des 4. August starb er, wurde 45 Jahre später selig- und im Jahr 1925 heiliggesprochen.
Jean-Marie Vianney mag zwar lernbehindert und depressiv gewesen sein, aber er brachte wichtige Eignungen für den Priesterberuf mit: den unbedingten Willen, sich dauernd dem geistlichen Amt zu widmen, Frömmigkeit und Gottvertrauen - und vor allem Liebe. Seine Weihe war ein Glücksfall für die Kirche, seine Lernprobleme können jungen Theologiestudenten Hoffnung geben, und sein Leben kann Priestern als Vorbild dienen.