"Das Leben leben"
"Für die Betroffenen ist die konkrete Zuwendung wichtiger, als die mediale Aufmerksamkeit", erklärt er im Telefongespräch mit katholisch.de. "Ich möchte den Menschen hier Mut machen: Das Leben geht weiter." Dennoch gehen Nachrichten wie die über das 11. deutsche Todesopfer in der vergangenen Woche nicht spurlos an ihm vorbei: "Wenn man das aus den Medien mitbekommt, ist man unmittelbar wieder an das Unglück erinnert", so Pater Jernej.
Am 12. Januar zündete ein Selbstmordattentäter vor der weltberühmten Moschee Hagia Sophia mitten in Istanbul eine Bombe in einer Gruppe deutscher Touristen. Der Schock saß tief, doch die Aufklärung des Attentats stockt. Bis heute fehlt dazu jegliches Bekennerschreiben. Dennoch hat Pater Jernej das Gefühl, dass die Medien über das Unglück ausführlich und würdig berichtet hätten, weil die Trauer ihren Platz gehabt habe und auch von höchster politischer Ebene dazu Stellung bezogen worden sei - von deutscher wie von türkischer Seite.
Trost für die Betroffenen
Die Meldungen in den Medien können eine gute Hilfe sein, wenn sie eine breitere Aufmerksamkeit auslösten, so der Lazaristenpater aus Österreich. "Ich habe gelesen, dass es auch den Angehörigen gut tut, wenn breit Solidarität ausgesprochen wird. Ja es kann sogar sein, dass sich die Betroffenen dadurch getröstet und gestärkt fühlen."
„Die Leichen wurden bestattet, die Unsicherheit bleibt.“
Jernej weist auf den Philosophen Peter Sloterdijk hin, der sage, dass es im Sinne der Täter wäre, wenn die Medien zu viel und zu sensationell über Terrorakte berichteten. "Sie wollen Aufmerksamkeit erregen um jeden Preis. Das hat mich nachdenklich gemacht." Bei der Berichterstattung müsse darauf geachtet werden, nicht den Tätern in die Hände zu spielen. Sloterdijk habe sogar eine Schweigephase empfohlen, um über diese gewaltvollen Provokationen nachzudenken.
Das mediale Vergessen sei also sogar gut, so Pater Jernej. "Ich würde mir wünschen, dass man in den Medien die Dinge sehr wohl benennt, aber immer auch die Konsequenzen mitbedenkt." Dies müsse allerdings nicht im Sinne von reißerischen Schlagzeilen sein. Es sei eine Herausforderung für die Medien, den Dingen so auf den Grund zu gehen, dass die Menschen daraus ihre Lehren für ihr Leben ziehen können.
Von der Dachterrasse der St. Georgs-Kirche sieht man direkt auf die Hagia Sophia. Dort steht Pater Jernej oft und denkt an die Opfer des Anschlags. Hier ist das Unglück passiert, das wird lange Zeit gegenwärtig bleiben. Auch die Angst bleibt, dass so etwas nochmals passieren könnte. "Aber ich versuche, der Angst in die Augen zu blicken", so Jernej. "Die Leichen wurden bestattet, die Unsicherheit bleibt." Das eigene Sicherheitsgefühl sei angegriffen, es gebe auch zahlreiche Warnungen in Istanbul, zum Beispiel größere Ansammlungen zu meiden. "Aber in unserer Kirchengemeinde bleibt die Angst draußen", ist sich Jernej sicher.
Bei größeren Gottesdiensten sei ein eigenes persönliches Begrüßungskomitee eingerichtet worden. Es habe die Aufgabe, die Leute einzeln anzusprechen und Auffälligkeiten wahrzunehmen. Das funktioniere gut, so der Pater. Dennoch versuche er, sich so gut es geht zu schützen und vorsichtig zu sein. "Mich tröstet, dass immer wieder Attentate verhindert werden", betont Pater Jernej. Letztlich sei alles, was er tue, in dem Grundvertrauen auf Gott gegründet.
Das Leben als Geschenk annehmen - gerade jetzt
Die Aufgabe der Gemeinde sei es, für die Menschen da zu sein und für die Opfer und die Angehörigen zu beten. "Meine Gedanken sind bei den Verstorbenen", sagt Pater Jernej. Sie seien jetzt in einer anderen besseren Welt angekommen. "Sie wünschen uns sicher, dass wir leben und dass wir das Leben als Aufgabe und als Geschenk weiter annehmen." Die Beziehungen, die Liebe und der Glaube bleiben. Er ist sich sicher, dass es einmal eine Zeit in der Ewigkeit geben werde, über alle Fragen zu sprechen, die noch offen geblieben.
In seiner Heimatgemeinde Graz in Österreich gab es vor rund einem halben Jahr einen Amoklauf in einer großen Einkaufsstraße. "Heute leben die Menschen dort mit diesem Unglück. Das wird auch in Istanbul so sein. Ich lade die Menschen daher ein, mich in Istanbul zu besuchen und keine Angst zu haben."