Wolfgang Sieffert OP berichtet über seine Arbeit in der Armenküche

Hungrige speisen

Veröffentlicht am 11.02.2016 um 00:01 Uhr – Von Pater Wolfgang Sieffert OP – Lesedauer: 
Fastenimpuls

Bonn ‐ Während der Fastenzeit stellt katholisch.de die Werke der Barmherzigkeit vor. Dazu erzählen Ordensleute von ihrer täglichen Arbeit. Den Auftakt macht Pater Wolfgang Sieffert. Er arbeitet in einer Armenküche in Düsseldorf.

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Eine Chance für uns und die Fastenzeit! Im Selbstfindungsprozess - "Umkehr" nennt die Bibel dieses Ringen mit sich selbst - geben die Werke der Barmherzigkeit Orientierung. Christlichem Glauben geht es um eine Haltung, zu der "Werke" gehören. Glaube ist praktisch, keine folgenlose Innerlichkeit. Und beim Thema Umkehr geht es deshalb nicht allein um Selbstbespiegelung, nicht einmal um isolierte Betrachtung meiner Beziehung zu Gott, sondern auch und vor allem um den bedürftigen Nächsten.

"Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben." Zu finden sind diese Worte Jesu im Matthäusevangelium (Mt 25,31-46). Jesus nennt hier konkrete Notsituationen. Die kirchliche Tradition macht daraus die sieben Werke der Barmherzigkeit: Hungrige speisen, Obdachlose beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke, Gefangene besuchen und Tote begraben. Die "Gerichtsrede Jesu" macht klar, worum es letztgültig geht; wir würden das heute praktizierte Nächstenliebe nennen. Darüber hinaus sagt Jesus, dass er selbst gespeist wird, wenn ein Hungriger zu essen bekommt.

Gott im Handeln am Nächsten begegnen

Welche Herausforderung: An unserem Verhalten zum Nächsten entscheidet sich alles. Aber auch: Welche Chance! Im Handeln am Nächsten treffen wir Jesus, geschieht Gottesbegegnung. Glaube ist ein ganzheitliches Geschehen, immer auch irdisch, immer auch körperlich. Die "leiblichen" Werke der Barmherzigkeit sind nicht nur Tun an anderen, sondern zugleich die Chance, meine eigene Leiblichkeit wahrzunehmen. Vor Gott wie vor mir selbst stehe ich als bedürftiger und verletzlicher Mensch. Unfertig darf ich sein, weil Gott mich trägt. Seine Barmherzigkeit ist die Quelle der Barmherzigkeit - auch der mit mir selbst.

Pater Wolfgang Sieffert, Dominikaner Düsseldorf
Bild: ©Pater Wolfgang Sieffert, Dominikaner Düsseldorf

Der Dominikanerpater Wolfgang Sieffert (2.v.l.) mit seinem Team in der Armenküche in Düsseldorf: "Glaube ist praktisch, keine folgenlose Innerlichkeit."

Was Jesus "Umkehr" nennt, nenne ich für mich gern auch "Heimkehr zu Gott". Das ist immer ein ganzheitlicher Weg und Prozess. Deshalb regt die Kirche an, diesen Prozess in der Fastenzeit in drei verschiedenen Dimensionen zu befruchten: durch verstärktes Gebet, Verzicht und Werke der Nächstenliebe.

Hungrige speisen. Spirituelle Orientierung durchs Tun. Da bin ich auf einmal befreit von manchmal quälender Selbstreflexion und der Frage, was in meinem Leben und auf meinem Weg mit Gott gerade wichtig ist. Ich darf etwas tun und mich dadurch führen und stärken lassen. Mir selbst ist mein Mitmachen in der Altstadt-Armenküche hilfreich. In kleinen Räumen im Düsseldorfer Rathaus wird jeden Tag ein frisches warmes Essen für oft mehr als 100 hungrige Menschen gekocht. In den kleinen, aber wohnlichen Speiseraum passen nur 16 Personen. Deshalb wird in mehreren Schichten gegessen; jedes Mal wird der Tisch liebevoll neu gedeckt. Die Gäste sind Männer und Frauen, Junge und Alte, Obdachlose und Menschen, die ein Dach über dem Kopf haben, aber in Schwierigkeiten stecken, zum Beispiel keinen Strom haben. Sie alle beteiligen sich wenn möglich mit einer ganz kleinen Spende. So können sie sich als Gäste fühlen und nicht als Almosenempfänger. Auch das drückt Respekt aus. Es geht nicht nur um hungrige Mägen, auch um Würde und Personalität.

Hier muss sich niemand outen; und wer will, isst schweigend. Dennoch wird in der Armenküche viel erzählt. Die hier gelebte Barmherzigkeit bringt in Kontakt, auch ins Nachdenken. Von und mit unseren Gästen haben wir manches gelernt, seit wir 1992 begonnen haben. Wir machen Armut sichtbar und was wir von unseren Gästen mitbekommen, bringen wir als Lobby für sie ein in die Weiterentwicklung des Hilfesystems und öffentliche Diskussionen.

Themenseite: Heiliges Jahr

Vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 findet das von Papst Franziskus ausgerufene "Heilige Jahr der Barmherzigkeit" statt. Diese Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zum Heiligen Jahr.

Wenn Not über den Hunger hinausgeht, beraten und vermitteln zwei Sozialarbeiter. Weil der Mensch nicht von Brot allein lebt, veranstalten wir "Kultur für Wohnungslose": Mit Musik und Theater oder anderen Aufführungen für unsere Gäste. Jährlich gibt es zudem ein großes Fest am Rhein unter dem Titel "Essen für Arme und Reiche". Mit anderen setzen wir uns für ein preiswertes Sozialticket und bezahlbaren Wohnraum ein. Auch armen Menschen soll Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden. Hunger stellt auch die Frage nach Gerechtigkeit.

Barmherzigkeit weitet inneren Horizont

Den Ursprungsimpuls gaben vor fast 25 Jahren Ordensgemeinschaften. Was sich daraus entwickelt hat, trägt ein freier, unabhängiger Verein. Auch ohne spezifisch christliches Etikett erlebe ich in den Gesprächen und Begegnungen eine große Nähe zum Evangelium. Menschen finden zueinander, Außenseiter gehören dazu, Hungrige werden satt… Möglich ist das durch die große Zahl von Menschen, die die Altstadt-Armenküche durch ehrenamtliche Mitarbeit, meist einmal in der Woche, oder durch Spenden unterstützen. Als Mitverantwortlicher habe ich auch eine Sorge für die, die sich hier engagieren. Persönliche Grenzen sind gut und notwendig. Niemand soll überfordert werden, keiner und keinem der Einsatz über den Kopf wachsen. Das führt auch dazu, dass wir uns als Projekt Grenzen setzen. Nicht alle Nöte sind unsere Aufgabe.

Zu Beginn der diesjährigen Fastenzeit auf die Armenküche und die Werke der Barmherzigkeit zu schauen, macht mich vor allem dankbar. Ich erfreue mich an dem, was da in meiner Nachbarschaft geschieht, wie viele da frohen Mutes mitmachen und dass ich dabei sein darf. Ich bin glücklich, dass ich mein tägliches Brot habe, und spüre, dass ich auch geistlich nicht weiterkomme, wenn ich um mich selbst kreise. Engagement und Kontakte in der Armenküche geben mir so einen auch spirituellen Halt. Und ich darf spüren, wie Barmherzigkeit den inneren Horizont weitet. Wir haben einmal begonnen, Hungrige zu speisen. Heute wissen und spüren wir, welche Bedeutung es hat, einem Menschen etwa zu sagen: "Du gehörst dazu. Ich höre dir zu. Ich rede gut über dich. Ich gehe ein Stück mit dir. Ich teile mit dir." Jeder dieser Sätze tut der Person, die ihn hört, genauso gut wie der, die ihn sagt. - "Selig die Barmherzigen. Denn sie werden Erbarmen finden", sagt Jesus in der Bergpredigt. Ich möchte ergänzen: Die Barmherzigen verändern sich auch selbst - und sie verändern die Welt.

Linktipp: Dominikaner

Streng und asketisch leben und dabei den Intellekt für Gott zu schulen, das war das Hauptanliegen des heiligen Dominikus (1170- 1221). Die besten intellektuellen Köpfe der damaligen Zeit ließen sich durch den attraktiven neuen Orden anziehen.
Von Pater Wolfgang Sieffert OP