Durstige tränken

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"Durst ist schlimmer als Heimweh." Diese Formulierung kenne ich aus meinen Jugendtagen. In unserem Land haben wir sauberes und genügend Wasser, sodass diese Erfahrung wohl nicht so oft vorkommt. Einmal konnte ich jedoch ahnen, was der Satz bedeutet. Es war auf einer Bergwanderung an einem heißen Sommertag. Ich war völlig unerfahren, was das angeht. "Zu trinken kaufen wir uns oben", hieß es. Es gab aber oben nichts zu trinken! Der gut dreistündige Aufstieg auf der Südseite hat mehr als Durst gemacht. Er hat mich völlig ausgetrocknet. Den wunderbaren Berggipfel konnte ich nicht genießen, geschweige denn das herrliche Panorama ringsum. Ich hatte Angst. Die Rettung war für mich die Erinnerung daran, dass ich auf halber Strecke eine Wassertränke für das "Almvieh" gesehen hatte. So haben wir mehr oder weniger die Flucht ergriffen – Richtung bergab. Nach eineinhalb Stunden erreichten wir die Wasserstelle und Angst und Panik waren vorüber.
"Durst ist schlimmer als Heimweh"
Ja, "Durst ist schlimmer als Heimweh", denn Letzteres ist nicht schön, aber auch nicht lebensbedrohlich. Der Auftrag, "Durstige zu tränken", gehört zu den Werken der Barmherzigkeit. Beeindruckend für mich war schon immer, dass Jesus erst für das leibliche Wohl der Menschen sorgte. Auch uns Barmherzigen Schwestern war die ganz praktische Abhilfe von Not und Sorge für Arme ans Herz gelegt. Die ersten Schwestern wurden im 17. Jahrhundert in Frankreich ausgesandt, um mit großen Suppentöpfen Hunger und Durst zu stillen. Es gibt inzwischen viele und große Hilfsorganisationen in unserem Sozialstaat. Trotzdem sehen wir bis zum heutigen Tag in der Barmherzigkeit einen Anruf, ganz praktisch zu helfen. Das möchten wir im Kleinen in unserer Suppenstube für Obdachlose und Bedürftige, aber auch durch unseren Brunnenbetrieb, die Adelholzener Alpenquellen.

"Jesus gibt lebendiges Wasser", zitiert Vinzentinerin Rosa Maria Dick aus dem Johannes-Evangelium.
"Wasser ist Leben" steht in großen Buchstaben auf einer Fassade am Firmengelände. Wasser stillt unseren leiblichen Durst und ist lebensnotwendig. Es ist daher wohl nicht zufällig, dass wir das Wort "Durst" oft im übertragenen Sinn verwenden, wenn es um "Lebens-Not-Wendiges" geht. Der Lebensdurst meint eine tiefe Sehnsucht. Diese tiefe Sehnsucht nach Leben hat Jesus bei den Menschen wahrgenommen und ernst genommen, den Durst danach manchmal auch neu geweckt, wenn dieser verdrängt oder zugedeckt war.
Eine – für mich - ganz wertvolle und faszinierende Stelle in der Bibel steht im 4. Kapitel des Johannesevangeliums. Ich möchte im Folgenden den Originaltext sprechen lassen, bevor ich darauf eingehe: Jesus ….verließ Judäa und ging wieder nach Galiläa. Er musste aber den Weg durch Samarien nehmen… Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Da kam eine samaritische Frau, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken! Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen. Die samaritische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.
Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden? Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt. Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen (Joh. 4, 4-16)
Themenseite: Heiliges Jahr
Vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 findet das von Papst Franziskus ausgerufene "Heilige Jahr der Barmherzigkeit" statt. Diese Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zum Heiligen Jahr.Im ganz Alltäglichen und auf dem Weg, den die Frau sicher schon oft machte, kommt es zu einer tiefen Begegnung mit dem Sohn Gottes. Aber sie begegnet nicht nur Jesus, sondern sich selbst, ihrem tiefsten Durst und ihrer Sehnsucht. Das Wunderbare ist, dass viele Menschen durch Jahrhunderte hindurch diese Erfahrung machen durften. Und ich zähle mich auch zu diesen Menschen und Beschenkten.
Wenn ich unseren Papst Franziskus richtig verstehe, dann erinnert und appelliert er seit seinem Amtsantritt, Gottes Erbarmen im eigenen Leben wahrzunehmen. Auch in einem Jahr wie diesem, in dem er das außerordentliche "Jahr der Barmherzigkeit" ausgerufen hat, scheint mir das Wichtigste zu sein, in eigenen Leben staunend und dankend anzuerkennen, wie sehr ich davon lebe, dass Gott ein Herz für mich hatte und hat, weil er mich an Quellen führt, die unerschöpflich sind. Und immer wieder darf ich andere dahin mitnehmen, auch und gerade, wenn ich meinen eigenen Durst nicht verschweige.
Die Fastenzeit empfinde ich jedes Jahr als eigenes Angebot, meinen Alltag "gründlicher" zu gestalten, auf manches zu verzichten, wegzulassen, um freier zu werden für Wesentliches. Damit meine ich nicht nur die Nahrung, sondern auch Dinge, die meinen Lebensstil und Haltungen ausmachen. Auch meine Sprache ist da inbegriffen. Ich nehme mir vor, das Wort "müssen" weniger zu verwenden oder auch das Wort "schnell". Denn meistens bin ich achtsamer, wenn ich mich entschleunige.
Linktipp: Vinzentinerinnen
Wie Egoismus zur Gründung einer wohltätig arbeitenden Vereinigung beitragen kann, das zeigt die Geschichte der Vinzentinerinnen und ihres Gründers Vinzenz von Paul.Wenn ich achtsamer bin, kann ich auch den Durst der anderen besser wahrnehmen. Und der Durst in unserer nächsten Nähe hat viele Auftrittsformen. Eine ganz konkrete sind die vielen Flüchtlinge, die eine neue Heimat suchen. Auch hier passt die Bibelstelle aus dem Johannesevangelium. Eine Frau aus einer anderen Region und mit einer anderen Religion steht da – mit ihrem Durst - vor Jesus und vor uns. Unabhängig vom Geschlecht, dem Land und der religiösen Zugehörigkeit, schenkt Jesus ihr Wertschätzung und stillt ihren Durst.
Jesus rüttelt mich wirklich auf
Da rüttelt mich Jesus wirklich auf. Ja, dieses Werk der Barmherzigkeit: "Durstige zu tränken" ist besonders aktuell auf die "anderen Menschen" hin, die ihren Durst nicht nur nach Wasser stillen möchten. Denn Durst und Heimweh sind schlimm.