Die neue Maria ist keine Kopie
Will also eine Pfarrei ihre historische Kirche mit einem freistehenden Altar ausstatten, muss Heisig meist erst für dieses Problem sensibilisieren: "Ein solcher Altar kann nicht so aussehen wie beispielsweise aus dem 18. Jahrhundert, dafür gibt es ja keine Vorbilder. Da muss man dann eine andere Lösung finden."
Aber es sind nicht nur Altäre, um die sich Alexander Heisig kümmert: Seit rund 13 Jahren betreut er im süddeutschen Erzbistum "alles, was an neuen Ausstattungen in Kirchen kommt." Dazu zählen auch die Anschaffung von Kunstwerken oder liturgischer Einrichtung, Restaurierungen, Renovierungen oder Neubauten, bei denen er von der ersten Inaugenscheinnahme bis zur Einweihung dabei ist. Wenn er von den Pfarreien angerufen wird, geht es meistens um größere Projekte: "Kleine liturgische Gegenstände wie Kelche kaufen die Pfarreien selbst und sehr häufig aus dem Katalog." Zurzeit begleitet er vor allem liturgische Neuausstattungen von bereits bestehenden Kirchen unterschiedlichster Zeitstile – aber auch zwei Kirchenneubauten: Die Kirche im oberbayrischen Poing, die dem Seligen Pater Rupert Mayer geweiht wird, und einen Ersatzbau für die marode Kirche St. Josef in Holzkirchen.

Dr. Alexander Heisig, Abteilungsleiter Zeitgenössische Kunst und Kirche des Erzbistums München und Freising.
2011 musste Heisig ein Problem mit einem Kunstwerk in der ehemaligen Klosterkirche in Attel lösen: "Wir konnten die Maria Immaculata aus Sicherheitsgründen nicht mehr auf dem originalen Schrein stehen lassen." Die wertvolle Figur von Ignaz Günther aus dem 18. Jahrhundert wollte die Pfarrei durch eine Kopie der Figur ersetzen, damit das Gesamtbild des Schreines, zu der die Figur gehörte, erhalten blieb. Aber Heisig sprach sich dagegen aus. "Was transportiert so eine Kopie? Doch nur eine Oberfläche, keine Tiefe und keinen Inhalt." So wurde die Künstlerin Elke Härtel beauftragt, in dem Wissen um die Originalfigur aus dem 18. Jahrhundert eine neue Maria Immaculata zu schaffen.
"Die unbefleckte Empfängnis ist schwierig zu fassen"
Kein leichter Entschluss, schon von Thema her. "Die unbefleckte Empfängnis ist ikonografisch sehr komplex und schwierig zu fassen", meint Heisig. Dazu kommt: "Jeder meint beim Stichwort "Marienbild", dass das aussehen müsste wie die in Lourdes und Fatima." Elke Härtel setzte sich mit der Thematik auseinander und schuf eine ganz in weiß gehaltene Figur; eine, die sich in Gestik und Aussehen auf das Original beziehe, aber es nicht kopiere. "Sie hat eine eigene und zeitgemäße Antwort gefunden", findet Heisig.
Die "Maria Immaculata" von Attel
Für ihre "Maria Immaculata" hat die Künstlerin Elke Härtel versucht, sich Wesen und Charakteristika von der originalen Figur Ignaz Günthers aus dem 18. Jahrhundert bewusst zu machen und in ihrer Gestaltung aufzunehmen: Der Faltenwurf des Kleides, Marias unbestimmter Blick in die Ferne und ihre Haltung, die zeigen, dass das Böse ihr nichts anhaben kann. Das Böse, personifiziert als Echsenwesen mit menschlichem Gesicht, ist besiegt – das spricht aus dessen Gesten und dem melancholischen Gesichtsausdruck.Solch eine Lösung, die moderne mit der überlieferten Kunst in Kirchen verbindet, stellt für Heisig keinen Widerspruch dar – im Gegenteil. "Historische Kirchenräume kennen selten nur eine Stilrichtung, da sie meist schon im Laufe der Jahrhunderte umgebaut oder verändert wurden." Er hat klassische Kunstgeschichte studiert und über Barockskulpturen promoviert. Die Trennung zwischen zeitgenössischer und historischer Kunst hält er für "nicht sinnvoll im Sinne des Verständnisses von dem, was angemessen ist für einen Kirchenraum. Ich glaube, dass man das Alte nicht ohne das Neue wirklich versteht und das Neue nicht ohne das Alte."
Diese Einstellung teilen nicht alle Pfarreien. Gerade wenn eine Renovierung ansteht und in diesem Zug die gesamte liturgische Ausstattung mit Altar und Ambo neu gestaltet werden soll, muss Heisig erst einmal beruhigen: "Nichts passiert ohne die Zustimmung der Pfarreien." Eine andere Lösung, etwa eine historisierende Ausgestaltung, sei zumindest schwierig. "Wir als zeitgebundene Wesen stehen immer in der Gegenwart. Selbst wenn wir restaurieren und vermeintlich das Raumbild einer Kirche aus dem 18. Jahrhundert wiederherstellen, sehen wir es mit den Augen von 2016."
Kirche muss als besonderer Ort erkennbar bleiben
Damit sich eine moderne Ausstattung harmonisch in den historischen Raum einfügt, braucht es für jede Kirche eine individuelle Lösung. Eines ist Alexander Heisig dabei besonders wichtig: Zurückhaltung bei der Gestaltung. "Man kann nicht alles mit Symbolen wie Kreuzen, Ähren oder Trauben verzieren oder die Zahlensymbolik bemühen, sonst wird es inflationär." Ob der neue Altar oder Tabernakel in den Kirchenraum passe, liege auch daran, "wie selbstverständlich und prägnant er sich im Raum artikuliert. Dem, der die Kirche betritt, muss klar werden, dass dies ein besonderer Ort ist."
Linktipp: Das Mobiliar in der "Wohnung des Herrn"
Ob der Kölner Dom, die Pfarrkirche oder die kleine Kapelle auf der Flur: Kirchen sind besondere Orte. In ihnen findet sich eine Reihe besonderer Einrichtungsgegenstände mit teilweise uralter Geschichte. Katholisch.de erklärt, was es damit auf sich hat.Bei der Wallfahrtskirche Weihenlinden ist das gelungen: Nach der Renovierung des barocken Gotteshauses sollte ein Ort für die liturgische Feier mit Altar und Ambo geschaffen werden, der einen eigenen Akzent setzt. Keine leichte Aufgabe, da es hinter dem Hochaltar die Gnadenkapelle gibt, die einen Raum in der Kirche bildet. "Wir brauchten jemand, der diese schwierige Architektur in Griff kriegt, der aber gleichzeitig eher zurückhaltend und nicht zu laut wirkt in seiner skulpturalen Gestaltung", berichtet Heisig. Der Künstler Rudolf Bott, der schon für St. Nikolaus in Neuried die liturgische Ausstattung gestaltet hatte, nahm sich der Aufgabe an. Er schuf ein rundes Podest für Altar und Ambo – alles aus rotem Adneter Marmor. Dieses Material verwendeten schon die Künstler aus der Barockzeit in der Wallfahrtskirche, unter anderem für die Fassung des Hochaltars. Außerdem sind Altar und Ambo jeweils mit einer bogenförmigen Öffnung versehen, die die charakteristischen Bögen des Kirchengebäudes aufgreift. "Durch ihr Material und ihre Form passt sich diese liturgische Ausstattung harmonisch ein", meint Heisig.
Balanceakt zwischen Künstler und Kirchenverwaltung
Für diese Aufgabe spielt die Auswahl des Künstlers eine große Rolle, ebenso wie eine gute Kenntnis der zeitgenössischen Kunstszene. "Ich muss außerdem wissen, was aktuelle künstlerische Fragen sind und was die Künstler bewegt", erklärt Alexander Heisig. "Wir haben eine sehr plurale Kunstszene, es gibt nicht mehr die Strömungen und Stile wie noch vor ein paar Jahren." Um den Kreis der infrage kommenden Künstler zu erweitern, führt das Erzbistum unter anderem Projekte wie anlassbezogene Klassenwettbewerbe für Studenten der Münchener Kunstakademie durch.
Bekommt ein Künstler einen Auftrag der Kirche, sind seiner Kreativität zunächst nur wenige Grenzen gesetzt. "Natürlich gibt es rote Linien, bei der Gestaltung eines Altars etwa schreibt die Deutsche Bischofskonferenz unter anderem vor, dass die Altarplatte unversehrt und ein Reliquienplatz vorgesehen sein muss", erklärt Heisig. Zum anderen müsse der Altar als Altar funktionieren, man beispielsweise – ganz profan – etwas darauf abstellen können. Einwänden der Kirchenverwaltung müsse sich der Künstler stellen – zuweilen ein Balanceakt. "Der Entwurf eines Künstlers hat aber in der Regel eine gewisse innere Logik, an der man gemeinsam weiterarbeiten kann, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt."
Es gebe jedoch Dinge, die für den Künstler nicht verhandlungsfähig sind, weil sie etwa seinen Entwurf ad absurdum führen würden. "Sowieso kann man nicht jeden Wunsch umsetzen: Die Pfarrei ist ja nicht homogen und es gibt jedes Mal verschiedene Meinungen zum Entwurf", hat Heisig beobachtet. Und: "Kunst ist deutungsoffen. Das ist gut, so kann jeder einen Anknüpfungspunkt für sich finden. Aber ob der Entwurf gefällt, hat ja immer auch mit dem zu tun, was der Betrachter darin zu sehen vermag."