Neue Arbeit statt neuer Armut
In der Bescheidenheit, in der die "Neue Arbeit Lahr" (NAL) in einem Industrie- und Kleingewerbegebiet am Rande der badischen Mittelstadt Lahr logiert, kommt sie dem sehr nahe, was sich der populäre Pontifex unter einer "verbeulten Kirche" vorstellt, die "auf die Straßen hinausgegangen" ist. Die Zentrale der vom Caritasverband Lahr und der dortigen evangelischen Kirchengemeinde 1984 gemeinsam gegründeten "Gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaft" haust in einer ehemaligen Autowerkstatt, die ungefähr so repräsentativ wirkt wie ein abgetragener Anzug ohne Bügelfalten.
Und genau das ist Absicht. Sagt jedenfalls Djahan Salar, in Freiburg geborener Badener mit iranischen Wurzeln und gemeinsam mit seiner Kollegin Katharina Haverkamp einer der beiden Geschäftsführer der "Neuen Arbeit Lahr". "Wir investieren lieber in unsere Mitarbeiter und in die Maschinen, an denen sie arbeiten, als in unsere Gebäude. Das bringt allen mehr!" gibt der Sozialpädagoge und Kaufmann die Richtung vor, die den von der NAL betreuten Arbeitslosen einen Weg aus ihrer Misere weisen soll.
Vom Mittelstand abgerutscht bis auf Hartz-IV-Niveau
Für Veronika Hark war es augenscheinlich der richtige. Einst Chefredakteurin einer Modezeitschrift mit vierzehn Mitarbeitern und einem Millionenetat, verlor sie von einem Tag auf den anderen ihre gutbezahlte Stellung. Ein amerikanischer Verlag hatte das Blatt aufgekauft und wollte nun mit weniger Mitarbeitern mehr Geld verdienen, was Veronika Hark die unwillkommene Erfahrung bescherte, dass Arbeitslosigkeit mittlerweile jeden treffen kann. Sie versuchte es zunächst als freie Journalistin, doch es fehlte an Aufträgen, und die wenigen, die kamen, waren zu schlecht bezahlt. Vom durchaus oberen Teil des Mittelstands rutschte sie bis auf das prekäre Niveau von Hartz IV ab.
Rubrik: Online‐Beratung
Ihr Leben schlägt Purzelbäume? Probleme wachsen Ihnen über den Kopf? Lassen Sie sich von Fachleuten der Caritas online beraten. Schnell und unkompliziert erhalten Sie Antworten auf Ihre Fragen. Und so geht's.Es war die NAL, die sie mit ihren Angeboten aus diesem Tal wieder herausführte und ihr - wie sie selbst sagt - einen "Superjob" verschaffte. Sie tauschte die Mode mit den Menschen und arbeitet heute als Dozentin im Bewerbungstraining, zusätzlich gibt sie Deutschkurse für Flüchtlinge. "Ich fühle mich damit sehr wohl", strahlt es aus der rotblonden Frau heraus, "denn jetzt sehe ich jeden Tag den Erfolg meiner Arbeit. Und sowas gibt einem schon ein gutes Gefühl!"
Djahan Salar kann das verstehen. Auch für ihn ist Erfolg wichtig, nicht als Voraussetzung für Profit, aber doch als Schritt auf dem Weg zu einer gerechteren und solidarischeren Gesellschaft. Die christliche Soziallehre sieht das CDU-Mitglied dabei zwar als Motor seines Handelns, doch persönlich ist er viel zu sehr leidenschaftlicher Macher, um diesen Motor im Alltag durch übermäßige theoretische Überlegungen womöglich ins Stottern geraten zu lassen. "Wir können experimentieren", nennt er einen der Hauptvorteile seines Non-Profit-Unternehmens, und genau das macht er mit seiner Kollegin Haverkamp und einem Team von rund vierzig Pädagogen, Handwerksmeistern und sonstigen Experten denn auch jeden Tag.
Bei der Neuen Arbeit in Lahr sorgen nicht nur Klassiker wie Entrümpelungen und Haushaltsauflösungen, Second-Hand-Kaufhäuser, arbeitstherapeutische Werkstätten oder Maurer-, Maler- und Schlosserdienstleistungen für Beschäftigung, in den westlichen Ausläufern des Schwarzwaldes bildet man auch Arbeitslose zu "Stromspar-Checkern" aus. Als Fachleute für das Energiesparen helfen sie einkommensschwachen Haushalten, ihre Ausgaben für Strom und Wasser in den Griff zu bekommen und ersparen damit den Kommunen bares Geld, die für die Energiekosten von Sozialleistungsempfängern aufkommen müssen. Eine klassische Win-Win-Situation: Die öffentlichen Kassen werden entlastet, Langzeitarbeitslose haben - und finden - wieder eine Beschäftigung.
Einfallsreich ist man in Lahr aber auch auf anderen Gebieten. In einer sogenannten "Kreativwerkstatt" entsteht von kleinen Kerzenständern über Möbel aus Europaletten bis hin zu stockwerkhohen Wandgemälden so ziemlich alles, was der Markt für Kunsthandwerk und Kunst nachfragt oder nachfragen könnte, und unter der Marke "Jo & Co" gibt man Feinschmeckern neuerdings sogar Saures. In einer eigenen Manufaktur wird unter anderem für den Online-Vertrieb ein Edelessig gebraut, der als Digestif in den drei Geschmacksrichtungen Holunder, Quitte und Cassis jedes Essen originell abschließen kann.
Mit Qualität und Service auf dem freien Markt punkten
Mit solchen ungewöhnlichen Angeboten will die "Neue Arbeit Lahr" über Qualität und Service auf dem freien Markt punkten, ein reiner Appell an die Wohltätigkeit wäre ihr als Existenzsicherung zu wenig. Genau wie jede andere Firma will sie zufriedene Kunden, bewahrt darüber hinaus aber noch den Anspruch, "niemanden zurückzulassen, dessen Fähigkeiten noch nicht zu hundert Prozent entwickelt sind". Gegenüber vorrangig auf Profit ausgerichteten Unternehmen, betont Djahan Salar selbstbewusst, "ist der Unterschied nur, dass der notwendige Gewinnanteil bei uns nicht in die privaten Taschen der Eigentümer fließt. Bei der Neuen Arbeit wird er in unser Angebot investiert, um noch mehr Menschen zu erreichen und ihnen zu helfen."
Gerade ihr Erfolg schafft der NAL jedoch auch Probleme. "Die werden mit unseren Steuergeldern subventioniert und machen uns dann Konkurrenz", wettern Handwerker in Lahr seit Jahren. Sie werfen dem gemeinnützigen Betrieb eine Verzerrung des Wettbewerbs vor, weil er mit einem niedrigeren Mehrwertsteuersatz kalkulieren kann. "Unbegründet" nennt Berufsoptimist Salar solche Vorwürfe, die Vergünstigungen seien nur ein "Nachteilsausgleich" für die Integration einer "Problemklientel". Die NAL arbeite daran, benachteiligten Menschen ein Leben auf eigenen Füßen zu ermöglichen, und wenn das gelinge, hätten schließlich alle etwas davon: neue Arbeit. Und die ist auf jeden Fall besser als jede Armut, sei sie nun alt oder neu.