Knapp daneben

Veröffentlicht am 23.02.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Lebensmittelskandal

Bonn ‐ Damit hatte er wohl nicht gerechnet: Mit seinem Vorschlag, im Rahmen des Pferdefleisch-Skandals aus dem Handel genommene Lasagne, Tortellini und Gulasch bedürftigen Menschen zugutekommen zu lassen, löste der CDU-Bundestagsabgeordnete Hartwig Fischer eine Welle der Entrüstung aus.

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"Ich appelliere an die Branche, die eingezogenen Lebensmittel nicht aus vorauseilendem Gehorsam und Panikmache zu vernichten", hatte Fischer auf seiner Homepage geschrieben. Schließlich handele es sich bei den Fertigprodukten um "qualitativ hochwertige und nicht gesundheitsgefährdende Lebensmittel", die weiter für den Verzehr geeignet seien.

Alle Verbraucher sind gleich

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Die Tafeln, die der Politiker in seiner Pressemitteilung explizit als potentielle Abnehmer für Pferdefleischprodukte erwähnt, wollen von dem Vorschlag nichts wissen. Für Gerd Häuser, den Vorsitzenden des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V. , ist ob der in den vergangenen Wochen bekannt gewordenen Spekulationen um mögliche Medikamente oder auch Dopingmittel in dem Fleisch dessen Unbedenklichkeit noch lange nicht erwiesen. Produkte, deren Akzeptanz infrage stünde, nähmen die Tafeln nicht an, stellte er am Freitag in Berlin klar: "Bedürftige Menschen sind keine Verbraucher zweiter Klasse. Sie haben dasselbe Recht auf sichere Lebensmittel wie alle anderen Verbraucherinnen und Verbraucher. Es kann nicht sein, dass Lebensmittel, die die Mehrzahl der Verbraucher ablehnt, als ‚gut genug für Bedürftige‘ eingestuft werden."

Ähnlich sieht das Claudia Beck, die Sprecherin des Deutschen Caritasverbandes. "Zu sagen: ‚Die Mehrheit der Bevölkerung will das Essen nicht, dann geben wir es eben den Armen‘ – das geht nicht!", erklärte sie gegenüber katholisch.de. Selbst wenn sich nach einer Prüfung herausstelle, dass die falsch deklarierten Lebensmittel mit Pferdefleisch gesundheitlich unbedenklich seien, könnten sie in den Supermärkten höchstens erneut für alle Verbraucher angeboten werden: "Dann kann jeder frei entscheiden, ob er kaufen will und es wird nicht eine Bevölkerungsgruppe herausgegriffen", so Beck.

DBK-Sprecher Kopp: Respektlos gegenüber Bedürftigen

Einige Kritiker sehen den Vorschlag Fischers auch auf einer zweiten ethischen Ebene problematisch. "Da geht es schon um die Frage, welches Menschenbild man eigentlich hat", sagt Ralph Allgaier, der Sprecher des katholischen Hilfswerks Misereor. "Den Armen die Produkte anzubieten, die alle anderen nicht wollen, verletzt ihre Menschenwürde". Auch der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, verurteilte gegenüber der Bildzeitung den Vorschlag Fischers als respektlos gegenüber den Bedürftigen. Qualitative Mindeststandards müsse jeder Bedürftige erhalten.

„Den Armen die Produkte anzubieten, die alle anderen nicht wollen, verletzt ihre Menschenwürde“

—  Zitat: Ralph Allgaier, der Sprecher des katholischen Hilfswerks Misereor

Dabei hatte der CDU-Politiker mit seinem Vorstoß den Armen nur beistehen wollen: "Es darf nicht sein, dass es in Deutschland Bedürftige gibt und gleichzeitig in großem Umfang hochwertige Lebensmittel vernichtet werden. Die Nahrungsmittelbranche sollte die notwendigen Schritte dazu einleiten", schreibt er zur Begründung seines Vorschlags. Diese grundsätzliche Problematik sehen auch Ralph Allgaier von Misereor und Caritas-Frau Claudia Beck – allerdings ist ihrer Meinung nach der Pferdefleischskandal der falsche Anlass, um über dieses grundsätzliche Thema zu diskutieren: "Die Frage, wie in Deutschland weniger Lebensmittel verschwendet werden können, sollte unabhängig von dem aktuellen Skandal diskutiert werden. Das sind zwei Paar Schuhe", erklärt Beck.

Handel und Gesellschaft müssen Umdenken

Ralph Allgaier würde eine Diskussion, wie in Deutschland weniger Essen in der Mülltonne landen könnte, sehr begrüßen. Nach seinen Angaben werden 40 Prozent aller Lebensmittel weggeworfen. "Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass die Regale bis Ladenschluss voll mit frischen Lebensmitteln sind", erklärt er. Das gelte für Obst und Gemüse, aber auch für Milchprodukte und Brot: "Die Frage ist, ob im Supermarkt wirklich bis 19:55 Uhr jedes Gemüse im Regal liegen muss und ob es schlimm wäre, wenn es in der Bäckerei abends nur noch drei statt 20 Brotsorten gibt", sagt Allgaier und fügt ein wenig resigniert hinzu: "Damit sich da etwas ändert, müsste es ein doppeltes Umdenken geben – im Handel und in der Gesellschaft". Führt der verunglückte Vorstoß des CDU-Politikers Fischer zu einer solchen Diskussion, könnte er trotz aller Kritik also doch einen Zweck erfüllt haben.

Von Gabriele Höfling