Wer kann, der geht
Es war der 11. März 2011, als sich die Welle erhob und angetrieben einem Erdbeben der Stärke 9.0 Boote, Autos und sogar ganze Häuser vor sich hertrieb. Straßen, Brücken, Schienen - der Tsunami hat gesamte Infrastruktur der Region im Osten Japans zerstört. Japanische Behörden sprechen von mehr als einer Million ganz oder teilweise beschädigter Häuser und fast 16.000 Toten - weitere 2.700 Personen werden bis heute vermisst. Auch das örtliche Atomkraftwerk "Fukushima I" der Firma Tepco hat der Welle nicht standhalten können: In vier von sechs Reaktoren kam es zu einer Kernschmelze.
So gut wie keine Agrarwirtschaft
Der meiste Schutt und der gröbste Schlamm ist zwar weggeräumt, doch noch immer leben Tausende Menschen in Notunterkünften. Narui zeigt sich jedoch vorsichtig optimistisch, dass viele von ihnen in diesem Jahr in neue, von den Kommunen bereitgestellte Wohnungen einziehen können.
Doch damit sind nicht alle Probleme gelöst: Dass viele junge Menschen die Küstenregion verließen, um in anderen Teilen Japans zu studieren oder Arbeit zu suchen, sei auch vor der Katastrophe ein Problem gewesen, erklärt Narui. Nach der Katastrophe sind noch mehr Menschen aus der Region geflohen. Zumal auch die Landwirtschaft, vor der Kernschmelze in dem Atomreaktor noch die wichtigste Branche, komplett zusammengebrochen sei. "Was aus Fukushima kommt, bekommen sie auf keinen Markt mehr verkauft. Wer will schon hochkontaminierte Salatköpfe essen?", fragt Teplan.
Wohin mit dem Atommüll?
Das Gebiet ist nuklear verseucht - das wird sich in den nächsten Jahrzehten auch nicht ändern. In der Sperrzone, rund 20 Kilometer um das Atomkraftwerk, werde noch lange ohnehin niemand mehr leben können, schätzt Teplan. Niemand wisse zudem, wohin der ganze Atommüll entsorgt werden soll.
Auch wenn die Regierung weite Teile der Region für bewohnbar erklärt hat, viele Menschen misstrauen den Behörden. Sie haben die sehr zurückhaltende Informationspolitik unmittelbar nach der Kernschmelze nicht vergessen: Falsche Angaben über Strahlenwerte, Schäden, die verheimlicht wurden bis sie unübersehbar waren und kurzerhand hochgesetzte Grenzwerte für verstrahlte Lebensmittel hatten sowohl der Regierung als auch der Betreiberfirma Tepco heftige Kritik eingebracht. Die Unterstützung für die Atomenergie sank rapide, die Demokratische Partei hat sogar beschlossen, bis 2030 ganz aus der Atomkraft auszusteigen. Die Liberaldemokratische Partei, die im Dezember 2012 zur neuen Regierungspartei gewählt wurde, distanziert sich jedoch von diesem Plan.
Flüchtlinge zu Nachbarn machen
Die Behörden haben beschlossen, die zerstörten Orte nicht so herzurichten wie sie waren. Sie möchten die Chance nutzen, die Infrastruktur zu modernisieren und bisher gemachte Fehler auszumerzen. In dieser sogenannten "Rehabilitationssphase", entstehen ganz neue Nachbarschaften. Damit die Menschen in dieser Situation nicht auf sich allein gestellt sind, haben einige Hilfsorganisationen beschlossen, sie bei der Rückkehr in den Alltag zu unterstützen. "Viele Leute sind traumatisiert, die brauchen psychologische Hilfe", erklärt Teplan, "doch abseits davon gilt es natürlich auch, die Menschen wieder in ein soziales Gefüge einzubetten." Die Caritas habe zum Beispiel damit begonnen, Kontakt-Cafés einzurichten, damit aus Menschen, die nebeneinander leben, Nachbarn, vielleicht sogar Freunde werden.
Neben der direkten Nothilfe in der erste Phase wurde für die psychosozialen Folgen der Katastrophe das meiste Geld investiert: Insgesamt 8,8 Millionen Euro - 70 Prozent davon, schätzt Narui, waren Spenden von Caritas-Verbänden außerhalb Japans. "Wir planen unsere Hilfe bis 2020. Wir schätzen, dass wir bis dahin noch rund 15 Millionen Euro brauchen werden", so Narui weiter.
Bei den Alten herrscht Zynismus
Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die Gegend vom Atommüll befreit ist. Um ganz sicher zu gehen, muss dafür auf mehreren Hundert Quadratkilometern das Erdreich abtgetragen und entsorgt werde, Mauern, Ruinen und Gestein wird großflächig abgespült . In Fukushima wurde damit im Mai 2012 begonnen - zunächst im Umkreis von Schulen und Kindergärten. Die japanische Regierung hat derweil darauf hingewiesen, das ein einfaches Umgraben des kontaminierten Bodens ausreichen könnte , um die Strahlung an der Oberfläche auf einen Wert unterhalb der vorgeschriebenen Grenzen zu senken.
In den zwei Jahren hat sich viel getan. Grund zum Optimismus? Laut Teplan ist das nur die eine Seite der Medaille. Die Bevölkerung schwanke zwischen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und Galgenhumor: "Es gibt viele, die mit viel Energie an die Aufgaben herangehen, die wollen ihre Heimat wieder aufbauen. Ich habe jedoch auch viele - vor allem alte Leute - gesehen, die sehr zynisch reagierten. Nach dem Motto, ich bin schon 70 Jahre hier, wenn ich in zehn Jahren an Krebs sterbe, ist es eh wurscht."
Von Michael Richmann