"In der Treue zu seinem Gewissen"
Frage: Herr Lob-Hüdepohl, Sie sind heute vom Bundestag in den Ethikrat gewählt worden. Könnten Sie kurz erklären, wie man in den Ethikrat kommt?
Lob-Hüdepohl: Ich bin von der Deutschen Bischofskonferenz vorgeschlagen und von der CDU/CSU-Fraktion nominiert worden. Das Ethikratgesetz sieht das so vor: Weil im Ethikrat nicht nur Philosophen, Mediziner, Juristen und Sozialwissenschaftler sitzen sollen, sondern auch Theologen, hält die CDU/CSU-Fraktion Rücksprache mit den beiden großen Kirchen. Der evangelische Theologe Peter Dabrock ist ebenfalls gewählt worden. Die Berufung erfolgt allerdings durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages. Die steht noch aus.
Frage: Können Sie sagen, warum Sie nominiert wurden? Womit haben Sie sich thematisch auseinandergesetzt?
Lob-Hüdepohl: Ich bin seit vielen Jahren als Moraltheologe im Bereich der medizinischen Ethik unterwegs und da insbesondere in der Ethik der Behindertenfrage. Ich berate unter anderem die Deutsche Bischofskonferenz zu den Themen Behinderung, Sterben oder Palliative Care. Außerdem habe ich in den letzten Jahren die Positionen des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken zu wichtigen Fragen am Lebensende mitformuliert. Damit ist man fast automatisch immer wieder eingebunden in die Beratungen über neue Gesetze, zum Beispiel beim Thema Patientenverfügung, oder beim Verbot der organisierten Sterbehilfe im letzten Herbst. Das war wohl ein Grund, warum man mich für ausreichend kompetent hält, im Ethikrat mitzuwirken.
Frage: Einer Ihrer Schwerpunkte ist auch die Behindertenteilhabe.
Lob-Hüdepohl: Die Perspektive der Behinderten ist in meiner beruflichen Tätigkeit sehr wichtig. Da schaue ich, welche Auswirkungen die Forschung und Entwicklung in den Lebenswissenschaften besonders für behinderte Menschen haben. Denken wir an Allokationsprobleme im Gesundheitswesen, also an die gerechte Verteilung von begrenzten Ressourcen: Da muss man sich überlegen, wofür man das beschränkte Budget verwendet. Sollen vorrangig kostengünstige Medikamente verwendet werden, damit möglichst viele Menschen behandelt werden können? Oder soll das Geld für auch für sehr teure Therapien ausgegeben werden, die nur sehr wenigen Menschen zugutekommt? Diese Fragen sind für behinderte Menschen sehr wichtig. Und das gilt für viele Fragen der Medizin oder insgesamt des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Die gerechte Teilhabe behinderter Menschen ist eine Querschnittsperspektive.
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Nach vier Jahren muss der Deutsche Ethikrat turnusmäßig neu berufen werden. Das Gremium mit Experten verschiedener Disziplinen erarbeitet Empfehlungen für ethisch heikle Fragen: vom Recht auf Suizid bis zur Gentechnik.Frage: Jetzt werden Sie für vier Jahre Mitglied im Ethikrat sein. Was bedeutet die Wahl in den Rat für Sie persönlich?
Lob-Hüdepohl: Zunächst ist es eine Ehre, an einer prominenten Stelle des öffentlichen Lebens mitzuwirken, um schwierige Fragen gemeinsam mit Menschen unterschiedlicher Ansichten und Fachkompetenzen zu diskutieren und dann Bundesregierung und Bundestag zu beraten. Zudem kann ich im Ethikrat die eigene Expertise einspeisen und den Rat umgekehrt als großes Lernfeld erfahren. Das ist gerade als Theologe ausgesprochen reizvoll: Ich kann auch wichtige Impulse meiner Glaubenstradition zur Diskussion stellen. Zugleich wirken andere Auffassungen auf die eigene Position als christlicher Theologe zurück.
Frage: Zurzeit hat der Ethikrat die Punkte Big Data, Embryospende und Ethik im Krankenhaus auf seinem Programm stehen. Wo würden Sie bei diesen Themen anknüpfen?
Lob-Hüdepohl: Ich greife das Thema Datensammlung heraus: Da geht es unter anderem um die Generierung vieler Daten zu den Erkrankungen und Lebensdaten von aktuellen oder zukünftigen Patienten. Auf den ersten Blick mag es sehr reizvoll sein, wenn man sich selbst mit Programmen beobachten und seinen Pulsschlag, seinen Blutdruck oder seine Bewegungs- und Laufaktivität messen kann. In letzter Konsequenz bekommt man dadurch aber ein komplettes Protokoll der persönlichen Lebensweise. Die Krankenkassen haben daran ein großes Interesse. Sie könnten Menschen, die sich zum Beispiel mehr bewegen, ein besseres Versicherungsangebot machen. Damit gerät die Solidargemeinschaft der Krankenversicherung in Gefahr. Sie baut auf der Idee auf, dass diejenigen, die weniger krankheitsanfällig sind, denen beistehen, die eine schwächere Konstitution haben und deshalb mehr Unterstützung der Solidargemeinschaft benötigen. Das hemmungslose Sammeln personenbezogener Daten kann also negative Auswirkungen haben.
Frage: Welche Themen, finden Sie, hätten eine noch stärkere Betonung verdient? Worüber sollte noch gesprochen werden?
Lob-Hüdepohl: Die Themen des Ethikrates werden nicht am Schreibtisch geboren, sondern durch aktuelle Entwicklungen in der Forschung und Entwicklung der Lebenswissenschaften auf die Tagesordnung gesetzt. Manchmal tauchen Fragen auch wieder erneut auf. Zum Beispiel gab es etwa vor gut zehn Jahren eine ausführliche Debatte um die Keimbahntherapie. Das ist ein Verfahren, bei dem man bei vererbbaren Krankheiten in das defekte Gen eingreift und es heilt oder es zumindest daran hindert, sich weiterzuvererben. Damals hat man es für illusorisch gehalten, dass das jemals gelingt. Die Meisten waren außerdem der Auffassung, dass die Risiken den erhofften Nutzen weit überwiegen. Jetzt aber ist dieser Eingriff in die Keimbahn gelungen. Nun muss man neu diskutieren, ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Eingriff beim Menschen legitim wäre. Denn es kann große Nachteile für besonders schutzbedürftige Gruppen bergen: Wer definiert etwas als krankhaft und damit als auszuschalten? Wird das Leben derer, die mit solchen "Gendefekten" ein gleichberechtigtes und normales Lebens führen, nicht schleichend abgewertet? Schon heute werden 95% der Föten mit Down-Syndrom abgetrieben, weil es durch die Pränataldiagnostik möglich ist, diese Erbkrankheit im Mutterleib festzustellen. Dies ist eine Missachtung des Lebensrechtes von Menschen mit Behinderungen. Also, auch hier muss man die Perspektive behinderter Menschen einbringen, weil sie ganz anders von diesen Fragen betroffen sind.
Frage: Wer im Ethikrat sitzt, vertritt laut Geschäftsordnung seine persönliche Überzeugung und ist nur seinem Gewissen unterworfen. Was ist Ihr Maßstab für Entscheidungen im Ethikrat? Wo ziehen Sie die Grenze zwischen richtig und falsch?
Lob-Hüdepohl: Es gibt viele Kriterien, die bei diesen komplexen Fragestellungen eine Rolle spielen. Aber ein letztes, entscheidendes Kriterium – und mit dieser Auffassung stehe ich als christlicher Theologe keinesfalls alleine – ist die unantastbare Würde jedes Menschen, und zwar unabhängig vor seiner Leistungsfähigkeit und trotz seiner Einschränkungen oder Gebrechen; vom ersten Augenblick an bis zum letzten. Wichtig ist, dass ich als Theologe meine Positionen in einer Weise einbringe, dass der Inhalt auch denen einsichtig wird, die nicht zu allem, was die Kirche sagt, Ja und Amen sagen. Das andere ist, dass man als Christ für diese Maßstäbe selbst dann eintritt, wenn sie nicht mehr mit dem "Common Sense" der Gesellschaft übereinstimmen. Zum Beispiel für das Lebensrecht von wachkomatösen Patienten: Auch sie haben Bedeutung und Würde. Dieses Eintreten ist nicht gegen die Vernunft. Das können auch diejenigen verstehen, die nicht Christen sind.
Frage: Sie werden ja im Ethikrat auch über andere Sachen abstimmen, die vielleicht nicht in Ihrem bisherigen Arbeitsfeld liegen. Hat man dann im Ethikrat zu allem eine Meinung oder kann man sich bei einer Abstimmung auch zurückhalten?
Lob-Hüdepohl: Man kann sich in den Diskussionen zwar zurückhalten und sich in den Abstimmungen enthalten. Aber man muss sich eine Meinung bilden und diese dann auch vertreten, selbst wenn sie sich nachträglich als nicht ausgewogen genug erweisen sollte. Im Übrigen gibt es für bestimmte Fragen nicht die einzig richtige Lösung. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in "Gaudium et Spes" gerade für politische Fragen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es in vielen Fragen auch für Katholiken legitimerweise unterschiedliche Positionen geben kann. Da ist unser persönliches Gewissen gefordert. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns in ein stilles Kämmerlein zurückziehen müssen. Im Gegenteil: "In der Treue zu seinem Gewissen", so hat es das letzte Konzil zutreffend formuliert, "sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen." Das ist für mich der beste Leitsatz für eine Mitwirkung im Deutschen Ethikrat als Christ und Theologe: Diskursives Austauschen und daraus Rat geben.