"Wir dürfen dem Hass keinen Raum geben"
Frage: Pfarrer Severin, wie haben Sie von den Anschlägen erfahren?
Severin: Durch eine Schlagzeile. Ich habe im Internet etwas anderes gesucht und dann kam diese Eilmeldung. Ich habe dann Mitarbeiter angerufen, um sie zu warnen, damit sie die Metro nicht benutzen. Sie waren aber schon auf dem Weg. Und dann kam es natürlich von allen Seiten, dann konnte man es nicht mehr ignorieren, weil plötzlich der Verkehr draußen stoppte, Sirenen zu hören waren, Hubschrauber flogen.
Wir haben einen Hausmeister, der normalerweise mit der U-Bahn-Linie kommt, die jetzt von den Anschlägen betroffen war. Er konnte die U-Bahn dann nicht mehr nutzen. Er hatte noch gar nicht erfahren, was los war, sah nur überall die Polizei und Menschen, die weinend am Telefon waren. Der war ziemlich geschockt, als er heute hier ankam.
Frage: Was waren die ersten Gedanken, die Ihnen durch den Kopf gingen?
Severin: Da kam schon Wut hoch, aber der Verstand holt einen sehr schnell wieder ein. Ich habe vor allem gedacht: Oje, jetzt hat es auch unsere Stadt erreicht. Wie wird sich das auswirken auf das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen?
„Das Entscheidende ist jetzt, dass wir dem Hass keinen Raum geben, dass wir als Christen unsere Botschaft nicht verraten, sondern zusehen, dass wir unsere Gedanken und Gefühle lenken.“
Frage: Wie ist die Stimmung in der Stadt?
Severin: Das kann ich nur indirekt wiedergeben, weil ich selbst nicht aus dem Haus gegangen bin. Wir sind ja gewarnt worden, in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Die deutsche Botschaft hat eine solche Mail geschrieben, auch die belgischen Medien geben das so heraus. Es gibt Leute, die anrufen und fragen, ob die Kar- und Ostergottesdienste wie geplant stattfinden, die fragen, ob wir jetzt die von der Gemeinde geplante Freizeit in der nächsten Woche absagen. Manche Leute reagieren schon sehr panisch, andere bleiben ganz ruhig und sagen, dass es früher oder später so hätte kommen müssen.
Frage: Wie können die Anschläge jetzt verarbeitet werden?
Severin: Das Entscheidende ist, dass wir dem Hass keinen Raum geben, dass wir als Christen unsere Botschaft nicht verraten, sondern zusehen, dass wir unsere Gefühle lenken. Wir sehen in jedem Einzelnen ein Abbild Gottes und eben nicht jemanden, der zu hassen ist oder dem man mit Vorurteilen begegnet. Wir müssen den zunehmenden Ängsten und dem Hass ein anderes Menschenbild entgegensetzen.
Friedensgebet in St. Paulus Brüssel
Die katholische Gemeinde Deutscher Sprache in Brüssel lädt am Dienstagabend zu einem Ökumenischen Friedensgebet um 20 Uhr in der Kirche St. Paulus ein (Avenue de Tervuren 221, 1150 Brüssel). "Es gibt Menschen, die an so einem Tag nicht alleine sein möchten, sondern ihre Eindrücke und Gefühle ausdrücken wollen. Dafür gibt das Friedensgebet Gelegenheit", sagt dazu Pfarrer Wolfgang Severin.Frage: Brüssel steht ja wie keine andere Stadt für die Europäische Union. War das ein Anschlag auf Europa?
Severin: Wenn es den Terroristen darum geht, Hass zu sähen zwischen der westlichen und der arabischen Welt, dann ist es natürlich effiktiver, europäische Einrichtungen anzugreifen. Ich glaube, dass sich die Anschläge gegen Europa richten, ja.
Frage: Wird die Angst vor dem Terror jetzt zum Alltag gehören?
Severin: Das war vorher schon so. Es gab im vergangenen Jahr ja bereits Tage, an denen die höchste Alarmstufe herrschte. Und das wurde bis heute nicht ganz zurückgesetzt. Wenn man im Alltag sieht, dass vor jeder Metrostation ein gepanzerter Wagen steht und überall Soldaten mit Maschinengewehren herumlaufen, dann gehört die Angst natürlich dazu. Klar denkt man nicht jede Minute daran. Aber ich beispielsweise nutze die Metro so gut wie gar nicht mehr. Nur, wenn es wirklich nicht anders geht. Ich fahre immer Fahrrad. Am Flughafen habe ich allerdings schon öfters daran gedacht. Aber das wird vielen Europäern so gehen. Brüssel nicht ja nicht die erste Stadt, die getroffen wurde.