Ab Donnerstag läuft "Die Kommune" in den Kinos

Mehr-Generationen-Haus für Sozialdemokraten

Veröffentlicht am 21.04.2016 um 15:43 Uhr – Von Ulrich Kriest – Lesedauer: 
Die Kommune - Filmszene
Bild: © Prokino
Kino

Bonn ‐ Der Hochschuldozent Erik erbt Mitte der 1970er-Jahre eine Villa in Kopenhagen. Er will sie schnell verkaufen, doch seine Frau Anna hat eine andere Idee. Ab Donnerstag läuft "Die Kommune" in den Kinos.

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Was, wenn man mit ein paar Freunden und Bekannten den "Terrorzusammenhang" der Kleinfamilie hinter sich ließe und eine neue, interessantere, dynamischere Form des Zusammenlebens ausprobieren würde? Nach anfänglichem Zögern lässt sich Erik auf das Experiment ein, das indirekt auch eine Kritik an seiner Qualität als Partner ist, und gemeinsam beginnt die Suche nach Mitstreitern, bis eine bunte Truppe mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen beisammen ist: Freaks, Zwangsneurotiker, Flippige, gerne mit internationalem Background und Geldsorgen – und ein sehr krankes Kind.

Erwartungen werden nicht eingelöst

Regisseur Thomas Vinterberg hat nach eigenen Angaben seine Jugend in einer Kommune verbracht. "Im Rückblick", schreibt er in einem Statement zum Film, "ist diese Zeit voller goldener Erinnerungen und absurder Momente. (...) Auch wenn die Kommune aus lauter gebildeten Menschen bestand, erscheint mir das damalige Leben heute als extrem naiv und idealistisch – es war voller Hoffnung auf die Zukunft...". Solche Sätze schüren Erwartungen, von denen "Die Kommune" allerdings keine einzige einzulösen vermag. Was durchaus eine Leistung ist! Wie zuvor schon Lukas Moodysson in "Zusammen!", der ebenfalls 1975 spielte, transformiert Vinterberg das "Politische" des Themas der gegenkulturellen Institution "Kommune" in ein schales, sepia-farbenes Ausstattungsstück, in dem Bärte und Norweger-Pullis den utopischen Gegenentwurf zur bürgerlichen Ordnung repräsentieren müssen. Aus dem hehren Anspruch der permanenten Revolution, durch fortgesetzte, insistierende Selbst- und Fremdbeobachtung einen "neuen Menschen" ohne Repression und Besitzansprüche zu schaffen, wird bei Vinterberg die (ungelöste) Problematik der permanent nicht ausgeglichenen Bierkasse.

Die Kommune - Filmszene
Bild: ©Prokino

Die Kommune - Filmszene

Das Problem des Films liegt allerdings nicht darin, dass Vinterberg den Aufbruchsgeist denunzieren oder lächerlich machen würde, der sich Mitte der 1970er-Jahre ja schon Richtung "Neue Innerlichkeit" bewegte; der Film verfehlt vielmehr sein Thema. Denn "Die Kommune" erzählt gerade nicht vom kollektiven Zusammenleben im emphatischen Sinne, sondern eher von dem, was man später einmal "Zweck-WG" nannte. Willkommen bei Dietmar Schönherr und Vivi Bach in ihrem Mehr-Generationen-Haus für aufgeklärte Sozialdemokraten! Man kocht (manchmal) zusammen, feiert (manchmal) zusammen, unternimmt (manchmal) gemeinsame Ausflüge ans Meer und sitzt (manchmal) in der Gruppe zusammen, um die Gemeinschaft diskursiv abzugleichen.

Die anderen Mitbewohner bleiben dabei im Hintergrund, fungieren nur als Chor mit angedeuteten individuellen Marotten und wirken insgesamt als Karikaturen. Während in der realen Welt zu der Zeit, in der der Film spielt, gerade der Vietnam-Krieg zu Ende ging, die neue Frauenbewegung sich formierte, post-koloniale Befreiungsbewegungen in Afrika Erfolge feierten, das "Archipel GULAG" diskutiert wurde und Terroranschläge in Stockholm und Wien für Aufsehen sorgten, widmet sich Vinterberg statt politischen Diskussionen über das Schwinden der "linken" Utopien lieber einer Variante des klassischen bürgerlichen Ehedramas, die bestenfalls zeigt, dass es mit Anspruch und Wirklichkeit der gewählten Lebensform nicht so weit her ist. Im Zeichen von Transparenz und Kommunikation wird gelogen und betrogen – und die psychische Überforderung in Alkohol ertränkt. Denn Erik, ein veritabler Choleriker (in jeder Hinsicht lächerlich: Ulrich Thomsen), fühlt sich vom Leben in der Kommune überfordert und beginnt ein Verhältnis mit der jüngeren Studentin Emma, was zunächst eine Affäre bleibt, dann aber – Anna ist mutig, aber zu schwach – zum Einzug Emmas in die Kommune führt.

Die Kommune - Filmszene
Bild: ©Prokino

Die Kommune - Filmszene

Man kommt an dieser Stelle nicht umhin zu bemerken, dass die stets präsente und zumeist zurückhaltend spielende Trine Dyrholm ("Das Fest", "Bungalow", "In einer besseren Welt") das von Vinterberg entworfene Szenario als Steilvorlage nutzt, um dem Affen darstellerisch Zucker zu geben. Zwar wirkt ihr Komplettzusammenbruch selbst für 1975 etwas zu forciert, aber auf einer "Berlinale", in der Meryl Streep in der Jury sitzt, ist das preiswürdig, wenngleich es nachdrücklich darauf aufmerksam macht, wie fadenscheinig Vinterbergs Film gearbeitet ist. Für die Geschichte eines Ehebruchs braucht es keine Kommune. Die Begeisterung für Dyrholms Parforce-Ritt, der die zweite Hälfte des Films in Jack-Nicholson-Manier okkupiert, sollte indes nicht davon ablenken, dass Martha Sofie Wallstrøm Hansen als Freja das emotionale Zentrum des Films abgibt.

Keine Satire, keine Denunziation

Tochter Freja beobachtet gewissermaßen als Alter Ego des Filmemachers das Treiben der überforderten Erwachsenen und beschließt instinktiv, die Vorteile des unterhaltsamen Gemeinschaftslebens mit einem Beharren auf Privatsphäre zu kombinieren, um keinen Schaden zu nehmen. Was der Film, der ja keine Satire und auch keine Denunziation sein will, dann allerdings auch nicht konsequent zu Ende denkt. Denn letztlich reproduziert Freja nur das, was sie ohnehin sieht. Der Umstand, dass der Film nicht nur seinen Protagonisten jegliche Fähigkeit zur Empathie abspricht, sondern diesen Mangel überdies in eine Verachtung seiner Figuren ummünzt, was sich insbesondere bei der Darstellung des Todes des kranken Kindes zeigt, scheint Vinterbergs Perspektive durchweg innezuwohnen.

Die mannigfaltigen Schwächen und Halbheiten von "Die Kommune" erzählen deshalb weniger von den streitbaren experimentellen Formen des Zusammenlebens in den 1970er-Jahren als vielmehr von einer Gegenwart, die utopische Diskurse anscheinend nur noch denken kann, wenn sie mit Humor und Unverbindlichkeit gepaart, in lustiger "Verkleidung" diskreditiert werden. Auf diese Weise verkauft sich Nostalgie widerstandslos an die Fertigkeiten der Ausstattungsabteilung.

Bewertung der katholischen Filmkommission

Ein dänischer Architekt lässt sich in den 1970er-Jahren von seiner Ehefrau dazu überreden, mit anderen und ihrer gemeinsamen Tochter in einer ererbten Villa als eine Art Gemeinschaft zusammenzuleben. Als er sich in eine Studentin verliebt, stellt dies das ohnehin kriselnde Zusammenleben vor wachsende Probleme. Der nostalgisch getönte Film will die linken Gesellschaftsexperimente nicht lächerlich machen, verwandelt den utopischen Aufbruch jener Jahre aber in ein schales Ausstattungsstück, in dem der revolutionäre Zeitgeist auf eine Variante des bürgerlichen Ehedramas schrumpft. In der weiblichen Hauptrolle grandios gespielt. - Ab 16.

Filmdienst

Die Filmkritik wurde katholisch.de vom Magazin "Filmdienst" zur Verfügung gestellt. Seit 1947 begleitet der Filmdienst wie kein anderes Magazin kritisch das Kinofilmgeschehen. Herausragende Porträts von Filmschaffenden stehen neben umfassenden Filmkritiken zu jeder Kinopremiere in Deutschland, spannende Debatten neben aufschlussreichen Interviews, Hintergrundberichte neben Neuigkeiten aus der Filmwelt. Die Beilage "Film im Fernsehen" informiert über sehenswerte Filme im Fernsehen. Die Datenbank CinOmat ist ein beispielloses Nachschlagewerk, das mehr als 250.000 Filmschaffende mit fast 75.000 Filmen verknüpft. Der Filmdienst ist darüber hinaus Herausgeber des "Lexikons des Film", zeichnet neue DVD/Blu-ray-Veröffentlichungen mit dem "Silberling" aus und verleiht gemeinsam mit dem Bundesverband Kommunale Filmarbeit jährlich den "Caligari-Filmpreis".
Von Ulrich Kriest