Mehr-Generationen-Haus für Sozialdemokraten
Was, wenn man mit ein paar Freunden und Bekannten den "Terrorzusammenhang" der Kleinfamilie hinter sich ließe und eine neue, interessantere, dynamischere Form des Zusammenlebens ausprobieren würde? Nach anfänglichem Zögern lässt sich Erik auf das Experiment ein, das indirekt auch eine Kritik an seiner Qualität als Partner ist, und gemeinsam beginnt die Suche nach Mitstreitern, bis eine bunte Truppe mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen beisammen ist: Freaks, Zwangsneurotiker, Flippige, gerne mit internationalem Background und Geldsorgen – und ein sehr krankes Kind.
Erwartungen werden nicht eingelöst
Regisseur Thomas Vinterberg hat nach eigenen Angaben seine Jugend in einer Kommune verbracht. "Im Rückblick", schreibt er in einem Statement zum Film, "ist diese Zeit voller goldener Erinnerungen und absurder Momente. (...) Auch wenn die Kommune aus lauter gebildeten Menschen bestand, erscheint mir das damalige Leben heute als extrem naiv und idealistisch – es war voller Hoffnung auf die Zukunft...". Solche Sätze schüren Erwartungen, von denen "Die Kommune" allerdings keine einzige einzulösen vermag. Was durchaus eine Leistung ist! Wie zuvor schon Lukas Moodysson in "Zusammen!", der ebenfalls 1975 spielte, transformiert Vinterberg das "Politische" des Themas der gegenkulturellen Institution "Kommune" in ein schales, sepia-farbenes Ausstattungsstück, in dem Bärte und Norweger-Pullis den utopischen Gegenentwurf zur bürgerlichen Ordnung repräsentieren müssen. Aus dem hehren Anspruch der permanenten Revolution, durch fortgesetzte, insistierende Selbst- und Fremdbeobachtung einen "neuen Menschen" ohne Repression und Besitzansprüche zu schaffen, wird bei Vinterberg die (ungelöste) Problematik der permanent nicht ausgeglichenen Bierkasse.
Das Problem des Films liegt allerdings nicht darin, dass Vinterberg den Aufbruchsgeist denunzieren oder lächerlich machen würde, der sich Mitte der 1970er-Jahre ja schon Richtung "Neue Innerlichkeit" bewegte; der Film verfehlt vielmehr sein Thema. Denn "Die Kommune" erzählt gerade nicht vom kollektiven Zusammenleben im emphatischen Sinne, sondern eher von dem, was man später einmal "Zweck-WG" nannte. Willkommen bei Dietmar Schönherr und Vivi Bach in ihrem Mehr-Generationen-Haus für aufgeklärte Sozialdemokraten! Man kocht (manchmal) zusammen, feiert (manchmal) zusammen, unternimmt (manchmal) gemeinsame Ausflüge ans Meer und sitzt (manchmal) in der Gruppe zusammen, um die Gemeinschaft diskursiv abzugleichen.
Die anderen Mitbewohner bleiben dabei im Hintergrund, fungieren nur als Chor mit angedeuteten individuellen Marotten und wirken insgesamt als Karikaturen. Während in der realen Welt zu der Zeit, in der der Film spielt, gerade der Vietnam-Krieg zu Ende ging, die neue Frauenbewegung sich formierte, post-koloniale Befreiungsbewegungen in Afrika Erfolge feierten, das "Archipel GULAG" diskutiert wurde und Terroranschläge in Stockholm und Wien für Aufsehen sorgten, widmet sich Vinterberg statt politischen Diskussionen über das Schwinden der "linken" Utopien lieber einer Variante des klassischen bürgerlichen Ehedramas, die bestenfalls zeigt, dass es mit Anspruch und Wirklichkeit der gewählten Lebensform nicht so weit her ist. Im Zeichen von Transparenz und Kommunikation wird gelogen und betrogen – und die psychische Überforderung in Alkohol ertränkt. Denn Erik, ein veritabler Choleriker (in jeder Hinsicht lächerlich: Ulrich Thomsen), fühlt sich vom Leben in der Kommune überfordert und beginnt ein Verhältnis mit der jüngeren Studentin Emma, was zunächst eine Affäre bleibt, dann aber – Anna ist mutig, aber zu schwach – zum Einzug Emmas in die Kommune führt.
Man kommt an dieser Stelle nicht umhin zu bemerken, dass die stets präsente und zumeist zurückhaltend spielende Trine Dyrholm ("Das Fest", "Bungalow", "In einer besseren Welt") das von Vinterberg entworfene Szenario als Steilvorlage nutzt, um dem Affen darstellerisch Zucker zu geben. Zwar wirkt ihr Komplettzusammenbruch selbst für 1975 etwas zu forciert, aber auf einer "Berlinale", in der Meryl Streep in der Jury sitzt, ist das preiswürdig, wenngleich es nachdrücklich darauf aufmerksam macht, wie fadenscheinig Vinterbergs Film gearbeitet ist. Für die Geschichte eines Ehebruchs braucht es keine Kommune. Die Begeisterung für Dyrholms Parforce-Ritt, der die zweite Hälfte des Films in Jack-Nicholson-Manier okkupiert, sollte indes nicht davon ablenken, dass Martha Sofie Wallstrøm Hansen als Freja das emotionale Zentrum des Films abgibt.
Keine Satire, keine Denunziation
Tochter Freja beobachtet gewissermaßen als Alter Ego des Filmemachers das Treiben der überforderten Erwachsenen und beschließt instinktiv, die Vorteile des unterhaltsamen Gemeinschaftslebens mit einem Beharren auf Privatsphäre zu kombinieren, um keinen Schaden zu nehmen. Was der Film, der ja keine Satire und auch keine Denunziation sein will, dann allerdings auch nicht konsequent zu Ende denkt. Denn letztlich reproduziert Freja nur das, was sie ohnehin sieht. Der Umstand, dass der Film nicht nur seinen Protagonisten jegliche Fähigkeit zur Empathie abspricht, sondern diesen Mangel überdies in eine Verachtung seiner Figuren ummünzt, was sich insbesondere bei der Darstellung des Todes des kranken Kindes zeigt, scheint Vinterbergs Perspektive durchweg innezuwohnen.
Die mannigfaltigen Schwächen und Halbheiten von "Die Kommune" erzählen deshalb weniger von den streitbaren experimentellen Formen des Zusammenlebens in den 1970er-Jahren als vielmehr von einer Gegenwart, die utopische Diskurse anscheinend nur noch denken kann, wenn sie mit Humor und Unverbindlichkeit gepaart, in lustiger "Verkleidung" diskreditiert werden. Auf diese Weise verkauft sich Nostalgie widerstandslos an die Fertigkeiten der Ausstattungsabteilung.