Den Hass der AfD ernst nehmen
"Der Bundestag ist unser Ziel, wir wollen die Mehrheit werden, wir wollen Deutschland regieren", ruft die AfD-Vorsitzende Frauke Petry unter tosendem Beifall den über 2000 versammelten Mitgliedern beim Programm-Bundesparteitag in der Schwabenmetropole Stuttgart zu. Glatzen und Springerstiefel sucht man unter ihnen vergebens. Dies wäre vermutlich anders, wäre das AfD-Treffen nicht im gutbürgerlichen Württemberg gewesen, sondern beispielsweise in Sachsen-Anhalt, der mit knapp 25 Prozent derzeit wählerstärksten Hochburg der Rechtspartei.
Hinweis
Dr. Thomas Seiterich ist Redakteur bei Publik-Forum. Sein Text erschien zuerst am 1. Mai 2016 auf der Internetseite der Zeitschrift.In Stuttgart dominieren die Männer — unter den Antragstellern sind es an die 90 Prozent, darunter viele Ältere. Es gibt männliche Delegierte mit oder ohne Zopf, viele würden vom Outfit und Barttracht her auch gut zu den Grünen passen. Andere tragen Krawatte. Die jungen Herren stecken in taillierten Anzügen, tragen Einstecktuch und Frisuren, wie sie in den 1930er Jahren einmal Mode waren. Meine älteren Sitznachbarn mitten in der düsteren ICS-Halle – ein Pfälzer Weingutbesitzer und ein Wiesbadener Alt-Studienrat – sind Kirchenmitglieder. Evangelisch, "immer noch, jedoch zähneknirschend". Sie ärgern sich über ihre, wie sie sagen "zu linken Pfarrerinnen und sind zornig über die allzu modern modische Kirchenleitung".
Jörg Meuthen, AfD-Vorsitzender in Baden-Württemberg, hält die erste aufheizende Großrede. Mehr als zwölf Prozent hat er bei den Märzwahlen im prosperierenden Ländle, wo Arbeitslosigkeit ein Fremdwort ist, geholt. Der AfD-Mann ist Katholik und Kirchensteuerexperte, er lehrt an der Hochschule Kehl, dort werden die Verwaltungsbeamten des Bundeslandes ausgebildet. "Durch die Schriften Joseph Ratzingers, des späteren Papstes Benedikt XVI.", sei er, wie er sagt, zur Kirche gekommen. Meuthen hetzt in Stuttgart gegen die "schwarzrotgrün-verseuchte Bundesrepublik". Der Mann, der sonst den Seriösen gibt, profiliert sich als Scharfmacher.
Konservative Katholiken als AfD-Delegierte
Es gibt im Saal unter den 2000 AfD-Mitgliedern vermutlich nur wenige Katholiken, doch diese zeigen ein konservatives Glaubensverständnis. "Super" sei es gewesen beim großen Treffen des "Forums Deutscher Katholiken" in Aschaffenburg, nur wenige Tage vor dem AfD-Programmparteitag, sagt ein älteres Ehepaar aus Kaiserslautern. Insbesondere der junge Freiburger Erzbischof Stephan Burger habe ihnen beim Treffen der konservativen Katholiken gefallen, "weil er so stärkend aufgetreten ist". Von der scharfen Kritk der Kardinäle Woelki (Köln) und Marx (München) an der Menschen-, Islam-, und Flüchtlingsfeindlichkeit der AfD halten sie "gar nichts". Sie seien als AfD-Mitglieder hier, weil es gelte, "einen starken Block gegen den Islam zu bilden". Ja und dann treffe ich, als ich am Samstagabend schon am Gehen bin, den Benediktiner Bruder Augustinus Kaulwell OSB. Der ältere Herr trägt das Benediktiner-Ordenskleid und fällt mit seinem schwarzen Habit auf. "Ich war schon bei der Gründung der Grünen dabei", sagt er. Jetzt macht er bei der AfD mit.
"Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Dies ist der zentrale Satz im Entwurf für das Parteiprogramm. Er steht in Kapitel 7, denn ganz so grob und feindselig möchte die AfD sich nicht gleich zu Eingang des Programms präsentieren. Deshalb handelt Kapitel 1 von der Übernahme des Schweizer Modells der Volksabstimmungen – also einer Thematik, die bis weit in ostdeutsche Bürgerrechtler-Kreise oder die Grünen hinein Zustimmung finden kann. Feindbild Islam – bei keinem anderen Thema wird so hitzig diskutiert, wobei auf dem Podium die Partei-Granden die Rollen akkurat verteilt haben. Die zweite Parteisprecherin, Beatrix von Storch, geborene Gräfin zu Oldenburg und damit von Hochadel, gibt auf dem AfD-Parteitag mit teils schriller Stimme die scharfe Islam-Verfolgerin. Parteisprecherin eins, die Vorsitzende Frauke Petry, sorgt mit Kühle und Raffinement dafür, dass keiner der schärfer formulierteren Alternativtexte aus Niederbayern oder Konstanz dem als "milde" geltenden Textentwurf des Parteivorstandes gefährlich werden kann.
Dass Petry längst mit führenden Personen der Islamverbände in Deutschland Gespräche führt, wird vom Parteitag ohne Murren hingenommen. Doch die Versuche, den Text zu verschärfen, sind in der Debatte mehr als zahlreich. Wann immer einer der Parteitagsmitglieder – außer von Storch beteiligen sich so gut wie gar keine Frauen – noch irgendein Detailverbot mehr für Muslime fordert, jubelt die Menge. Vorschläge, den Leitantrag zu entschärfen und lediglich auf den "politischen Islam" zu beschränken oder – wie von einem Sprecher des Kreisverbands Lüneburg gefordert – in einen Dialog mit dem Islam einzutreten, werden ausgebuht und abgelehnt.
Was bei der neuen Rechtspartei als "gemäßigt" gilt
Der Leitantrag in Sachen Islam gilt innerparteilich als "gemäßigt". Er wird mehrheitlich sowie mittels einer geschickten Versammlungsleitung durchgesetzt. Völlig grenzenlos können sich die detailverliebten Islamverfolger nicht austoben. Doch das Parteiprogramm im Punkt 7 ist nicht rechts oder konservativ, es ist rechtsextrem und islamophob, ja es steht möglicherweise im Gegensatz zum Grundgesetz, das die Religionsfreiheit garantiert. Es wird im nun beschlossenen Parteiprogramm eine bösartig verzerrte "Wirklichkeit" konstruiert – und dann wird auf diese eingedroschen: "Einer islamischen Glaubenspraxis, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unsere Gesetze und gegen die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unserer Kultur richtet, tritt die AfD klar entgegen. Die Rechtsvorschriften der Scharia sind mit unserer Rechtsordnung und unseren Werten unvereinbar. Der Islam gehört nicht zu Deutschland...". Weiter heißt es: "Die AfD wendet sich gegen eine Diffamierung von Islamkritik als ,Islamophobie’ oder ,Rassismus’. Islamwissenschaftler, Historiker, Staatsrechtler und Soziologen, auch muslimischer Abstammung, fordern eine historisch-kritische Betrachtung von Koran und Sunna sowie den Verzicht auf die Scharia und eine islamische Staatsverfassung. Ihnen und ihren Zielen gilt angesichts vielfacher Verfolgung und Bedrohung unsere Solidarität." Dass die bereits hier lebenden und integrierten muslimischen Mitbürger weiterhin ihre Religion ausüben dürfen, beteuert die Parteiführung von Meuthen bis Petry.
Linktipp: Dröge: AfD-Mitgliedschaft kein Ausschlussgrund
Eine AfD-Mitgliedschaft ist nach Aussage des evangelischen Berliner Bischofs Markus Dröge kein grundsätzliches Hindernis für die Bekleidung eines kirchlichen Amtes. Etwas anderes sei es aber, wenn menschenfeindliche Äußerungen getätigt würden.Die AfD bildet eine nicht zu unterschätzende Gefahr. In den kommenden Jahren wird sie vermutlich von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilen. Das gilt in Ländern wie im Bundestag. In der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, hat sie bereits 50 Stimmen. Die AfD will bei der Präsidentenwahl 2017 mit einem eigenen Kandidaten antreten und hat den früheren Stadtkämmerer von Frankfurt am Main, Albrecht Gläser, dafür nominiert. Der frühere Christdemokrat ist ein Mann der schlagenden Studentenverbindungen und ihrer rechten Netzwerke, die innerhalb der AfD beträchtlichen Einfluss ausüben. Die Patin des Erfolgs der AfD ist – ungewollterweise – Bundeskanzlerin Angela Merkel, denn sie steuerte viele Jahre lang ihre CDU mit der Taktik TINA — der Behauptung "there ist no alternative", es gibt keine Alternative zu ihrer Politik – immer weiter nach links. Die meisten älteren AfD-Mitglieder aus dem Westen, mit denen man spricht, waren früher im konservativen Flügel der Union oder in der alten FDP zu Hause. Frauke Petry hämmert es ihrer Partei ein: "Wir wollen Mehrheit werden, Volkspartei". Spaltungen wie bei vergangenen Rechtsaußengruppen, etwa den Republikanern, hat die AfD fürs Erste vermieden. Beim Presseabend gibt sich Petry nahbar. Sie erzählt, wie ihre Kinder in der Schule gemobbt werden, weil sie den Nachnamen Petry tragen. Und sie berichtet, sie sei im vertraulichen Gespräch mit "führenden deutschen Intellektuellen" – Namen möchte sie nicht nennen, doch in dem Moment denken die Umstehenden an den Altachtundsechziger und Populär-Philosophen Peter Sloterdijk, der neuerdings von einer »Überrollung« Deutschlands durch Flüchtlinge raunt.
Französischer Journalist: "Wie beim Front National"
Frédéric Lemaitre sitzt schräg hinter mir in der Parteitagshalle. Lemaitre ist der Deutschlandkorrespondent der französischen Tageszeitung Le Monde: "Es ist hier so ziemlich alles wie beim Front National in Frankreich", sagt er seufzend und meint den unterschwelligen, mit Mühe gebändigten Hass der AfD auf Zuwanderer, Flüchtlinge und Muslime. Nicht nur in Deutschland, in vielen Teilen Europas werden die Rechten stärker. Eine bedenkliche Entwicklung.