"Das Mädchen lag mir am Herzen"
Ihrem Schicksal hat sich der Berliner Comiczeichner Reinhard Kleist angenommen und es in Bilder umgesetzt: Für sein Comic "Der Traum von Olympia: Die Geschichte von Samia Yusuf Omar" wurde er am Mittwochabend in Bamberg ausgezeichnet mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis, den die deutschen Bischöfe alljährlich ausloben.
Kleist, ein Mann mit kurz geschorenen Haaren, grauem Hemd, Jeans und Turnschuhen, sitzt in seinem Atelier auf einem Barhocker an seinem Zeichentisch. In der Hand hält er die Feder, taucht sie in schwarze Tusche, zieht dann sorgfältig die Bleistiftzeichnung nach. Über ihm schwebt eine Diskokugel, in der Ecke steht ein Plattenspieler, vor den Fenstern liegt der Frühling im Berliner Hinterhof. Es ist ein großer, voll gestellter Raum mit weißgetünchten Wänden, den sich Kleist mit vier Zeichner-Kollegen teilt. "Ich mag diesen Raum. Und ich mag Gesellschaft bei der Arbeit", sagt er. Eine Uhr ohne Zeiger an der Wand signalisiert: Hier entsteht Kreativität ohne Zeitdruck.
Evangelische Teestube statt Tankstelle
Seit zwanzig Jahren lebt der 46-Jährige in Berlin. Aufgewachsen ist er in der Nähe von Köln, in Weilerswist. "Wenn man da nicht an der Tankstelle rumhängen wollte, ging man in die Teestube der evangelischen Kirche", erzählt Kleist. "Da gab es einen sehr politischen Pfarrer, der uns Jugendliche zum Beispiel über die Apartheid in Südafrika aufgeklärt hat." Irgendwie sei es dieser Pfarrer gewesen, der verantwortlich für "meinen Hang zu politischen Themen ist", sagt Kleist heute. Seine "Graphic Novel" über Samia ist ein Beispiel, "Der Boxer" ein anderes. Darin geht es um das Schicksal des Auschwitz-Überlebenden Hertzko Haft, für das Kleist 2013 den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt - wie bei Samia eine wahre Geschichte.
Eben weil sie wahr ist, hat Kleist für das Projekt auch gründlich recherchiert: So hat er Samias ältere Schwester besucht, der die Flucht von Somalia nach Helsinki glückte, sich bei ihr über ihre Schwester informiert und sich auch die Erlaubnis geholt, die Geschichte Samias als Comic zu veröffentlichen. Er wollte Samia gerecht werden und dabei der Wahrheit so nah wie möglich kommen.
Linktipp: Katholischer Jugendbuchpreis verliehen
Illustrator Reinhard Kleist ist am Mittwoch mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet worden. Geehrt wurde sein Werk "Der Traum von Olympia", das auf einer wahren Geschichte beruht."Das Mädchen lag mir am Herzen", sagt Kleist. "Schließlich stirbt sie wegen ihres Traumes." Da es muslimischen Frauen in Somalia verboten ist, Sport zu treiben, macht die junge Afrikanerin sich auf den Weg nach Europa. Ihr Ziel ist es, bei den olympischen Spielen in London 2012 dabeizusein - sie sieht den Sport als einzigen Weg, ein besseres Leben zu finden und ihre verarmte Familie zu unterstützen. Verzweifelt wie sie ist, riskiert sie gemeinsam mit anderen Flüchtlingen bei der Bootsfahrt übers Mittelmeer ihr Leben - und ertrinkt.
Der innere Zugang zu der jungen, sportbegeisterten Afrikanerin Samia sei für ihn nicht immer einfach gewesen, erzählt Comiczeichner Kleist. "Ich bin schließlich ein weißer, über 40-jähriger Mann aus Europa, noch dazu kein Sportler", sagt er und lächelt selbstironisch. Ihm sei etwa bewusst gewesen, dass Frauen auf einer solchen mehrmonatigen Flucht noch ganz andere Probleme haben als Männer.
Beeindruckende Reaktionen von Schülern
"Fluchtexperten haben mir zum Beispiel erzählt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Samia als alleinreisende Frau auf der Flucht nicht vergewaltigt wurde", sagt Kleist. Aber da es dafür keine Beweise gebe, habe er dies auch nicht explizit thematisiert. "Ich deute das Thema sexuelle Belästigung nur an."
Gezeichnet habe er "eigentlich immer schon", erzählt der Autor, während unter seinen schmalen Finger mit schwarzer Tusche ein Gesicht entsteht. Besonders beeindrucke ihn, wie Schüler auf die traurige Geschichte Samias reagieren, wenn er ihnen sein Buch vorstellt. "Wenn sie realisieren, dass Samia wirklich gelebt hat, wird es ganz still - dann sagt niemand mehr etwas."