Keine Liebe ohne Leiden

Mit Verurteilen oder Vorurteilen räumt der Gottesdienst auf. Eher mitfühlend heißt das Motto: "Gott geht alle Wege mit." Es ist eine Feier mit viel Moll-Tönen, eine Trauerfeier für die zerplatzte Hoffnung auf ein Leben zu zweit. Die Gebete beklagen verlorenes Vertrauen, den vergeblichen Versuch zur Versöhnung, das unerträglich gewordene Miteinander oder das fehlende Verständnis von Verwandten und Freunden für die Trennung.
So selten derartige Gottesdienste auch sind - ihre Initiatoren sehen sich damit ganz auf der Barmherzigkeits-Linie von Papst Franziskus und seinem vor knapp zwei Monaten veröffentlichten Schreiben "Amoris laetitia" (Freude der Liebe). Darin hält der Papst ewige Liebe und Treue hoch. Aber er lehnt es auch als kleinlich ab, "nur bei der Erwägung stehen zu bleiben, ob das Handeln einer Person einem Gesetz oder einer allgemeinen Norm entspricht oder nicht". Franziskus warnt vor einer Anwendung moralischer Gesetze, "als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft".
Streicheleinheiten für verletzte Seelen
In Sankt Laurentius gibt es keine Felsblöcke, sondern Streicheleinheiten für verletzte Seelen. Die Teilnehmer tauchen ihre Hände in eine Schale mit Wasser - Zeichen dafür, dass es auch in der Trockenheit der Beziehungswüste noch Leben geben kann, auch ein Leben mit Gott. Eine Mittvierzigerin aus einer ostdeutschen Großstadt, die sich nach längerem Ringen vor zweieinhalb Jahren scheiden ließ, vermisst solche Abschiedsrituale in der Kirche. "Man heiratet feierlich, bekommt den Segen - und dann geht die Beziehung still und heimlich zu Ende." Die Mutter dreier Söhne hat sich dagegen aufgelehnt und einen Kaplan für eine kleine Zeremonie in der Kirche gewonnen, bei der sie und ihr Ex ihre Ringe ablegten - vor Gott, wie sie sagt. Mit ihrer inneren Not fühlt sie sich in Leipzig einmal ganz wahr- und angenommen, nicht als "Katholikin zweiter Klasse".
Familiensynode
Im Herbst 2014 und 2015 haben sich zwei Bischofssynoden im Vatikan mit Ehe und Familie beschäftigt. Im April 2016 erschien dazu das päpstliche Dokument "Amoris laetitia". Die Themenseite bündelt die Berichterstattung zu den Synoden.Einen etwas anderen Drive hat da ein Gottesdienst in derselben Kirche nur elf Stunden später am Abend. Diesmal sind Ehepaare gekommen, viermal mehr Besucher als am Morgen. Der Friedensgruß, sonst mit einem Handschlag besiegelt, wandelt sich hier vielfach in einen Friedenskuss. Und am Ende drängen sich die Paare nach vorne, um sich von Geistlichen einen persönlichen Segen geben zu lassen.
Jede Ehe hat Vergebung nötig
Die Atmosphäre ist deutlich heller, geht es doch auch um dankbare Rückschau und einen hoffnungsfrohen Blick nach vorne. Aber auch in diesem Gottesdienst liegt sehr viel Nachdenklichkeit. Von dem Eigenwillen des Partners, von Enttäuschungen und Verletzungen ist die Rede. Unvollkommenheit bleibt auch der Liebe mit der größten Leidenschaft nicht erspart, so die Botschaft. Der Bamberger Weihbischof Herwig Gössl bringt es anders zum Ausdruck: "Keine Liebe ohne Leiden", wandelt er einen Udo-Jürgens-Titel ab und ermuntert zu Versöhnungsbereitschaft. "Welche Ehe hätte nicht immer wieder Vergebung nötig."
Keine Liebe ohne Leiden - in diesem Satz könnten sich auch die Geschiedenen vom Morgen wiederfinden. Die Frau aus Ostdeutschland leidet nach eigenen Worten: "Für die gescheiterte Ehe möchte ich aber nicht den Rest meines Lebens bestraft werden." Ähnlich denken wohl auch jene Katholiken, die sich von einem weiteren Gottesdienst, dem für Wiederverheiratete, angesprochen fühlen. Bei allen Versuchen, einen Schlussstrich zu ziehen, quälten die geschiedene Frau indes immer wieder Schuldgefühle. Ein alter Pfarrer habe ihr geraten, diese doch "in Gottes Meer der Barmherzigkeit zu werfen und nicht immer wieder rauszufischen". Der abgelegte Ehering - er ist inzwischen dem Meer der Ostsee übergeben.